„Radfahren gehört bei uns zum Lebensstil“: Was Wettringen als fahrradfreundliche Kommune ausmacht

In kleinen Städten liegt Radfahren sehr viel näher als in großen – so heißt es oft. Dennoch: Ein Selbstläufer ist das Fahrrad auch dort nicht. Zum Beispiel Wettringen: Wie der 8000-Einwohner-Ort zur fahrradfreundlichsten Gemeinde im Münsterland wurde, berichtet Bürgermeister Berthold Bültgerds.

Wettringen
Grundlegend in Wettringen: „Wir denken das Fahrrad bei jeder Planung mit – ob Neubaugebiet, Gewerbeerschließung, Schul-wege oder kommunale Entwicklungskonzepte.“. Foto: Adobe Stock/ARochau

Radfahren ist in unserer Gemeinde  mehr als Fortbewegung – es gehört zum Lebensstil, man wird mit dem Fahrrad groß. Dass das „Hiärtken van de Wiält“ – das „Herzchen der Welt“, wie wir uns liebevoll nennen – im Rahmen des ADFC-Fahrradklima-Tests zum dritten Mal in Folge als „fahrradfreundlichste Kommune Deutschlands“ ausgezeichnet wurde, ist eine tolle Anerkennung – aber auch Ansporn zugleich. Doch wie gelingt eine fahrradfreundliche Entwicklung im ländlichen Raum als wichtiger Mobilitätsbaustein für mehr Lebensqualität? Welche Herausforderungen gilt es zu meistern?

Unsere Strategie ist nicht neu, sie wird seit Jahren gelebt: Wir denken das Fahrrad bei jeder Planung von Anfang an mit. Ob Neubaugebiet, Gewerbeerschließung, Schulwege oder kommunale Entwicklungskonzepte – Radwege einschließlich des umfangreichen Wirtschaftswegenetzes sind fester Bestandteil. Ein Baustein sind die Straßenverbindungen zu den Nachbargemeinden, so auch an überörtlichen Straßen durch von der Fahrbahn getrennte Radwege: Sie sind überwiegend ausgeleuchtet, sicher und komfortabel. Das schafft Vertrauen und sorgt für eine hohe Akzeptanz.

Planen über Ortsgrenzen hinaus

Drei aktuelle Beispiele: Im Erholungsgebiet „Haddorfer Seen“ wurde eine Fahrradstraße in Richtung Landesgrenze Niedersachsen fertiggestellt. Sie ermöglicht eine sichere Verbindung zum Campingpark. Eine weitere neue Fahrradstraße stellt eine bessere Anbindung in Richtung Ortskern dar. Derzeit wird gemeinsam mit dem Kreis ein neuer Radweg entlang einer Kreisstraße gebaut – auch hier wird die Radwegesituation verbessert. Das Thema Radmobilität ist jedoch nie abgeschlossen.

Ein Element des Erfolgs ist sicherlich auch der seit über 20 Jahren bestehende Radwegenetzplan, der regelmäßig überarbeitet wird. Dazu kommen kurze Wege dank ergänzender Fuß- und Radwegbrücken, gute Anbindungen an das Schul- und Sportzentrum, und Fahrradabstellanlagen an Bushaltestellen gehören zum Standard.

Unterwegs auf alten Bahntrassen

Eine bedeutende Maßnahme war das mit Bundesmitteln geförderte interkommunale „Triangel-Projekt“, das vom Kreis Steinfurt geleitet wurde. Wettringen verbindet es auf über 60 Kilometern mit fünf weiteren Kommunen – größtenteils auf alten Bahntrassen. Es erleichtert Pendelwege und bereichert gleichzeitig das touristische Angebot, das durch verschiedene überregionale Themenrouten ergänzt wird. Da Radwege nicht an Gemeindegrenzen enden, sind der Austausch mit Nachbarkommunen und eine enge Abstimmung mit dem Kreis für uns selbstverständlich. Solche Kooperationen machen den Radverkehr im ländlichen Raum attraktiver, sie stärken die Region.

Über drei Millionen Euro hat Wettringen in den vergangenen Jahren in den Radverkehr investiert, weitere Mittel werden bereitgestellt. Grundlage dafür waren häufig Fördermittel – etwa vom Land Nordrhein-Westfalen oder vom Bund. Ohne diese Unterstützung wäre vieles nicht umsetzbar gewesen. Entscheidend dabei sind eine frühzeitige Planung sowie insbesondere die enge und einvernehmliche Zusammenarbeit von Rat und Verwaltung. Wichtig ist auch die breite Akzeptanz in der Bürgerschaft – die ist in unserer Gemeinde, nur wenige Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt, gegeben. Jeder Haushalt verfügt über mindestens eine Fietse.

Sichere Schulwege für die Kleinen in Wettringen

In Wettringen gehört das Fahrrad einfach dazu. Kinder lernen früh, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen, nicht zuletzt dank guter Schulwege und verkehrsberuhigter Bereiche in fast allen Wohngebieten. Aktionen wie Schul- und Stadtradeln sowie geführte Touren und Radfahrangebote zeigen deutlich die breite Zustimmung zu dieser Form der Fortbewegung. Die Einrichtung von Fahrradstraßen wurde positiv aufgenommen, Zustimmung durch Politik und Bürgerschaft sind gewährleistet.

Der wichtige Mobilitätsbaustein „Fahrrad“ wird anerkannt. Das zeigt sich auch in der Nutzung: Laut Mobilitätsbefragung 2022 werden in Wettringen rund ein Drittel aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt – ein Spitzenwert, insbesondere im ländlichen Raum, in dem Mobilität oft stark vom Auto abhängig ist.

Radfahren als Mentalität

Fahrradfreundlichkeit ist keine Frage von Prestigeprojekten, sondern eine Frage der Haltung, sie trägt zur Lebensqualität bei. Wer Alltagswege verbessert, Radverkehr vorlebt, mitdenkt und regionale Kooperationen fördert, legt die Grundlage für nachhaltige Mobilität. Kleine durchdachte Maßnahmen wie sichere Querungen, Radservicestationen, E-Bike-Ladesäulen und über 20 tolle Schutzhütten an den Radwegen, gebaut und gepflegt von engagierten Nachbarschaften, schaffen Vertrauen in den Radverkehr.

Der Titel „fahrradfreundlichste Gemeinde“ freut uns umso mehr, als er von Bürgerinnen und Bürgern verliehen wird; dies ist keine Entscheidung der Politik, sondern eine der Basis. Wir möchten weiterhin klimafreundlich, bürgernah und nachhaltig handeln – für eine Mobilität, die verbindet.

Berthold Bültgerds


Der Autor

Berthold Bültgerds (CDU) ist Bürgermeister der Gemeinde Wettringen im Münsterland (Nordrhein-Westfalen).


Wie läuft es mit dem Rad?

Die Ergebnisse des aktuellen Fahrradklima-Tests hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) im Juni bekanntgegeben. In der Kategorie „Gewinnerstädte bis 20.000 Einwohner“ erreichte Wettringen den ersten Platz, gefolgt von Reken, Olfen und Frankenberg (Eder).

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