Um nachhaltig und zukunftsfähig zu werden, spielt Technologie eine zentrale Rolle, aber nicht sie allein: Smart City heißt mehr als Digitalisierung, betont Peter Schaar. Welche Akzente will der Datenschutzexperte setzen – und wie sind deutsche Städte auf dem Weg zur Smart City aufgestellt?
Der Titel Ihres neuen Buchs lässt Skepsis deutlich anklingen, wenn auch mit einem Fragezeichen: „Schöne neue Stadt. Überwachungsalbtraum Smart Cities?“ Sie verweisen auf Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ und George Orwells „1984“ – was steckt für Sie in der Vision der Smart City?
Peter Schaar: Es gibt unterschiedliche Smart-City-Visionen. Die eine Vision ist in erster Linie technologisch bestimmt und versucht, eine perfekt funktionierende Stadt zu realisieren. Idealerweise eine bereits nach entsprechenden Designprinzipien architektonisch und infrastrukturell so geplante Stadt. Solche Visionen sind im asiatischen Raum realisiert worden, beispielsweise Songdo in Südkorea. Auch in anderen Teilen der Welt gibt es vergleichbare Projekte. Von diesen technologiezentrierten Visionen halte ich wenig. Sie funktionieren auch nicht wirklich, haben für mich eher dystopischen Charakter. Solche Städte sind eher Maschinen und blenden die wichtigsten sozialen Faktoren weitgehend aus, die für mich eine Stadt ausmachen. Urbanität ist mehr als eine digitale, perfekt funktionierende Infrastruktur.
Welche Alternative gibt es?
Schaar: Hier ist eine umfassende Sichtweise grundlegend, wie sie etwa in der Smart City Charta zum Ausdruck kommt, die in Deutschland und Europa stark vertreten wird. Auch dabei sollen die zen-tralen Funktionen der Stadt optimiert und technologisch unterstützt werden – aber die Technologie wird in ein umfassendes Entwicklungskonzept eingebettet. Es gibt in vielen Städten und Gemeinden Projekte, kleine Puzzlesteine, die sich zunehmend zu einem Ganzen formen. Solche Konzepte sind nicht top-down strukturiert, sondern entwicklungsoffen: für Beteiligungsprozesse genauso wie für technologische Lösungen. Ein Beispiel mit Vorbildcharakter ist Barcelona. Dort bemüht man sich seit Jahrzehnten um bürgernahe Lösungen und hat schon viel erreicht. Solche bürgerfreundlichen, an den wesentlichen Stadtfunktionen orientierten Ansätze unterstütze ich sehr.
Wie kann eine Stadt funktionieren, wenn man sie als Smart City plant?
Schaar: Eine in dieser Hinsicht neu geplante Stadt müsste die wesentlichen Stadtfunktionen in den Mittelpunkt stellen und nicht die Technologie. Die Technologie hat in erster Linie eine dienende Funktion und ist kein Selbstzweck. Bei Projekten unter der Schirmherrschaft multinationaler Konzerne ist das häufig leider anders. Da geht es letztlich um eine aus dem Kontext gelöste, synthetische Stadt, die überall gleich aussieht: eine Stadt von der Stange sozusagen, egal ob in Island oder China, ob mitten auf dem Land oder an der Küste. Das trägt den Bedürfnissen der Menschen nicht Rechnung und wird deshalb nur sehr schlecht angenommen.
Smart City heißt Digitalisierung. Das muss aber nicht permanente Überwachung wie in China bedeuten, sagen Sie und nennen auch hier Barcelona als Beispiel. Was macht die Stadt richtig?
Schaar: Barcelona hat mehrere Entwicklungsprinzipien realisiert. So wurden zum einen die Menschen durch unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung in die Projekte einbezogen. Der zweite Aspekt ist die Sammlung und Auswertung von aus unterschiedlichen Quellen stammenden Daten, um die Stadt weiterzuentwickeln, ohne dass dies zu einem Überwachungsalbtraum wird. Die Kontrolle über die Daten liegt nicht bei einzelnen Unternehmen, sondern sie wird kommunal organisiert. Die Daten werden in gemeinschaftlichen, städtischen Datenplattformen konsolidiert und in anonymisierter Form der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Das ist der Gedanke von Open Data, den Barcelona durch Open Source ergänzt. Dabei werden den Bürgern sowie Unternehmen offene Schnittstellen zur Verfügung gestellt, um in der Stadt Dienstleistungen wahrnehmen und entwickeln zu können. Der dritte Aspekt ist die Entwicklung klarer Ziele, die von den Menschen verstanden werden.
Können Sie für diese Ziele ein Beispiel nennen?
Schaar: Ein Beispiel ist das ebenfalls aus Barcelona stammende Prinzip der 15-Minuten-Stadt: Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen jede wesentliche Dienstleistung – egal ob Bürgeramt oder Friseur – innerhalb kurzer Zeit erreichen können. Und zwar auch zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein solcher Ansatz wäre ebenfalls für deutsche Städte attraktiv, und ich freue mich darüber, dass darüber auch bei uns – etwa in Hamburg – diskutiert wird.
Wie viel Barcelona sehen Sie bereits in Deutschland?
Schaar: Das ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Einige der dort entwickelten Grundsätze scheinen inzwischen auch bei uns Konsens zu sein, beispielsweise die Beteiligung von Betroffenen an Smart City-Projekten. Auch im Hinblick auf transparentes Verwaltungshandeln gibt es Fortschritte. Der Bund und die meisten Bundesländer haben inzwischen Informationsfreiheitsgesetze. Zum Beispiel gibt es in Hamburg ein Transparenzregister, in das bereits viele Daten einfließen, die von jedermann abgerufen werden können. Manches ist aber allenfalls rudimentär vorhanden, etwa bei der Konsolidierung kommunaler Daten aus unterschiedlichen Bereichen. Hinzu kommt eine Vielzahl an kleinen und sinnvollen Projekten, die letztlich über die Akzeptanz der Smart City entscheiden werden.
Sie plädieren für einheitliche und übergreifende Strukturen bei Bund, Ländern und Kommunen auf dem Weg zur Digitalisierung. Welche Möglichkeiten gibt es aus Ihrer Sicht zur Vereinheitlichung, um hier weiterzukommen?
Schaar: Beispielsweise ein Identifikationsverfahren, das wir beim Staat verwenden können, wenn wir Leistungen in Anspruch nehmen oder uns an Prozessen beteiligen wollen. Die digitale Identifikation kann man datenschutzgerecht gestalten. Leider wird die Bund-ID von den Ländern nur wenig genutzt, weil viele ihre eigenen Verfahren haben und daran festhalten. Ich habe den Eindruck, dass der echte Wille und die Kraft zu gemeinsamen Lösungen fehlen. Diese brauchen wir aber, damit es mit der Digitalisierung vorangeht.
Zum Weiterlesen
Mehr zu den Themen digitale Transformation, Big Data, Datenschutz und moderne Stadtentwicklung ist nachzulesen in Peter Schaars neuem Buch: Schöne neue Stadt. Überwachungsalbtraum Smart Cities? Hirzel, 2024.
Stehen also sowohl die Bürokratie als auch der Föderalismus im Weg?
Schaar: Unterschiedliche und sich überlappende Zuständigkeiten sind ein großes Problem. Unabhängig davon gibt es aber städteübergreifende Ansätze, etwa das Connected-Urban-Twins-Projekt, bei dem Hamburg, München und Leipzig sich miteinander austauschen und voneinander lernen. Wichtig wäre auch, Digitalisierung und Smart City nicht nur als IT-Thema, sondern als Stadtentwicklungsthema zu verstehen. Weg von der Vorstellung, wie viel digitalisiert werden muss, hin zu der Fragestellung, was wir erreichen wollen – und das dann auch umsetzen. Die Smart City muss viel stärker als politisches Thema verstanden werden, als „Chefsache“, die nicht an eine IT-Abteilung delegiert werden kann.
Datenschutz ist für Sie das Thema, das Sie besonders im Blick haben. Inwiefern muss er beim Aufbau einer Smart City von Anfang an mitgedacht werden?
Schaar: Der Datenschutz sollte nicht als lästiges Add-on betrachtet werden, sondern als integrales Entwicklungsziel, das die Souveränität und Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger sichert. Das führt zu Erkenntnissen auf zwei Ebenen: zum einen, dass der Datenschutz personenbezogene Daten für Dienstleistungen von Kommunen und ihren Unternehmen so gut wie möglich gegen unbefugten Zugriff sichern muss. Zum anderen werden die Daten, die allgemein gesammelt werden, etwa über die Sensorik, in möglichst anonymisierter Form in einer kommunalen Datenplattform zusammenfasst. Sie können dann der Öffentlichkeit zur weiteren Verwendung zugänglich gemacht werden.
Welche Gesetze und Sicherheitsmaßnahmen sollten in einer Smart City die Persönlichkeitsrechte der Bürger schützen, um die Gefahr einer Totalüberwachung zu verhindern?
Schaar: Wir haben diese Gesetze bereits: EU-Datenschutzgrundverordnung, Bundes- und Landesdatenschutzgesetze. Der entscheidende Punkt ist, die vielen Gesetze und Datenschutzregelungen, die wir haben, stärker miteinander zu harmonisieren. Ergänzend sinnvoll wären kommunale Regelungen, die festlegen, wie eine Gemeinde oder Stadt mit ihrer kommunalen Datenplattform umgeht, wer darauf zugreifen kann und welche Nutzungsbedingungen dafür gelten.
Im weltweiten Vergleich hinkt Deutschland bei der Digitalisierung in vielen Bereichen hinterher. Was muss sich verändern, damit die Digitalisierung schneller vorankommt?
Schaar: Zugunsten des weiteren Vernetzungsgedankens muss die eifersüchtige Wahrung von Zuständigkeiten zurückstehen. Mir geht es nicht darum, den im Grundgesetz verankerten Föderalismus abzuschaffen, doch ist da mehr möglich als bisher.
Zur Person
Peter Schaar war stellvertretender Datenschutzbeauftragter in Hamburg und von 2003 bis 2013 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Er ist Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID).
Interview: Birgit Kalbacher