In Wuppertal ist durch Stiftungsengagement aus einer ehemaligen Textilfabrik ein außergewöhnliches Wohn-, Arbeits- und Nachbarschaftsprojekt entstanden – der BOB Campus. Warum Beispiele dieser Art unbedingt Schule machen sollten, schlüsselt Johanna Debik von der Montag Stiftung Urbane Räume auf.
Zwischen 2017 und 2023 ist auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik im Wuppertaler Stadtteil Oberbarmen der BOB Campus entstanden – ein Gebäude mit 6400 Quadratmetern Nutzfläche und einem Nutzungsmix aus Kita, offenem Ganztag, Schulfachräumen, Stadtteilbibliothek, Büro- und Gewerbeeinheiten, Wohnungen und Gemeinschaftsflächen.
Begonnen hat dieses Projekt Anfang 2017, als die Montag Stiftung Urbane Räume auf Einladung der Nachkommen des Firmengründers erstmals die leerstehenden Gebäude auf dem ehemaligen Fabrikgelände besuchte. Die Familie erklärte sich bereit, große Teile des Areals im Erbbaurecht auf 99 Jahre zur Verfügung zu stellen und auf die Erhebung des Erbbauzinses zu verzichten, solange die Gemeinnützigkeit gewährleistet ist. So konnten wir gemeinsam mit der Eigentümerschaft privaten Grund in die Gemeinnützigkeit überführen. Die Erbinnen und Erben des Firmengründers leisteten damit einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zum Stadtteilprojekt.
Starkes Engagement der Stadt Wuppertal beim BOB Campus
Eine Projektgesellschaft hat beim BOB Campus wie bei allen unseren Projekten nach dem Initialkapital-Prinzip die Bauherrenaufgabe für die Sanierung und Umnutzung der Gebäude während der Planung und Bauzeit übernommen. Sie verantwortet weiterhin den gemeinwohlorientierten Betrieb.
Die Kommunen sind stets wichtige Kooperationspartner. Die Stadt Wuppertal ermöglichte beispielsweise mit Mitteln der Städtebauförderung, städtischem Eigenanteil und personellen Ressourcen die Errichtung eines großen, dringend benötigten Nachbarschaftsparks auf dem BOB Campus.
Damit sich die Menschen vor Ort langfristig für ihren Stadtteil engagieren, haben wir bereits vor Beginn der Planung gemeinsam mit der Nachbarschaft sowie zukünftigen Mieterinnen und Mietern neue Nutzungskonzepte entwickelt, die den Menschen im Stadtteil zugutekommen.
Konzept des Teilens
Der BOB Campus ist in seiner Gesamtheit eine Gemeinressource, auch wenn nicht jede Nutzungseinheit frei zugänglich ist. Eine einzelne Wohnung ist ein Privatgut. Büromieterinnen und -mieter entscheiden selbst, wer ihre Räume betreten und nutzen kann. Eine Kita ist ein Clubgut, das die Nutzung auf einen definierten Personenkreis beschränkt. Gleichwohl haben Mieter wie die örtliche Realschule und der Kita-Träger sowie das städtische Gebäudemanagement im Rahmen von kooperativen Planungstreffen vereinbart, dass auch andere Gruppen die Räume der Schule und Teilbereiche der Kita außerhalb der Betreuungszeiten nutzen können. Daraus ist für das Hauptgebäude des Campus ein Konzept des Teilens entstanden.
Die Gemeinwohlflächen sind die Kristallisationspunkte für Teilhabe und Gemeinschaftsbildung. Das Herzstück ist die Nachbarschaftsetage. Hier kreuzen sich Wege, treffen die Nutzerinnen und Nutzer, die Mieterinnen und Mieter des Campus aufeinander. Auch die Stadtteilbibliothek hat dort ihr neues Domizil gefunden. Die Nutzung der übrigen Halle ist nicht vorprogrammiert. Sie ergibt und verändert sich durch Aneignung, Ausprobieren, Aushandeln.
Entwurf einer ganzheitlichen Vision für den BOB Campus
Die Grundlage dafür schufen Ideen, die den Bau geleitet haben. Im Dialog zwischen Bestand und Transformation machten das Architekturbüro raumwerk.architekten und das Landschaftsarchitekturbüro atelier le balto als Projektpartner die Geschichte sichtbar und entwarfen zusammen mit der Bauherrin sowie mit Akteurinnen und Akteuren aus dem Stadtteil eine ganzheitliche Vision für die Zukunft des BOB Campus: Welchen konkreten Beitrag kann die Immobilie für den Stadtteil Oberbarmen leisten? Was sind die Bedarfe? Welche Nutzungen machen Sinn, passen zur Gebäudestruktur und wirken sich im Hinblick auf Chancengerechtigkeit positiv aus?
Um den Antworten näherzukommen, begann ein intensiver Prozess mit Planungsworkshops, offenen Planungstagen und unterschiedlichen Beteiligungsformaten.
Finanzierung über Initialkapital
Die Montag Stiftung Urbane Räume setzt Projekte nach dem Initialkapital-Prinzip um. Demnach fließt Eigen- und Fremdkapital in gemeinwohlorientierte Immobilienprojekte. Das Initialkapital-Prinzip sieht keine langfristigen Förderungen und Zuschusskonzepte vor. Vielmehr wird am Anfang Initialkapital mit dem Ziel eingesetzt, durch selbsttragende und selbstorganisierte Projekte Chancengerechtigkeit und Teilhabemöglichkeiten für alle im Stadtteil zu verbessern.
Investitionen fließen über einen Zeitraum von vier bis sechs Jahren – sowohl in die baulichen Maßnahmen als auch in die nachbarschaftliche Selbsthilfe und Selbstorganisation. Erbbaurechts- und Kaufverträge sichern die langfristige Tragfähigkeit der Projekte: mit der Besonderheit, dass die Erbbaurechtsgebenden – in den bisherigen Projekten Kommunen, Wohnungsbaugesellschaften sowie private Eigentümerinnen und Eigentümer – auf die Erhebung des Erbbauzinses verzichten.
Aktuell in der Entwicklung sind die Projekte Honswerk in Remscheid und Wiesenwerke in Wuppertal. Ähnlich sind in Halle an der Saale der Bürgerpark FreiFeld, in Bochum die KoFabrik und in Krefeld die Nachbarschaft Samtweberei entstanden. Weitere Projekte in Mönchengladbach-Rheidt, Duisburg, Köln, Bonn und Mannheim befinden sich in der Untersuchung.
Appell für mehr Gemeinwohl
Jedes Projekt der Montag Stiftung Urbane Räume entsteht in enger Kooperation mit der jeweiligen Kommune. Neben der naheliegenden Zusammenarbeit mit den Bau- und Planungsämtern sind auch andere Ämter in die Projekte im sozialen und wirtschaftlichen Bereich eingebunden. Gerade in der Stadtentwicklung haben zum Beispiel Förderprogramme eine große Bedeutung, soweit die förderwürdigen Maßnahmen zum Projekt passen.
Eine weitere Rolle der Stiftung hat an Bedeutung gewonnen: die einer Brückenbauerin zwischen Kommune und Zivilgesellschaft. Wo behäbige Verwaltungsstrukturen und kleinteiliges Engagement aufeinandertreffen, können wir als gemeinwohlorientierte Projektentwicklerin vermitteln.
Die Rolle der Brückenbauerin möchten wir in Zukunft noch stärker ausüben. Daher rufen wir alle Stadtmacherinnen und Stadtmacher auf, gemeinsam die chancengerechte und inklusive Stadt zu gestalten.
Dieser Appell richtet sich explizit auch an die Marktakteurinnen und -akteure, die eine große Rolle bei der Raumproduktion haben, an Investorinnen und Investoren, Wohnungsbauunternehmen, Projektentwicklerinnen und -entwickler, Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer: Macht mit. Baut mehr Gemeinwohl. Eigentum verpflichtet!
Die Autorin
Johanna M. Debik ist im Vorstand der Montag Stiftung Urbane Räume. Gemeinsam mit Elina Schniewind verantwortet sie in der Geschäftsführung der Urbane Nachbarschaft BOB gGmbH die Entwicklung des BOB Campus.
Johanna Debik