Mit Aquathermie aus Seewasser Wärme gewinnen

Vor 50 Jahren wurde das Dorf Hain für den Braunkohlebergbau weggebaggert, jetzt aber wird es als Ferienort wiederbelebt. Noch etwas ist außergewöhnlich: Für das Dorf bei Leipzig wird heute durch Aquathermie grüne Wärme aus dem Wasser gewonnen.

Aquathermie
Die technische Innovation für die Aquathermie liegt unter dem Bootssteg am Hainer See: Wärmetauscher, die mit einem besonderen Propeller – einem „Oloid“ – verbunden sind. Foto: Tilia

Vor den Toren der Stadt liegt das Leipziger Neuseenland: die Braunkohleregion Mitteldeutsches Revier, die nach der Schließung zahlreicher Tagebaue Anfang der 1990er Jahre zu einem weitläufigen Naherholungsgebiet rekultiviert wird. Am Nordufer des Hainer Sees – mit 600 Hektar einer der größten der Region – entsteht nun ein Feriendorf, das den Strukturwandel der Region verkörpert wie kein anderes. Denn die zu Seen gewordenen Tagebaulöcher nutzt es nicht nur für Tourismus und Wassersport, sondern jetzt auch zur nachhaltigen Wärmeversorgung.

Das Dorf Hain, Namensgeber des Hainer Sees, fiel in den frühen 1970er Jahren dem Braunkohlebergbau zum Opfer. Nun erfährt der weggebaggerte Ort eine Wiedergeburt als Feriendorf. Als eines der ersten seiner Art nutzt das „Hafendorf Hain“ Aquathermie zur Wärmeversorgung. So heißt es, wenn als Wärmequelle ein Gewässer genutzt wird – hier die Umgebungswärme aus dem Hainer See. Sie wird in eine zentrale Wärmepumpenanlage gespeist und versorgt von dort das gesamte Quartier mit grüner Wärme.

Aquathermie als innovative Idee für das Wärmenetz

Die Quartiersenergie GmbH, ein Gemeinschaftsunternehmen des Leipziger Energiedienstleisters Tilia GmbH und den Stadtwerken Leipzig, plant und realisiert die Wärmeversorgung. So modern wie das Ferienquartier sollte auch seine Energieversorgung sein. Im Zuge eines Variantenvergleichs stellte sich die Aquathermie als ideale Lösung heraus – innovativ, nachhaltig, aber auch wirtschaftlich tragfähig.

Ein oberhalb des Dorfes gelegenes, zentrales Heizhaus ist das Herzstück des dorfeigenen, 800 Meter langen Nahwärmenetzes. Von hier wird die aus dem See gewonnene Wärme über zwei Wärmepumpen mit je 78 kW Leistung an die insgesamt 26 Hausanschlüsse gespeist. Positiver Nebeneffekt: Im Sommer wird auch eine passive Gebäudekühlung gewährleistet.

Unsichtbar für die zukünftigen Bewohner des Feriendorfs ist das Herzstück der Aquathermie-Anlage unter dem zentralen Bootssteg installiert. Sechs Wärmetauscher versorgen als Energiequelle die Wärmepumpen in der Heizzentrale. Zur Leistungssteigerung sind sie mit einem innovativen Propeller, einem sogenannten „Oloid“ kombiniert.

Oloid beschreibt einen 1929 von Paul Schatz erfundenen geometrischen Körper, dessen Oberflächeneigenschaften eine besonders effiziente Wasserumwälzung garantieren. Oloide sind eine bewährte Rührtechnologie, zum Beispiel in Aquarien oder Kläranlagen. Ihr Einsatz zur effizienten Wärmegewinnung ist aber einmalig. Dem Oloiden bin ich in einem früheren Projekt über den Weg gelaufen und kam dann auf die Idee zum Einsatz in der Aquathermie.

Aquathermie
Das Heizhaus ist das Herzstück des 800 Meter langen Nahwärmenetzes. Über dieses werden 26 Hausanschlüsse beliefert. Im Sommer ist eine passive Gebäudekühlung gewährleistet. Foto: Tilia

Der Propeller macht den Unterschied

Wenn Wärmetauscher in fließenden statt in stehenden Gewässern wie dem Hainer See eingesetzt werden, steigert sich ihre Leistung. Mit dem Oloid-Propeller machen wir uns diesen Effekt zunutze und erzeugen eine leichte, räumlich begrenzte Strömung und verbessern die Leistung der Wärmetauscher. Gerade in Kälteperioden, wenn der tiefere Seeteil noch warm ist, die Oberfläche aber schon nahe dem Nullpunkt ist, sichern wir damit die Nutzbarkeit und Effizienz der Anlage.

Mit einer benötigten Leistung von nur 220 Watt sind Oloid-Propeller dazu eine extrem energiesparende Lösung. Im Rahmen des Modellvorhabens „Unternehmen Revier“ wird die Erforschung und Umsetzung der Oloid-Technik zur Wärmegewinnung als richtungsweisendes Strukturwandelprojekt vom Bund mitgefördert.

In den Niederlanden wird Aquathermie bereits erfolgreich eingesetzt. Aber auch in Deutschland steigt das Interesse an der Technologie stetig. Ihr Einsatz hat – nicht nur am Hainer See – viele Vorteile gegenüber anderen Versorgungskonzepten. Gegenüber oberflächennaher Geothermie mit Bohrsonden sind bei der Aquathermie die Investitionskosten bis zu 75 Prozent geringer. Gegenüber einer klassischen Luft-Wärmepumpen-Lösung stehen die erheblich geringere Geräuschbelästigung und die bessere Energieeffizienz. Generell ermöglicht Aquathermie eine relativ hohe Leistungsdichte bei geringem Flächenbedarf. Das macht die Technologie auch für große Wärmeleistungen im Megawattbereich interessant.

Durch die neuartige Kombination von Wärmetauschern und Oloid-Propellern werden insbesondere stehende Gewässer wie Tagebauseen zur Chance für die Wärmewende.

Aquathermie hat das Potenzial für sehr viel mehr

Im Sommer 2024 erfolgt im Feriendorf am Hainer See die Inbetriebnahme des innovativen Wärmenetzes. Spätestens zum Start der Heizsaison kann es sich dann bewähren.

Weitere Projekte und eine strategische Marktentwicklung könnten insgesamt einen wichtigen wirtschaftlichen Impuls für die Region setzen – und darüber hinaus. Nicht nur für touristische Erschließungen in Wassernähe, auch für kleinere Dörfer oder einzelne Hausgemeinschaften kann Aquathermie eine konkurrenzfähige Alternative sein. Aber auch im Hinblick auf Fernwärmenetze und großtechnische Lösungen gibt es noch riesiges Potenzial.


Der Autor

Martin-Joseph Hloucal leitet das Aquathermieprojekt für den Leipziger Energiedienstleister Tilia GmbH.


Martin-Joseph Hloucal

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