Stadtentwicklungsforschung: Alternativen zum virtuellen Raum

Stadtzentren stehen unter Druck – worauf aber sollten Kommunen in ihren Transformationsprozessen vor allem Wert legen? Wie können attraktive Alternativen zum virtuellen Raum geschaffen werden? An welchen guten Beispielen könnten sie sich orientieren? Mit welchen Konzepten wird bereits gearbeitet? Antworten aus der Stadtentwicklungsforschung.

Spiegelung in einer Glaskugel als Symbolbild für den virtuellen Raum
Blick in eine Dortmunder Glaskugel – wie soll es weitergehen? Hier setzt der Arbeitsprozess „Masterplan Plätze“ an: mit der Entwicklung städtebaulich-gestalterischer Leitlinien. Foto: Adobe Stock/Kamzoom

Kompakte, belebte Innenstädte: Dieses Merkmal prägt seit Langem die Vorstellungen von der europäischen Stadt. Angetrieben durch Digitalisierung und Onlinehandel erfahren Zentren momentan jedoch einen rasanten Wandel, der mehr denn je die Frage nach ihrer zukünftigen Relevanz, Funktion und Gestaltung aufwirft. Viele Städte und Gemeinden haben die Herausforderungen, die mit dieser Entwicklung verbunden sind, aufgegriffen und arbeiten zusammen mit engagierten Akteursgruppen an der Transformation ihrer Innenstädte und Ortszentren. Hierbei erfahren öffentliche Räume eine wachsende Aufmerksamkeit. Dies zeigt sich auch in den Konzepten, die zahlreiche Kommunen in der jüngeren Vergangenheit erarbeitet haben.

Beispiele dafür sind: Masterplan Plätze in Dortmund; Strategie Centrum Bremen 2030+; oder Masterplan Freiraum für die Innenstadt Würzburg. Aus den Maßnahmen, die in solchen Planwerken beschrieben werden, können für die Weiterentwicklung von öffentlichen Räumen einige übergeordnete Ansatzpunkte abgeleitet werden.

Erlebnisse und Ereignisse

Es sind vor allem die öffentlichen Räume, die Innenstädte zu liebens- und lebenswerten Orten machen sollen. Im besten Fall können sie offenbar positive Stimmungen erzeugen und zu Erlebnissen beitragen, die in der virtuellen Welt in vergleichbarer Form nicht möglich sind.

Wissen zu den Wirkungen von Städtebau, Architektur und Design müssen in die Ausarbeitung von konkreten Lösungen für Plätze und Straßen einfließen. Es geht darum, die Bedürfnisse der Menschen, die sie nutzen, in den Mittelpunkt zu stellen und die vorhandenen Besonderheiten aufzugreifen. Zudem bieten öffentliche Räume die Bühne für verschiedene Veranstaltungen. Es sind nicht zuletzt Ereignisse wie Märkte und Konzerte, Festivals und Feste, die Menschen in Innenstädte locken.

Grüne und blaue Elemente

Urbane Plätze in den Innenstädten waren lange Zeit in erster Linie steinerne Plätze. Unter den Vorzeichen des Klimawandels haben sich die Anforderungen deutlich gewandelt. Stadtbäume, Grünstreifen und Wasserspiele sollen der Herausbildung von Hitzeinseln entgegenwirken. Nach dem Prinzip der „Schwammstadt“ wird das Ziel verfolgt, möglichst viel Niederschlagswasser aufzunehmen und zu speichern.

Mit Blick auf die angestrebte Multifunktionalität von Innenstädten kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Mehr Naturelemente im Nahraum tragen dazu bei, die Standortqualitäten für das Wohnen in innerstädtischen Quartieren erheblich zu verbessern.

Begegnung und Bewegung

Wenn es um die Perspektiven von Innenstädten geht, wird zudem häufig die Bedeutung von Orten der Begegnung herausgestellt. Dazu zählen öffentliche Räume ohne Konsumzwang, die für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Jugendliche und ältere Menschen, interessante Aufenthaltsmöglichkeiten und Treffpunkte bieten.

Straßen und Plätze sind zugleich aber auch Orte der Bewegung. Die Vernetzung von Zentren mit den angrenzenden Wohnquartieren ist wieder zu einem bedeutsamen Ziel geworden. Direkte und attraktive Wegebeziehungen sind eine Voraussetzung, um insbesondere die Nahmobilität zu Fuß und mit dem Fahrrad zu stärken.

Begrenzung und Lenkung

Verändertes Einkaufsverhalten und neue Geschäftsmodelle haben dazu geführt, dass die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen abnimmt. Um dennoch die gewünschte Dichte an Angeboten und die damit verbundene Belebung zu erhalten, müssen die zentralen Geschäftslagen der Innenstädte in vielen Fällen kleiner gedacht werden. Im Sinne eines solchen strategischen Ansatzes erfolgt gewissermaßen eine Konzentration auf das Zentrum im Zentrum.

Die Gestaltung von öffentlichen Räumen ist ein wesentliches Mittel, um die Ausdehnung und Abgrenzung von unterschiedlichen Bereichen zu verdeutlichen. Die Laufwege von Besucherinnen und Besuchern können durch eine intuitive Wegeführung in den Innenstädten gelenkt werden.

Pop-up-Räume und Experimente

Die Transformation der Innenstädte ist eine komplexe und auch kostspielige Aufgabe. Gebaute öffentliche Räume überdauern oft Jahrhunderte, sodass bei ihrer Planung eine besondere Sorgfalt gefragt ist. Hier bieten Pop-up-Räume die Möglichkeit, neue Ideen im Hinblick auf ihre Funktionsweise und Akzeptanz zu testen.

Durch kulinarische Angebote, sportliche Aktivitäten oder kulturelle Veranstaltungen kann Plätzen und Straßen neues Leben eingehaucht werden. So lassen sich die Potenziale von in die Jahre gekommenen sowie bislang unentdeckten Orten erkennen und erleben. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern kann durch eine temporäre Umgestaltung ausprobiert werden, wie die Zukunft der Innenstädte aussehen kann.

Sauber, sicher – und vielfältig

Befragungen und Diskussionen zur Situation von Innenstädten zeigen immer wieder, dass dem Faktor „Sauberkeit und Sicherheit“ eine hohe Relevanz beigemessen wird. Es handelt sich um eine grundlegende Anforderung, die viele Menschen als Mindeststandard ansehen. Gleichzeitig macht es öffentliche Räume aus, dass sie von breiten Teilen der Bevölkerung mit unterschiedlichen Interessen und Lebensweisen genutzt werden.

Dies kann als Vielfalt und Bereicherung empfunden werden, aber auch zu Nutzungskonflikten führen. Kommunen sind gut beraten, solche Konflikte ernst zu nehmen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Darüber hinaus besteht ein wichtiger Beitrag darin, der kontinuierlichen Pflege von öffentlichen Räumen eine hohe Priorität einzuräumen.

Frank Osterhage


Der Autor

Frank Osterhage ist am ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (Dortmund) verantwortlich für den Themenbereich „Lebendige Zentren“.