Junge Menschen sind die Zukunft der Gesellschaft, machen aktuell aber nur einen eher kleinen Teil der Bevölkerung aus. Wie werden sie wahrgenommen? Welche Rolle spielen ihre Bedürfnisse? Wie kinderfreundlich sind Kommunen? Fragen an den Kinderrechte-Experten Dominik Bär.

So gut das Wort „kinderfreundlich“ klingt: Je genauer man hinschaut, desto unklarer scheint es zu werden – was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Dominik Bär: Das ist tatsächlich nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Begriff „kinderfreundlich“ ist nicht geschützt und wird unterschiedlich verwendet. Der Verein Kinderfreundliche Kommunen beruft sich auf die UN-Kinderrechtskonvention: Sie beinhaltet unter anderem das Recht auf Freizeit, Bildung und Schutz vor Gewalt – für unsere Arbeit ist dabei zentral, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen möglichst breit in einer Kommune umgesetzt werden. Um das Prädikat „kinderfreundlich“ zu erhalten, reicht es also nicht, dass einige wenige Aspekte berücksichtigt sind.
Was ist mit der umfassenden Umsetzung gemeint?
Bär: Bei Rechten für Kinder und Jugendliche denken viele erst mal an Kindergärten, Spielplätze und Jugendämter. Es geht aber um sehr viel mehr, bei den Strukturen ebenso wie bei Details. Zum Beispiel die Themen Mobilität und Umweltschutz. Wenn Luftschadstoffe gemessen werden, geschieht das in der Regel auf einer Höhe von zweieinhalb Metern. Kinder im Kinderwagen oder an der Hand der Eltern sind aber sehr viel kleiner – sie atmen dort, wo die Schadstoffbelastung oft höher ist als weiter oben. Oder der ÖPNV im ländlichen Raum: Die Fahrpläne sind in der Regel auf Schulzeiten und den Berufsverkehr eingestellt – Kinder und Jugendliche wollen aber nachmittags den Bus nehmen. Es braucht eine Taktung, die auch auf sie abgestimmt ist. Es geht darum, dass in allen Lebens- und Arbeitsbereichen einer Kommune die Rechte und Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt werden.
Ihr Verein begleitet Städte und Gemeinden bereits seit 13 Jahren – wie steht es um die Kinderfreundlichkeit der Kommunen in Deutschland?
Bär: Intensiven Kontakt haben wir zu den Kommunen, die auf uns zukommen, die also bereits für dieses Thema sensibilisiert sind, Strukturen verändern und Angebote schaffen wollen – und die dafür auch Geld ausgeben können und wollen. Insgesamt gibt es das gesamte Spektrum. Es gibt Leuchttürme in der Kinder- und Jugendarbeit wie auch Strohfeuer – und insgesamt kann man sagen, dass im Bereich der Kinderrechte viel Spielraum ist: Aus unserer Sicht muss viel passieren.
Woran liegt es, dass so viel Luft nach oben ist?
Bär: Zum einen fehlt das Bewusstsein für die Bedeutung von Kinderrechten. Viele glauben fälschlicherweise, dass es hier um eine freiwillige Leistung geht. Tatsächlich gilt die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland seit 1992 und hat den Rang eines einfachen Bundesgesetzes – nur hat es meist keine Folgen, wenn Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sich in der kommunalen Arbeit kaum wiederfinden. Zum anderen: Das Thema Geld spielt eine zentrale Rolle. Nachdem Kinder und Jugendliche schon einen besonders hohen Preis während der Corona-Pandemie zahlen mussten, sind sie jetzt stark von den finanziellen Engpässen in den Kommunen betroffen.
Was ist wichtig, wenn Kommunen die Aufgabe Kinderrechte meistern wollen?
Bär: Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es sich um ein weites Feld handelt: Es geht um die Bedürfnisse von Menschen zwischen null und 18 Jahren – allein die Altersspanne zeigt, wie groß die Aufgabe ist. Zudem geht es um eine Vielzahl unterschiedlicher Bedürfnisse. Es geht ebenso um Mobilität und Grünflächenplanung wie um Teilhabe und Monitoring, also darum, dass man nicht einmal etwas für Kinder und Jugendliche plant, sondern auch im Blick hat, dass es umgesetzt wird. Das heißt auch, dass alle Ämter einbezogen werden, das Tiefbauamt zum Beispiel für die Mobilität oder das Ordnungsamt für die Themen Sicherheit und Sauberkeit. Und das heißt wiederum, die Leitenden wie die Mitarbeitenden für die Bedeutung der Kinderrechte zu sensibilisieren, sie konkret umzusetzen und kontinuierlich dranzubleiben.
Was erfahren Sie bei Ihrer Arbeit vor Ort: Welche Themen sprechen Kinder und Jugendliche selbst an?
Bär: Die Mobilität im ländlichen Raum ist ein sehr großes Thema – dazu gehört der ÖPNV ebenso wie ein Radwegenetz, das nicht nur auf Touristen, sondern auch auf Kinder und Jugendliche abgestimmt ist. Sicherheit und Sauberkeit sind zentrale Themen. Und ebenso fehlende Freizeitmöglichkeiten.
Gibt es Projekte, die hervorstechen und von denen Sie sich wünschen, dass sie gesehen und auch kopiert werden?
Bär: Die gibt es. Zum Beispiel Remchingen: Dort setzen sich alle achten Klassen mit dem Thema Mitbestimmung auseinander. Das heißt: Jedes Kind, das in Remchingen zur Schule geht, macht mindestens einmal Erfahrungen damit, was Beteiligung ist und wie man sich einbringen kann, macht also erste Erfahrungen mit wesentlichen Elementen der Demokratie. Ein ganz anderes, aber ebenfalls sehr gutes Projekt sind die Rufbusse in Wedemark bei Hannover: Dieses On-Demand-Angebot ist ein wichtiges Angebot auch und gerade für Kinder und Jugendliche.
Was braucht es, damit Maßnahmen bei den Kindern und Jugendlichen selbst ankommen?
Bär: Man sollte im Blick haben, dass Kinderarbeit immer Beziehungsarbeit ist – Kinder und Jugendliche müssen merken, dass sie ernst genommen werden und dass sich tatsächlich etwas verändert. Dann sind sie meist mit großem Engagement dabei.
Was ist mit Blick auf die Kommunen wichtig?
Bär: Kinderrechte gehören zu den Themen, bei denen interkommunaler Austausch viel bewirken kann. Es gibt bereits gute Ideen und Projekte, das Rad muss nicht neu erfunden werden. Man kann sich vieles von anderen abschauen, von anderen lernen und die eigenen Erfahrungen wiederum weitergeben. Entscheidend ist: anfangen und dranbleiben.
Interview: Sabine Schmidt

Zur Person
Dominik Bär ist Geschäftsführer des Vereins Kinderfreundliche Kommunen, einer Tochterorganisation von unicef und Deutsches Kinderhilfswerk.