Wenn Leerräume belebt und Fremde zu Nachbarn werden sollen oder wenn Ämter neue Vorhaben erklären wollen: Austausch und gemeinsame Aktionen können helfen, zusammenzufinden und gemeinsam etwas zu bewegen. Mehr noch – das alles kann man gezielt einsetzen. Wie narrative Strategien die Stadtentwicklung voranbringen, zeigt eine BBSR-Publikation.

Menschen erzählen immer. In ihren Erzählungen steckt viel für die Stadtentwicklung wichtige Information und Alltagsexpertise: Was ist ihnen wichtig und was nicht? Was finden sie gut, und was fehlt ihnen? Wie würden sie es machen, und was finden sie nicht sinnvoll? Mit erzählerischen Strategien und Methoden können Kommunen diese Informationen von ihrer Bürgerschaft erhalten, auch von Gruppen, die sich üblicherweise nicht in Stadtentwicklungsprozesse einbringen.
Umgekehrt haben Stadtplaner oft Mühe, kommunale Planungen verständlich zu machen und plastisch aufzuzeigen, was ihre Vorhaben für den konkreten Alltag der Stadtgesellschaft bedeuten. Das aber ist die Voraussetzung für eine stadtgesellschaftliche Diskussion. Auch hier hilft die Übersetzung aus der Fachkommunikation in alltagsnahe Geschichten.
Narrative Strategien in der Stadtentwicklung: Welche Themen eignen sich?
Erzählen ist einfach, aber erzählerische Prozesse mit der Stadtgesellschaft zu führen, bedarf einiger Vorüberlegungen und Weichenstellungen. Eine Publikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) liefert Beispiele und Hinweise, wie dies vor Ort umgesetzt werden kann: „Stadt erzählen – Stadt gestalten. Narrative Strategien und Methoden in der Stadtentwicklung“.
Nicht alle Themen eignen sich für erzählerische Prozesse. Narrative Strategien und Methoden sind aber gut geeignet für aktuelle und emotionale Themen, die zukunftsoffen und mitgestaltungsfähig sind und den Alltag sowie die Umgebung der Bürgerinnen und Bürger betreffen. Das gilt beispielsweise für Themen wie die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und Integration, für die Gestaltung konkreter Orte, für die Verständigung über kontroverse Themen wie die Verkehrswende oder bezahlbares Wohnen.
Zum Engagement ermutigen
In erster Linie ermutigen erzählerische Prozesse Menschen, sich in ihrem Quartier, ihrer Stadt oder Region einzubringen und konkrete Ergebnisse und Lösungen zu den verhandelten Themen mitzugestalten. Diese Wirkungen können für die künftige Zusammenarbeit und das Zusammenleben in der Stadt entscheidende Impulse geben:
- Auf der individuellen Ebene: die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, das Erleben eigener Kompetenzen und Expertisen für die Stadtentwicklung, die Lust am Mitgestalten und die Bereitschaft zur Mitverantwortung für Orte, Themen oder Gemeinschaften.
- Auf der Gemeinschaftsebene: das Erleben, Teil einer Gemeinschaft zu sein und damit mehr bewirken zu können; die Lust zu punktuellen oder dauerhaften gemeinschaftlichen Aktivitäten; die Bildung von Netzwerken und die Suche nach lokalen sowie überregionalen Partnerschaften; die Entwicklung strategischer und fachlicher Kompetenzen.
- In Kommunalpolitik und -verwaltung: die Erfahrung eines wechselseitig informativen Kommunikationsprozesses mit der Bürgerschaft; das Erleben einer aktiven und konstruktiven Stadtgesellschaft mit guten Ideen und patenten Lösungen auch von unerwarteter Seite, zum Beispiel von Kindern; die Option, jederzeit auf Personen, Netzwerke, Quartiere als strategische oder Umsetzungspartner zugehen zu können.
Neue Nutzungs- und Wohnkonzepte
Gute Beispiele gibt es bereits viele. Rund um die Frage „Wem gehört der öffentliche Raum?“ hat ein Stuttgarter Verein mit vielfältigen erzählerischen Aktionen und Aktivitäten eine prominente Stadtlücke in neue und attraktivere Nutzungen gebracht. Ein weiteres Beispiel: Im Leipziger Osten übersetzten engagierte Anwohnerinnen und Anwohner Ausschnitte aus dem Integrierten Stadtentwicklungskonzept in eine Idee für ein verkehrsärmeres Wohnquartier, einen so genannten „Superblock“, und schafften es letztendlich, dass die Stadt das Superblock-Konzept für einen Teilraum beschloss.
Oder auch die Saarbrücker Kampagne PatchWorkCity: Alteingesessene und Zugewanderte haben einander erzählt, wie sie sich ein Zusammenleben vorstellen. Aus diesem Projekt haben sich unter anderem Netzwerke entwickelt, die in der Coronapandemie eigeninitiativ Nachbarschaftshilfe geleistet haben.
Kinder gegen Impulse
In Cottbus haben Kinder und Jugendliche mit dem Computerspiel Minecraft in 3D-Simulationen ihre Stadt der Zukunft gebaut, für ihre Ideen Preise bekommen und andere Städte neugierig gemacht. Oder das österreichische Traisen-Gölsental: Dort haben die Bürgerinnen und Bürger ihre regionalen Zukünfte auf Postkarten schreiben oder in Schulworkshops erträumen können und daraus die Regionale Agenda 21 geformt – als Strategie-und Umsetzungspartner der Gemeinden.
Wie aber sollte man vorgehen, wenn narrative Strategien und Methoden in der Stadtentwicklung eingesetzt werden sollen? Erzählerische Prozesse können sehr breit angelegt werden – man kann aber auch erst mal klein anfangen.
Auf jeden Fall sind folgende Fragen vorab zu klären: Was ist der Ausgangspunkt und was soll erreicht werden? Will man kommunale Planungen alltagsnah und verständlich vermitteln oder eher andere Perspektiven in Erfahrung bringen, um herauszufinden, was die Stadtgesellschaft genau bewegt? Ist es das Anliegen, etwas gemeinsam zu entwickeln, um unterschiedliche Interessen in einer gemeinsamen Erzählung auszubalancieren? Wer übernimmt im Kreis der beteiligten Akteure welche Rolle – wer organisiert den Prozess, wer erzählt, wer hört zu oder macht in anderen Rollen mit? Und schließlich: Wie wird erzählt und zugehört? Wird mit Worten oder mit Bildern erzählt, aktionistisch, spielerisch oder darstellend? Die BBSR-Publikation leitet entlang von Erzählbeispielen durch diese Prozesse und bietet Orientierungshilfe.
Geschichten integrieren
Eine eigene Förderung narrativer Prozesse gibt es nicht. Sie können aber in laufende städtebauliche Vorhaben sehr gut integriert werden und somit einen Beitrag dazu leisten, Verbündete für die Stadtentwicklung zu aktivieren, positive Geschichten gemeinsam zu entwickeln und Mehrwerte für alle Beteiligten zu erzielen.
Stephan Willinger, Katharina Hackenberg, Susanne Schön, Sebastian Strehlau
Die Autoren
Stephan Willinger und Dr. Katharina Hackenberg sind im Bundesinstitut für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR), Referat Stadtentwicklung tätig. Dr. Susanne Schön ist Geschäftsführerin im inter 3 Institut für Ressourcenmanagement, Dr. Sebastian Strehlau ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.