Der Klimawandel schreitet noch schneller voran, als Wissenschaftler befürchtet haben. Was heißt das für den urbanen Raum, der nicht auf Hitze und Starkregen ausgelegt ist? Was sollten Kommunen für die Klimaanpassung tun, um standzuhalten und die Lebensqualität zu verbessern? Antworten von Zukunftsforscher Stephan Rammler.

Der Klimawandel verläuft schneller, als bisher angenommen wurde. Wie ist diese Erkenntnis einzuordnen?
Stephan Rammler: Mit Blick auf die vergangenen Jahre und besonders 2024 zeigt sich, dass die Erderwärmungsdynamik deutlich schneller voranschreitet als erwartet. Auch treten die Folgen schneller auf und sind sehr viel stärker spürbar. Klimawissenschaftler gehen inzwischen davon aus, dass einige Kipppunkte bereits überschritten sind und die Dynamik kaum noch aufzuhalten ist.
Damit reicht Klimaschutz allein nicht mehr aus. Die Städte müssen parallel beginnen, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Was kommt auf sie zu?
Rammler: Die alte Herausforderung war, so schnell wie möglich alles zu tun, um den Klimawandel zu verlangsamen, damit die Dynamik nicht so stark ausfällt. Jetzt zeigt sich, dass viel eher und mehr als erwartet in die Anpassung an die Erderwärmung investiert werden muss. Das sind Zielkonflikte.
Inwiefern?
Rammler: Die Kosten für Klimaanlagen, Sturmbefestigungen oder an Hitze angepasste Infrastrukturen sind andere als die für die Erzeugung von CO2-Neutralität. Es kommt zum Zielkonflikt. Auf diese Debatte, auf diese in den nächsten Jahren anstehende Diskursverschiebung will unsere Studie „Klimabauhaus Berlin“ hinweisen. Dabei konzentrieren wir uns auf die Hauptstadt – unsere Analysen und Konzepte sind aber auf jede andere Stadt übertragbar. Eines der grundlegenden Probleme ist: Die meisten merken zwar, dass sich etwas ändert, realisieren aber nicht, wie schnell es gehen kann. Damit haben die politischen Parteien des rechten Spektrums Erfolg: Sie leugnen den Klimawandel, nicht aber die Notwendigkeit der Anpassung an die Starkwetterereignisse.
Sie plädieren für beides: Klimaschutz und Klimaanpassung.
Rammler: Wir haben aber nur begrenzte Mittel – und gleichzeitig werden europäische Gesellschaften mehr in die Sicherheit und Sicherheitspolitik investieren müssen. Wenn neben Verteidigung und Anpassung außerdem Mittel freigestellt werden müssen, um den Klimawandel einzuhegen, ist zu befürchten, dass der Klimaschutz unter die Räder gerät, und es nur noch um Anpassung geht.
Sie sprechen von einer Herausforderung nicht nur für die nächsten Jahrzehnte, sondern für die nächsten Jahrhunderte, in denen sich die Menschheit stetig wird anpassen müssen. Haben Sie den Eindruck, dass sich viele dessen noch nicht bewusst sind?
Rammler: Zumindest den meisten Wissenschaftlern ist klar, dass der jetzt eintretende Klimawandel sehr langfristige Folgen haben wird. Wenn bestimmte Kipppunkte überschritten werden, lässt sich die Entwicklung nicht mehr zurückschrauben. Wir wissen aus der Klimageschichte der Erde, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre schon einmal sehr hoch war und der Meeresspiegel damals um 100 Meter höher lag als heute. Solche Entwicklungen vollziehen sich nicht von heute auf morgen, sondern in den nächsten 100.000 Jahren. In dieser Zeit wird man sich etwa an die sich verändernden Küstenlinien anpassen müssen.
Klimaanpassung ist bei großen wie kleinen Kommunen notwendig
Ihre Studie bezieht sich auf die Großstadt Berlin mit ihren versiegelten Flächen und Beton. In ihr wird der „Urban Heat Island Effect“ besonders deutlich. Warum sollten kleinere Kommunen, in denen dieser Effekt nicht so ausgeprägt ist, Klimaanpassung dennoch ganz oben auf ihre Agenda setzen?
Rammler: Die Analogie „kleine Kommune, wenig urbaner Hitzeeffekt“ lässt sich nicht automatisch ziehen. Beispiel Ruhrgebiet, eine der europaweit am dichtesten besiedelten Regionen: Dort gibt es viele kleine Kommunen, die zwar aufgelockert bebaut sind, in denen es aufgrund der stark urbanisierten Regionalkulisse dennoch zu Hitzespitzen kommt. Hinzu kommen die Bebauung und der Grad der Oberflächenversiegelung. Prinzipiell stehen alle Kommunen vor ähnlichen Anpassungsherausforderungen an die Erderwärmung.

Inwiefern können die künftigen Klimaextreme nicht nur global, sondern auch innerhalb der Städte zu sozialen Verwerfungen führen?
Rammler: Es ist im Grunde ein Automatismus, dass Menschen mit geringerem Einkommen und Vermögen stärker von der Erderwärmung betroffen sind. Sie leben etwa in Großbausiedlungen wie Marzahn, Hellersdorf oder Lichtenberg in Berlin, in denen die Bausubstanz der Gebäude, die Stadtentwicklung und das Stadtquartiers nicht gut sind. Dort wird es automatisch heißer. Wer in der Innenstadt an einer vielbefahrenen Straße lebt, ist stärker von Lärm und Emissionen betroffen, kann die Fenster nicht öffnen und hat meist keine Klimaanlage. Zum Vergleich: Im wohlhabenden Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf ist es an Sommerabenden im Schnitt fünf Grad kühler als in der Innenstadt.
In Ihrem Szenario kommt es erst gar nicht so weit. Wie kann von Anfang an gegengesteuert werden?
Rammler: In unserem Szenario gibt es in den ärmeren Stadtteilen eine vorausschauende, kluge, sozialgerechte Stadtentwicklungspolitik, die Entlastung schafft, damit Menschen dort weiterhin leben können – beispielsweise mit Begrünung und Fernkühlanlagen. Hinzu kommt zivilgesellschaftliches Engagement. In den Hochhaussiedlungen Berlins wohnen viele alleinstehende, ältere Menschen: Sie können noch allein leben, aber das gelingt nicht mehr, wenn die Hitze kommt. Dann trinken sie zu wenig und wissen sich nicht mehr zu helfen. Hier braucht es die Unterstützung der Zivilgesellschaft, denn der Staat wird das allein nicht mehr bewältigen können. Dafür braucht es eine andere Bürgerkultur, eine andere Bereitschaft und eine andere Offenheit.
Zum Weiterlesen
Stephan Rammler: Klimabauhaus Berlin. Die adaptive Stadt: Berlin als Reallabor der Klimaanpassung. Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Nora Langenbacher. 128 Seiten. Dietz, 2024.
Wie optimistisch sind Sie, dass wir – mit Blick auf das Szenario Klimabauhaus Berlin 20250 – auf einem guten Weg für lebenswerte Städte der Zukunft sind?
Rammler: Wir Zukunftsforscher operieren mit drei Begriffen: den wahrscheinlichen, den möglichen und den visionären oder utopischen Zukunftsbildern. Das im Buch beschriebene Szenario ist ein mögliches Szenario. Es ist technisch und auch finanziell machbar. Es ist politisch immer noch denkbar. Aber es ist nicht wahrscheinlich.
Warum?
Rammler: Weil derzeit die konservativen Kräfte die Hegemonie haben und politisch dominieren. Das sind die, die weiterhin Autos und Parkraum in der Stadt haben wollen und das Klimaproblem mit Klimaanlagen lösen und nicht auf soziale Gerechtigkeit setzen wollen.
Erste Schritte im Bereich der Klimaanpassung sind einfach umsetzbar
Dennoch: Welche ersten Schritte, die langfristig effektiv, kostengünstig und möglichst schnell umsetzbar sind, können Sie hiesigen Kommunen empfehlen?
Rammler: Das ist einfach: die Ausweitung des urbanen Grüns und die Erhöhung der Bodendurchlässigkeit. Das heißt: Bäume und Büsche pflanzen und das Grün wachsen lassen. Es bindet langfristig CO2 aus der Luft und kühlt die Stadt. Doch um Bäume pflanzen zu können, müssen betonierte Oberflächen geöffnet werden. In Berlin ist das ein Zielkonflikt, da für den notwendigen Raum Parkplätze geopfert werden müssten. Das führt zur Debatte zwischen denjenigen, die weiter mit ihren Autos in die Stadt fahren und parken wollen, und denjenigen, die in der Stadt gut leben wollen.
Dazu kommt die Oberflächenentsiegelung.
Rammler: Oberflächen, die wieder entsiegelt werden, können helfen, das Grundwasser in den Städten zu erneuern. Das ist bislang nicht der Fall. Berlin gewinnt einen guten Teil seines Trinkwassers aus Grundwasser und oberflächennahen Fließgewässern. Mit der Oberflächenversiegelung der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Stadt selbst das Grundwasser abgegraben und deswegen ein Versorgungsproblem mit Grund- und Trinkwasser. Hinzu kommt die natürliche Entlastung der Kanalisationssysteme durch die Entsiegelung, deren sonst notwendige Erweiterung sich keine Kommune leisten kann. Ein Teil des Regenwassers kann dann bei Starkwetterereignissen natürlich im Boden versickern. Gleichzeitig kann Oberflächenwasser gesammelt und als Gießwasser für das urbane Grün genutzt werden. Das sind die schlichtesten und kostengünstigsten Maßnahmen und politisch einfach kommunizierbar.
Was ist aus Ihrer Sicht jetzt das Wichtigste?
Rammler: Wir müssen uns bewusst werden, dass jede Kommune und jeder Einzelne seinen Teil beitragen kann. Architektonisch und stadtplanerisch haben wir alles, um sofort anfangen zu können – und genau das sollten wir unbedingt tun.

Zur Person
Professor Dr. Stephan Rammler war von 2018 bis 2023 wissenschaftlicher Direktor des IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin und ist jetzt externer Gesellschafter. An der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig ist er Professor für Transportation Design & Social Sciences.
Interview: Birgit Kalbacher