Wir brauchen eine radikale Bauwende – Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber im Interview 

Leidet unter einer schnellen Aufforstung, die notwendig ist, nicht die Biodiversität der Wälder?

Schellnhuber: Am klimaangepassten Waldumbau und der Wiederaufforstung degradierter Flächen führt aus Sicht der Umweltforschung kein Weg vorbei. Das heißt, gerade weil wir die Lebensbedingungen der Wälder durch den Eingriff ins Klimasystem so massiv verändern, müssen wir proaktiv den Ökosystemen helfen, sich an die Erderwärmung anzupassen. Dass dies nicht durch die Ausweitung von Monokulturen geschehen kann, versteht inzwischen jeder Laie.

Tatsächlich kann eine konstruktive Intervention vielerorts sogar den Raubbau der Vergangenheit wiedergutmachen: An die Haine rund ums Mittelmeer wurde für den Schiffbau schon in der Antike die Axt angelegt; die Sahelzone war in weiten Teilen eine Savannenlandschaft. Die Wiederaufforstung solcher Flächen würde nicht nur dem Klimaschutz dienen, sondern auch wertvolle Ökosysteme wiedererstehen lassen.

Zurück zum Bauen mit Holz: Können auch große Industriegebäude, Fabrikhallen etc. mit Holz und ohne den Einsatz von Stahlbeton gebaut werden?

Schellnhuber: Bei Fundament und Bodenplatte gibt es derzeit noch keine kostengünstige Alternative zum Beton, obgleich bereits neue Ansätze erprobt werden. Ab Oberkante Bodenplatte lassen sich inzwischen auch große Industriegebäude vollständig mit Holz realisieren. Für Furore hat in dieser Hinsicht zuletzt der Schraubenhersteller SWG in Waldenburg gesorgt, der seine neue, 12.800 Quadratmeter große Produktionshalle für Langschrauben, komplett aus Holz gebaut hat. Insgesamt wurden laut SWG etwa 1.800 Kubikmeter Holz verbaut. Dies entspricht eine CO2-Einsparung von rund 3.600 Tonnen gegenüber einer konventionellen Bauweise – bezogen auf eine Nutzungsdauer von 50 Jahren.

Auch wenn Hybridkonstruktionen aus unterschiedlichen Holzwerkstoffen oder Kombinationen von Holz mit anderen Baustoffen wie Beton oder Stahl das alltägliche Bauen heute prägen, sind in den letzten Jahrzehnten eindrucksvolle Gebäude mit einer Primärkonstruktion aus Holz entstanden. Etwa der Odate Dome in Japan von Toyo Ito als Bogentragwerk mit einer Spannweite von 178 Metern. Die spektakulärste Entwicklung ist inzwischen im mehrgeschossigen Bauen mit Holz zu beobachten. Mit dem H8 in Bad Aibling und dem LifeCycle Tower in Dornbirn sind in Deutschland vor gut zehn Jahren erstmals achtgeschossige Holzgebäude am Rande der Hochhausgrenze entstanden. Deutschlands erstes Holzhochhaus mit zwölf Geschossen ist 2019 im Rahmen der Bundesgartenschau in Heilbronn entstanden. 

Ist die Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit (Brandschutz!) von Stahlbeton nicht höher als von Holz?

Schellnhuber: Feuer, Sturm, Termiten – für all das hält die moderne Holzverarbeitung inzwischen zahlreiche Ansätze bereit. Auch Hochhäuser lassen sich heute schon problemlos organisch konstruieren, zum Beispiel aus Brettsperrholzelementen („cross-laminated timber“). Wenn man die richtigen Materialien und Techniken einsetzt, sind Holzgebäude zudem wesentlich erdbebensicherer als Stahlbeton-Konstrukte. Auch im Kostenbereich liegt der Bau mit organischen Materialien fast schon auf gleichem Niveau wie konventionelles Bauen.

Was raten Sie Unternehmen, die diesen Weg gehen wollen?

Schellnhuber: Kaum ein Unternehmen aus der Baubranche wird ganz am Holzbau vorbeikommen, für viele wird er ein zentrales Geschäftsfeld werden. Solche, die jetzt ernsthaft in organische Architektur und Nachhaltigkeit investieren, sind klar im Wettbewerbsvorteil, auch wenn neue Betonformen weniger klimaschädlich sind. Darüber hinaus können Unternehmen aller Branchen alte Gebäude klimaneutral sanieren und neue Bürokomplexe bzw. Produktionsstätten aus organischen Materialien bauen, um so zusätzliche Kohlenstoffsenken zu bilden. Darüber hinaus können Unternehmen unsere Initiative Bauhaus Erde unterstützen, um auf diese Weise innovatives Denken und Experimentieren für die „Bauwende“ zu fördern.    

Sie haben die eben angesprochene Initiative Bauhaus Erde gegründet, die weltweit u.a. die Substitution von Stahlbeton fordert und vorantreiben will. Wie kann das auf einem Kontinent wie Afrika gelingen, wo in den kommenden Jahren gewiss sehr viel gebaut wird?

Schellnhuber: Der Klimaschutz wird letztlich beim Bauen in den Städten entschieden – zum Guten oder zum Schlechten. Das gilt insbesondere für Afrika, der Weltregion mit dem stärksten Bevölkerungswachstum, wo ca. 80 Prozent aller im 21. Jahrhundert benötigten Gebäude noch errichtet werden müssen! Wenn dies auf konventionelle Weise geschieht, werden erhebliche zusätzliche Mengen an Klimagasen emittiert. Gerade Afrika könnte jedoch mit den dort nachhaltig erzeugten biologischen Rohstoffen klimapositiv bauen und damit einen gewaltigen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Dies sollte der Globale Norden allerdings angemessen honorieren.


Holzbau für die wachsende Bevölkerung

Würden wir die bis 2050 erwartete zusätzliche Weltbevölkerung von etwa zwei Milliarden Bürgern zu 90 Prozent in Stahlbetongebäuden und nur zu 10 Prozent in Holzgebäuden unterbringen, würde dies zusätzliche Emissionen von 71 Gigatonnen CO2äq verursachen. Würden die für diese Menschen benötigten neuen Gebäude dagegen zu 90 Prozent in Holzbauweise errichtet, würden 75 Gigatonnen CO2äq dauerhaft gespeichert und nur sieben Gigatonnen – also nur ein Zehntel der im konventionellen Fall entstehenden Emissionen  – ausgestoßen. Eins plus eins macht zwei – wir würden also im zweiten Szenario knapp 140 Gigatonnen CO2äq einsparen. Fazit: Wenn wir die Waldzerstörung stoppen, den Wald nachhaltig umbauen, großflächig aufforsten und mit Holz statt Beton bauen, wird der Bausektor vom Klimasünder zum Klimafreund.


Interview: Eckart Baier

Zur Person

Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber ist emeritierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), das er 1992 gegründet hat. Er ist Gründer und  Geschäftsführer der Bauhaus Erde gGmbH.