Eine Stadt kann mit all ihren physischen Komponenten virtuell gespiegelt werden, und das nicht nur in den großen Metropolen: Uwe Jasnoch schlüsselt auf, warum er für den Einsatz eines digitalen Zwillings auch in mittleren und kleinen Städten plädiert – wie im hessischen Luftkurort Hofbieber oder in Klagenfurt.

In einer zunehmend digitalen Welt, in der Daten im Mittelpunkt stehen, hat sich das Konzept des „digitalen Zwillings“ als bahnbrechendes Instrument für die Stadtentwicklung herausgestellt. Metropolen wie Singapur, London, Frankfurt am Main, San Francisco oder Hamburg haben diese Technologie schnell übernommen. Kleinere Städte und Gemeinden können jedoch genauso viel oder sogar noch mehr von der Einführung digitaler Zwillinge profitieren.
Aber was genau ist ein digitaler Zwilling – und welchen Nutzen kann er für kleinere Kommunen haben? Einfach ausgedrückt ist ein digitaler Zwilling eine dynamische, virtuelle Nachbildung eines physischen Objekts oder Systems. Für Städte bedeutet dies die Erstellung eines umfassenden digitalen Modells, das alle Aspekte der städtischen Infrastrukturen, Umwelt und Dienstleistungen nachahmt. Von Gebäuden und Straßen bis hin zu Ver- und Entsorgungseinrichtungen sowie Dienstleistungen ist es ein digitales Abbild der Stadt, das Veränderungen und Entwicklungen in Echtzeit widerspiegeln kann. Es dient als Vorhersagemodell, um Szenarien zu testen, Maßnahmen zu simulieren und die Auswirkungen zu verstehen, bevor Änderungen in der physischen Welt umgesetzt werden.
Die Technologie des digitalen Zwillings nutzt Big Data, Cloudtechnologie, Künstliche Intelligenz (KI) sowie das Internet der Dinge (IoT) und wird so zu einem wichtigen Instrument für die Planung, die Erprobung und die Verwaltung der Ressourcen einer Stadt.
Effizientere und präzisere Stadtplanung
Digitale Zwillinge lassen Stadtplanung in kleineren Gemeinden effizienter und präziser werden. Sie ermöglichen es Kommunalverwaltungen, die öffentlichen Infrastruktur zu visualisieren und neue Entwicklungen oder Lösungen zu prüfen, bevor sie in der Realwelt umgesetzt werden. Die Modellierung aller Aspekte in einer digitalen Umgebung verbessert den Entscheidungsprozess und ermöglicht Maßnahmen auf der Grundlage genauer Informationen sowie vorausschauender Analysen.
Kleinere Kommunen verfügen ebenso wie ihre größeren Pendants über komplexe Infrastruktursysteme, die effizient verwaltet und gewartet werden müssen. Ein digitaler Zwilling ermöglicht die Echtzeitüberwachung, um Infrastrukturprobleme schnell zu erkennen und zu beheben. Er kann auch bei der Planung von Wartungsplänen helfen, unerwartete Systemausfälle verhindern und eine optimale Nutzung der Ressourcen sicherstellen.
Digitale Zwillinge für bessere Ressourcenverteilung
Die Nutzung eines digitalen Zwillings hilft bei der Ressourcenverteilung. Für kleinere Städte und Gemeinden mit begrenzten Budgets ist dieser Aspekt besonders attraktiv. Die Simulation verschiedener Szenarien in der digitalen Umgebung hilft dabei, die kostengünstigsten Lösungen zu ermitteln und festzustellen, wo Ressourcen die größte Wirkung erzielen. Auch wenn der Umfang der Projekte unterschiedliche Umsetzungsmethoden erfordert – zum Beispiel drohnenbasierte oder die teureren flugzeuggestützten Luftbildaufnahmen – sind die grundlegenden Vorteile dieselben.
Mit Digitalen Zwillingen können Städte Simulationen durchzuführen, mit denen die Umweltauswirkungen gemessen werden können, und so eine nachhaltige Entwicklung zu planen. Mitarbeitende der Kommunalverwaltung können die Folgen verschiedener Initiativen auf die Umwelt, die öffentliche Gesundheit oder die Verkehrsströme untersuchen und so die Entwicklung umweltfreundlicher urbaner Landschaften erleichtern.
Im Einsatz für die Luftqualität
Zum Beispiel die malerisch gelegene 6300-Einwohner-Gemeinde Hofbieber in Hessen: Sie trägt die offizielle Bezeichnung „Luftkurort“, was vor allem auf der schadstoffarmen Luftqualität beruht. Um diese Auszeichnung zu erhalten und um auf das Ziel der CO2-Neutralität bis 2030 hinzuarbeiten, hat Hofbieber einen digitalen Zwilling für die Umweltüberwachung in Auftrag gegeben.
Der digitale Zwilling verwendet Umweltdaten, um die physische Gemeinde und ihre Umweltaspekte zu replizieren, wobei das Spektrum der 3D-Simulationen von CO2-Emissionen bis hin zur Wärmeabgabe reicht. Durch die Nachverfolgung der CO2-Emissionen mittels digitalem Zwilling kann Hofbieber seine Fortschritte überwachen und mit anderen Gemeinden, ob groß oder klein, vergleichen. Der digitale Zwilling kann auch für zukünftige Projekte programmiert werden, etwa Überschwemmungsrisiken, Wärmeinseln oder Durchlüftungsschneisen im bebauten Raum und im Verkehr simulieren.

Digitale Zwillinge zur genauen Planung und Kostensenkung
Ein weiteres Beispiel: Klagenfurt am Wörthersee. Die Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Kärnten mit rund 100.000 Einwohnern hat einen digitalen Zwilling der gesamten Stadt erstellt, um eine effiziente urbane Planung und Entwicklung zu gewährleisten. Das Projekt stellt eine Erweiterung der standardmäßigen Luftbildaufnahmen der Stadt dar, die bisher alle fünf Jahre durchgeführt wurden. Geliefert wurden detaillierte und hochpräzise 3D-Daten der Stadt, die für Planungs-, Vermessungs- und Versorgungsarbeiten verwendet werden. Ziel ist es, das städtische Wachstum effektiv zu steuern, die Versorgungswirtschaft zu verbessern, Kosten zu senken und die Planungsqualität zu verbessern.
Durch die Erstellung des detaillierten, fotorealistischen, urbanen 3D-Modells verfügt die Landeshauptstadt nun über einen umfassenden digitalen Zwilling, der als Leitfaden für effiziente Stadtplanungs-, Verwaltungs- und Entwicklungsinitiativen dient: zum Beispiel bei der Erhebung des Solarenergiepotenzials und bei den vielfältigen Themen der Land- und Bodennutzung.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten für Digitale Zwillinge
Über Nachhaltigkeit sowie Stadtplanungs- und Entwicklungsinitiativen hinaus bieten digitale Zwillinge weitere Einsatzmöglichkeiten für Städte und Kommunen, zum Beispiel:
- Katastrophenmanagement:
Bei naturbedingten katastrophalen Ereignissen oder bei raumgreifenden Notfällen kann ein digitaler Zwilling lebensrettend sein. Durch die Simulation von Katastrophenszenarien lassen sich kommunale Katastrophenpläne optimieren, und man kann sicherstellen, dass Rettungskräfte vorbereitet sind und sich die Einwohner sicherer fühlen können. - Engagement der Öffentlichkeit:
Digitale Zwillinge können die Transparenz der öffentlichen Verwaltung erhöhen sowie das Engagement der Bürgerinnen und Bürger fördern. Durch die Bereitstellung eines öffentlichen Zugangs zu Teilen des digitalen Zwillings wird den Einwohnern visualisiert, wie kommunale Initiativen die Stadt gestalten. - Infrastrukturmanagement:
Digitale Zwillinge ermöglichen Vorhersagen zur Leistung der Infrastruktur sowie zum Wartungsbedarf und senken zudem die Kosten, indem sie Probleme beheben, bevor sie zu größeren Herausforderungen erwachsen. - Ressourcenverwaltung:
Digitale Zwillinge können dazu beitragen, die Planung und Routenführung von Dienstleistungen wie Abfallwirtschaft oder Schneeräumung zu optimieren und so die Effizienz der Abläufe zu verbessern. - Verkehrsmanagement:
Mittels digitaler Zwillinge lassen sich potenzielle Stauschwerpunkte und Verkehrsflüsse simulieren und somit Lösungen für eine verbesserte Mobilität erarbeiten. - Versorgungsmanagement:
Digitale Zwillinge ermöglichen die Optimierung der Versorgungs- und Wartungsleistungen, einschließlich Wasser, Strom, Gas und Fernwärme, wodurch Kosten gesenkt und die Serviceeffizienz verbessert werden. - Planung von Smart Cities:
Digitale Zwillinge helfen bei der Gestaltung und Verwaltung von Smart City-Initiativen, indem sie IoT bereitstellen und deren Integration in die städtische Infrastruktur ermöglichen.
Wie sich die Kosten rechnen können
Die Investition in digitale Zwillinge für kleinere Städte ist eine Investition in eine intelligente, nachhaltige und effiziente Zukunft. Auch wenn die anfänglichen Kosten erheblich sein mögen, sind die Erträge in Form von Kosteneinsparungen, deutlich mehr Effizienz, Nachhaltigkeit und verbessertem Bürgerservice beträchtlich.
Da digitale Zwillinge sich immer weiter entwickeln und zunehmend leichter verfügbar sind, werden kleinere Städte in der Lage sein, fundiertere Entscheidungen zum Wohle ihrer Einwohner und der Umwelt zu treffen.
Der Einsatz der digitalen Zwillingstechnologie sollte also nicht nur den großen Metropolen vorbehalten sein. Auch kleinere Städte und Gemeinden haben die Möglichkeit, effizientere, widerstandsfähigere sowie innovativere Strategien umzusetzen und zukunftssicher zu werden.
Uwe Jasnoch
Der Autor
Dr. Uwe Jasnoch ist bei Hexagons Safety, Security & Geospatial Division zuständig für die öffentliche Verwaltung, den Transportsektor und das Verteidigungswesen in der EMEA-Region.