Ende Oktober 2024 hat eine deutsche Dorfgemeinschaft die digitale Welt erobert: Noch vor Hongkong wurde Etteln als beste „Smart City“ weltweit ausgezeichnet. Eine Geschichte, die nicht nur andere „Kleine“ inspirieren kann.

Smart City-Angebote wie eine Dorf-App, vernetzte Fahrangebote oder die Arbeit mit einem digitalen Zwilling gehören im Digital- und Energiedorf Etteln inzwischen zum Alltag. Idyllisch gelegen im Altenautal, sorgte der Ortsteil der Gemeinde Borchen in Nordrhein-Westfalen im Spätherbst 2024 für Furore.
Mit seinem Bewerbungsvideo „Digital Village Twin Etteln“ überzeugte das 2000-Seelen-Dorf im Kreis Paderborn die 16-köpfige Jury des 10. IEEE Smart Cities Contest 2024 und wurde als beste „Smart City“ weltweit ausgezeichnet. Und das vor Hongkong auf Platz zwei und der Millionenstadt Pune auf Platz drei. Die Auszeichnung wird im Rahmen eines internationalen Smart-City-Wettbewerbs des weltgrößten Ingenieurverbands für Elektrotechnik und Informatik (IEEE) verliehen.
Engagierte Weiterentwicklung
„Die Transformation zum digitalstenDorf in Deutschland hat vor zehn Jahren begonnen, und ich bin stolz auf die vielen ehrenamtlichen Helfer, Vereine und Organisationen, die hierzu beigetragen haben“, sagt Ulrich Ahle, Ortsvorsteher in Etteln. „Gemeinsam ist es uns gelungen, eine traditionell hohe Bereitschaft zur ehrenamtlichen Arbeit aus der analogen in die digitale Welt zu übertragen und auf dieser Reise alle Generationen mitzunehmen.“
Smart City Etteln
Ettelns Bewerbungsvideo mit Eindrücken von der Preisverleihung beim 10. IEEE Smart Cities Contest 2024 ist zu sehen auf:
www.youtube.com/watch?v=j3F5n-HaWcQ
Die Auslöser damals: Der Ortsteil galt als unattraktiv, und die Schließung der Grundschule drohte, weil die Schülerzahlen zu niedrig waren. Der daraufhin gegründete Verein Etteln-aktiv setzte sich mit Erfolg für den Erhalt der Grundschule ein. Von 2013 bis 2015 koordinierte der Verein dann die „Anschwung-Initiative“. Sie arbeitete die Stärken und Schwächen des Ortes heraus und legte damit einen wichtigen Grundstein für die Weiterentwicklung. Als 2017 für ganz Borchen das Integrierte Kommunale Entwicklungskonzept (IKEK) erarbeitet wurde, kombinierte Etteln es mit den Ergebnissen aus der Anschwung-Initiative und entwickelte Projektideen – davon einige unter Einbeziehung digitaler Technologien.
Das ganze Dorf Etteln packt mit an
Das Beeindruckende daran: Das ganze Dorf packt mit an und zieht an einem Strang. Ein Beispiel ist die ehrenamtliche Verlegung von 30 Kilometer Glasfaser durch die Dorfgemeinschaft in all die Haushalte, die bei der Glasfaserverlegung 2018 in Etteln als nicht wirtschaftlich erachtet wurden. Das Ergebnis: Inzwischen verfügt Etteln über Glasfaser „bis zur letzten Milchkanne“ sowie ein Funknetz (LoRaWAN).
Auch bei der nachhaltigen Energieversorgung ist Etteln in der Zukunft angekommen: Ein Mix aus Wind, Sonne und Biomasse produziert das 34-Fache des Ettelner Energiebedarfs. In einer Batterie wird die Energie der Solaranlagen gespeichert und ins Netz eingespeist, wenn die Sonne nicht scheint. Etteln hat bei einem örtlichen Stromanbieter inzwischen einen eigenen Stromtarif, der 30 Prozent unter dem Grundversorgertarif liegt. Außerdem gehört es zum Testfeld des Use Case Energie zum Aufbau des Dateninstituts der Bundesregierung.
Für eine bessere Kommunikation mit und unter den Bürgern gibt es die Ettelner Dorf-App. Finanziell gefördert wurde sie im Rahmen des Zukunftsforums „Digitalisierung auf dem Lande“ über das LEADER-Programm der EU. Die Informationen der Dorf-App sind nicht nur auf dem Smartphone einsehbar, sondern auch an den drei im Dorf aufgestellten Digitalanzeigen.

Vernetzte Mobilität in der Smart City Etteln
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Mobilität. Neben einem elektrischen Lastenrad verfügt Etteln über ein elektrisches Dorfauto, das ebenfalls über das LEADER-Programm der EU gefördert wurde. Beide sind mit dem Internet verbunden und können kostenlos genutzt werden. Hinzu kommt eine digitale Mitfahrbank, deren Anfragen digital und in der Dorf-App angezeigt werden.
Einen wichtigen Schritt in Richtung Smart City stellt die Entwicklung eines digitalen 3-D-Modells der Stadt dar: der sogenannte digitale Zwilling. In das Modell fließen Informationen von Sensoren im Dorf und der Umgebung – Informationen zu Grundwasserstand, Flusspegel, Bodenfeuchtigkeit oder Niederschlagsmenge.
Mit diesen Daten können etwa Hochwasser simuliert oder ein Hochwasserfrühwarnsystem eingerichtet werden. Basierend auf seiner Digitalisierungsstrategie „Digitaler Dorf Zwilling 2030“ konnte Etteln hierfür neben dem LEADER-Projekt sechs weitere Förderprojekte auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene gewinnen.
Mit Blick auf die öffentliche Gefahrenabwehr soll künftig eine autonom fliegende Drohne die Freiwillige Feuerwehr unterstützen. Im Fall eines Alarms wird sie von der Kreisleitstelle zum Einsatzort losgeschickt und kann der Feuerwehr bereits auf dem Weg dorthin erste Bilder und wichtige Informationen liefern.
Bei allen Fördermitteln, Technologien und Digitalisierung wäre die Erfolgsgeschichte ohne die Ettelner Dorfgescheinschaft kaum möglich gewesen. Dazu gehört auch die Einbindung aller Bürgerinnen und Bürger in die Projekte.
Smart-City-Ideen für alle Altersgruppen
Die Jüngeren bindet die „Morgenmacher Campus Party“ in die Gestaltung der digitalen Zukunft des Dorfes und der gesamten Gemeinde ein. Ein LEGO-Modell des Dorfes, das derzeit noch mit Technik versehen wird, soll ihnen die Digitalisierung nahebringen.
Das Gegenstück, der „Senioren Computer Club“, ermöglicht älteren Menschen den Zugang zur Nutzung digitaler Medien. Vorgesehen ist zudem ein „Mobiler Digitaler Assistenzkoffer“. Mit ihm sollen Ältere und Menschen mit Beeinträchtigungen digitale Produkte, die den Alltag erleichtern, direkt in ihrer Umgebung kennenlernen können. Finanziert werden die LEGO-Ortsteil-Modelle sowie der „Mobile Digitale Assistenzkoffer“ mit Fördermitteln für Kleinprojekte des Südlichen Paderborner Landes.
Bei all dem soll es nicht bleiben – Etteln hat bereits das nächste Zukunftsprojekt im Blick: ein kleines, selbstfahrendes Auto, das in der Simulation bereits die Kirchstraße entlangdüst.
bk/Red.