Mit offenen Augen

Das Vertrauen des Bieters auf die ordnungsgemäße Vergabe durch die öffentliche Hand rechtfertigt gegebenenfalls seine Klage auf Schadensersatz, es sei denn, der Bieter kann ohne weiteres erkennen, dass die andere Seite sich nicht an das geltende Recht hält. (BGH vom 12. Juni 2001 – AZ X ZR 150/99)

Bei Vergabe öffentlicher Aufträge entsteht in ihrem Vorfeld ein Vertrauensverhältnis, dessen Verletzung Ersatzpflichten des öffentlichen Auftraggebers auslösen kann. Diese können den entgangenen Gewinn eines nicht zum Zuge gekommenen Anbieters einschließen, insbesondere dann, wenn er berechtigt und schutzwürdig darauf vertraute, den Auftrag zu erhalten. Gegenstand des geschützten Vertrauens ist insbesondere die Einhaltung der Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Generell können also alle Bieter darauf vertrauen, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren über die Vergabe selbst ordnungsgemäß einleitet und insbesondere die dafür auf seiner Seite geltenden Bindungen beachtet hat.

Die Schutzwürdigkeit des dieser Haftung zugrunde liegenden Vertrauens ergibt sich aus der Bindung der öffentlichen Verwaltung an Gesetz und Recht. Sie rechtfertigt aus der Sicht ihrer Vertragspartner auch bei privatrechtlichen Geschäften der öffentlichen Hand und der von ihr getragenen Unternehmen die Erwartung, dass von diesen die für sie geltenden Regeln und Vorschriften beachtet und eingehalten werden.

Bei diesem Ansatz entfällt die Schutzwürdigkeit eines solchen Vertrauens jedoch dann, wenn der Geschäftspartner der öffentlichen Hand vor seiner jeweiligen Entscheidung über den Vertragsschluss oder dessen Vorbereitung erkannt hat oder ohne weiteres hätte erkennen müssen, dass sein Vertragspartner von den geltenden Regeln abweicht oder abgewichen ist. Wer erkannt hat oder bereits bei Anwendung geringer Sorgfalt hätte erkennen können, dass die andere Seite sich an das geltende Recht nicht hält, kann sich nicht darauf berufen, er habe ein mit Recht und Gesetz übereinstimmendes Verhalten der Gegenseite erwartet.

Franz Otto