Einzelhandel profitiert von innerstädtischen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung

Der Wegfall von Parkplätzen und Straßenraum zugunsten von Radfahrern und Fußgängern führt nicht selten zu Diskussionen zwischen kommunaler Verwaltung und dem stationären Innenstadthandel. Eine aktuelle Analyse des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) in Berlin kommt nun zu dem Ergebnis, dass dies nicht automatisch zu Kundenverlusten und Umsatzeinbußen führt. Im Gegenteil: Demnach profitiert auch der Handel von Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung.

Maßnahmen zu Verkehrsberuhigung
Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, Grünflächen sowie Plätze und Cafés zum Verweilen erhöhen die Attraktivität der Innenstädte – und mehr Besucher sorgen auch für höhere Umsätze beim Einzelhandel. Foto: Adobe Stock/ArTo

Von der wachsenden Konkurrenz durch den Online-Handel bis hin zur Suche nach geeigneten Nachfolgern – der Einzelhandel steht vor großen Herausforderungen. Hinzu kommen immer häufiger verkehrsberuhigte Innenstädte und Fußgängerzonen, mehr Grün anstelle von Parkplätzen und Forderungen nach weniger Autoverkehr in der Stadt, in denen der Einzelhandel im öffentlichen Diskurs zusätzliche Hindernisse sieht. Dass Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung kein Problem sein müssen, sondern zur Lösung beitragen können, zeigt eine neue Analyse des Difu. Diese nimmt die Auswirkungen solcher Maßnahmen auf den Einzelhandel in den Blick. Die Ergebnisse der am Difu ausgewerteten empirischen Studien und Praxisberichte aus dem In- und Ausland liegen nun online als Difu-Policy-Paper vor.

Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung für bessere Aufenthaltsqualität

„Die Analyse der empirischen Studien aus dem In- und Ausland zeigt, dass es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen und einer wirtschaftlichen Schlechterstellung des Einzelhandels gibt“, wird Difu-Studienleiterin Michaela Christ in der aktuellen Pressemitteilung des Difu zitiert. „Die Studien und Praxisberichte zeigen vielmehr: Ein attraktiver öffentlicher Raum zieht Menschen an, lädt zum Bummeln und Verweilen ein und kommt damit auch dem Einzelhandel zugute.“ Schließlich sei für die Umsatzentwicklung vor allem die Kundenfrequenz relevant.

Eine weitere zentrale Erkenntnis aus den untersuchten Studien ist, dass Radfahrende und Fußgänger pro Besuch zwar weniger Geld ausgeben als Menschen, die mit dem Auto zum Einkaufen fahren. Da sie den Einzelhandel jedoch häufiger aufsuchen, sorgen sie insgesamt für einen höheren Umsatz. Von Umgestaltungen zugunsten des Fuß- und Radverkehrs profitiere daher auch der Einzelhandel.

„Wichtig für den Erfolg von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen ist, dass die Erreichbarkeit des Einzelhandels auch unabhängig vom Auto sichergestellt ist“, sagt Michaela Christ. Hierfür müssen die Alternativen zum Auto – also ÖPNV sowie Rad- und Fußverkehr – langfristig gestärkt und ihre Nutzung attraktiver gemacht werden. Als Beispiele werden in der Analyse die Städte Straßburg und Amsterdam genannt: Dort werden Parkgebühren mit ÖPNV-Tickets kombiniert. Das ermöglicht es auch Familien aus dem Umland preiswert in die Stadt zu kommen. Innerstädtisch lässt sich die Erreichbarkeit ohne eigenes Auto durch die Förderung des Fuß- und Radverkehrs sowie günstige Tickets für den ÖPNV verbessern.

Attraktivität steigern durch bessere Parkraumbewirtschaftung

Ein weiteres Instrument zur Steigerung der Attraktivität der Innenstädte, von dem insbesondere die Kommunen Gebrauch machen können, ist eine Optimierung der Parkraumbewirtschaftung. Die Parkraumbewirtschaftung stellt die Erreichbarkeit der Innenstädte auch für Menschen sicher, die auf den Pkw angewiesen sind. „Es ist ja im Interesse des Einzelhandels, dass der vorhandene Parkraum nicht durch Dauerparkende belegt wird, sondern der Kundschaft für ihre Einkäufe zur Verfügung steht“, erklärt Difu-Wissenschaftlerin Uta Bauer. „Durch Parkraumbewirtschaftung werden genau diese wichtigen Potenziale aktiviert. Darüber hinaus kann der Straßenraum durch eine Reduzierung der Parkplätze für vielfältige Nutzungen geöffnet werden, die das längere Verweilen für die Kunden attraktiver machen.“

Laut Studie zeigen Untersuchungen, dass in den meisten Städten ausreichend Parkmöglichkeiten vorhanden sind und sogar bis zu 50 Prozent der Stellplätze in Parkhäusern selbst zu Spitzenzeiten ungenutzt bleiben. Diese Potenziale gelte es auszuschöpfen. Möglich sei dies etwa mit einer systematischen und strategischen Planung, Steuerung und Überwachung der Nutzung öffentlicher
Parkflächen.

Moderne Parkleitsysteme und Apps verringern den Parksuchverkehr

Um das Problem von Dauerparkenden zu lösen, können differenzierte Parkgebühren und zeitliche Begrenzungen die Rotation auf den Stellflächen erhöhen. Rabatte auf Parkgebühren beim Einkauf in Geschäften machen die Parkhausnutzung attraktiver. Darüber hinaus helfen moderne Technologien wie Apps oder Parkleitsysteme den Kommunen nicht nur bei der Auswertung und regelmäßigen Anpassung ihres Parkraummanagements, sondern unterstützen auch die Autofahrer bei der schnellen Parkplatzsuche. Erhebungen aus Wien zeigen, dass mit der Einführung solcher Systeme die durchschnittliche Suchzeit auf ein Drittel reduziert werden konnte. Laut Studie führt „ein effizient gesteuertes Parkraummanagement zu einer besseren Auslastung der städtischen Infrastruktur, steigert die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten und stärkt damit auch den Einzelhandel, da eine lebenswerte und gut erreichbare Innenstadt langfristig mehr Besucherinnen und Besucher anzieht.“


Analyse zu Verkehrsberuhigung und Einzelhandel

Das Difu Policy Paper, Bd. 5 „Verkehrsberuhigung und Einzelhandel: Dann wird’s laut“ von Uta Bauer, Michaela Christ, Levke Sönksen, Louis Gabriel Pfitzinger kann kostenlos heruntergeladen werden.


Allerdings spielt nicht nur der Weg in die Stadt eine wichtige Rolle. Mindestens ebenso wichtig ist die Aufenthaltsqualität, welche die Menschen schließlich in der Stadt verweilen lässt. So profitiere der Einzelhandel am Ende auch dort, wo sich Menschen gern aufhalten und sich wohlfühlen, ohne konsumieren zu müssen. Dies gelinge, wenn bei der Planung der Innenstädte der Mensch in den Mittelpunkt gestellt werde – so formuliert es der dänische Architekt und Planer Jan Gehl. Sein Erfolgsrezept: Straßen und Plätze als Orte gestalten, an denen man sich begegnen kann, wo es Schatten und Sitzgelegenheiten gibt, wo Atmosphäre, Erlebnis, Begegnung und Kommunikation im Mittelpunkt stehen.

Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung mit allen Akteuren gemeinsam angehen

Angesichts der zunehmenden Verkehrsbelastungen und ihren negativen Folgen für Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und Wohlbefinden ist eine Umgestaltung des Straßenraums zugunsten des Umweltverbundes – ÖPNV, Rad- und Fußverkehr – keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“. „Um von den Vorteilen der Verkehrsberuhigung zu profitieren, sollten sich Einzelhandel und Interessenverbände dafür stark machen, dass positive Beispiele der Verkehrsberuhigung in ihrer Kommune aufgegriffen und an die jeweilige städtische Situation angepasst werden“, empfiehlt Christ. Damit dies gelinge, seien zudem passende Beteiligungsmaßnahmen und professionelle Kommunikation wichtig.

red.

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