Kreislaufwirtschaft für die Gegenwart und für die Zukunft

Recycling und Urban Mining sind wichtige Antworten auf den hohen CO2-Ausstoß und den Ressourcenverbrauch der Bauwirtschaft. Verbandsexpertin Katrin Mees plädiert aber auch dafür, genau hinzuschauen und zu differenzieren – und erklärt, worauf Verantwortliche in Kommunen unbedingt achten sollten.

Kreislaufwirtschaft
Der Appell: Beim Rückbau nicht nach dem einen Patentrezept zu suchen, sondern die Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Foto: Adobe Stock/CL-Medien

Der CO2-Ausstoß bei der Materialherstellung und der hohe Ressourcenverbrauch beim Bauen sind wichtige Themen geworden. Liegt die Lösung damit auf der Hand: Wiederverwertung, Recycling, Kreislaufwirtschaft?

Katrin Mees: Grundsätzlich ja – das Ziel muss die Kreislaufwirtschaft sein, daran wird auch intensiv geforscht, mit zum Teil sehr guten Ergebnissen. Allzu oft wird hier aber längst nicht annähernd genug differenziert.

Was heißt das?

Mees: Beim Thema Stoffströme gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Straßen- und Hochbau. Fangen wir mit dem Straßenbau an: Ein großer Teil unseres Straßennetzes muss saniert werden. Beim Thema Recycling sieht es hier gut aus – 97 Prozent des Straßenaufbruchs werden wiederverwertet, meist vor Ort unter anderem mit Hilfe von mobilen Brechanlagen. Das so direkt auf der Straßenbaustelle aufbereitete Material kann direkt wieder verwendet, muss also nicht erst transportiert werden. Auch das spart CO2.

Wie sieht es beim Hochbau aus?

Mees: Generell kann man sagen: Kreislaufwirtschaft ist Thema für die Gegenwart und für die Zukunft. Wenn wir jetzt bauen, müssen wir die Stoffströme mitdenken, müssen so planen, dass Bauteile und Material wiederverwendet werden können. Bauen wir aber heute zurück, müssen wir mit dem umgehen, was wir vorfinden. Wenn es Bauten aus der Gründerzeit sind, ist das eher kein Problem. Aktuell geht es aber vor allem um Bauten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Was gilt es hier zu berücksichtigen?

Mees: Schadstoffe, unter anderem Asbest, sind ein großes Thema, und das heißt: Man kann nicht abreißen und „einfach“ in die Wiederverwertung gehen. Wir müssen im Vorfeld Schadstofferkundungen durchführen und belastetes Material aus dem Kreislauf ausschleusen. Gefährliche Fraktionen müssen dann sicher deponiert werden.

Kann die Verwendung von RC-Material also doch nicht die Regel sein?

Mees: Zumindest gibt es nicht das eine Patentrezept, das immer und überall gilt. Man muss sehen, wie die Situation vor Ort ist, auf dieser Baustelle, bei diesem Projekt. Für mich ist das wie die Lego-Kiste, mit der man als Kind gespielt hat: Man muss das verwenden, was da ist.

Gibt es ausreichend Rückbaumaterial?

Mees: Nein, auch das sollte man im Blick haben. Acht- bis zwölftausend Gebäude werden in Deutschland pro Jahr rückgebaut. Damit haben wir nur einen Bruchteil dessen, was an Recyclingmaterial gewünscht wird.

Um welche Mengen geht es, die beim Rückbau anfallen?

Mees: Die nicht gefährlichen, mineralischen Rückbaumaterialien machen die größten Stoffströme aus. Aus dem Rückbau von Gebäuden und Straßen sind das rund 90 Millionen Tonnen jährlich. Aus dem Aushub von Böden kommen rund 130 Millionen Tonnen jährlich dazu. Das sind etwa 220 Millionen Tonnen Rückbaumaterial, das nach der Aufbereitung für eine Vielzahl von Einbauweisen geeignet ist. Dem gegenüber steht ein jährlicher Bedarf von derzeit rund 585 Millionen Tonnen jährlich an Gesteinskörnungen für die Aufgaben, die dringend notwendig sind.

Welche Aufgaben sind das?

Mees: Dazu gehört vor allem die Instandsetzung der Infrastruktur: die Sanierung von Straßen, Brücken und Tunneln ebenso wie die Sanierung fast des gesamten Schienennetzes der Deutschen Bahn. Aber auch die Herstellung neuer Infrastruktur für die erneuerbaren Energien fällt in diesen Bereich, unter anderem Kabeltrassen, Versorgungswege oder Anschlüsse. Hierfür müssen große Mengen an Böden und Steinen bewegt werden, ebenso Gesteinskörnungen für die Sanierung und den Ausbau von maroden Straßen, Schienen und Brücken. Rückbaumaterialien – mineralische Ersatzbaustoffe – sind dafür hervorragend geeignet. Holz, Kunststoff, Glas oder Gips sind ebenfalls wichtig für die Kreislaufwirtschaft am Bau. Dabei handelt es sich aber um deutlich kleinere Stoffströme.

Wann sollte man denn RC-Material einsetzen?

Mees: Wenn es vor Ort ausreichend Rückbaumaterial gibt und außerdem die entsprechenden Aufbereitungsanlagen, so dass man sich weite Transportwege sparen kann. Es gibt einige Aufbereitungsanlagen, die sich hervorragend auf den Bedarf an Recyclingmaterial spezialisiert haben und mit modernster Technik gut geeignete Gesteinskörnungen sowohl für den Hochbau als auch für den Infrastrukturbau herstellen, aber nicht überall. Das wird auch nicht überall möglich sein, eben weil wir nicht genug Rückbaumaterial haben.

Wenn man nachhaltig bauen kann und will – was hilft dabei?

Mees: Digitale Plattformen sind wichtig, in denen eingetragen wird, was vorhanden ist. Wenn es drei Straßen weiter einen großen Haufen Rückbaumaterial oder Aushub gibt, nützt das nur, wenn man davon weiß. Inzwischen gibt es etliche solcher Plattformen, sie laufen aber nebeneinander her. Ziel muss sein, sie zusammenzuführen. Digitale Erfassung ist nicht nur für Rückbaumaterial und Bauteile wichtig, also für Urban Mining, sondern ebenso für den Aushub. Auch er ist nicht nur einfach Abfall, sondern kann wertvolle Grundlage sein: etwa dafür, aus einer Kiesgrube nicht noch einen See zu machen, sondern ihn als Grundlage für einen neuen Wald zu verwenden.

Worauf sollten Verantwortliche in den Kommunen achten?

Mees: Es ist wichtig, die Betriebe vor Ort einzubeziehen. Das Handwerk weiß, welche Rohstoffe und Materialien in einer Region vorhanden sind, und kann auf jahrzehntelange Erfahrungen zurückgreifen. Der Vorteil in Deutschland ist, dass wir viele familiengeführte Unternehmen haben. Der Nachteil ist, dass derzeit zahlreiche Betriebe aufgegeben werden.

Woran liegt das?

Mees: Es gibt immer mehr Anforderungen, alles wird komplexer, und oft gibt es keinen Nachfolger oder keine Nachfolgerin, wenn der Chef aufhört. Die Handwerksbetriebe sind aber Gold wert, weil sie das Wissen haben, das man braucht, um Entscheidungen zu treffen, die lokale und regionale Gegebenheiten betreffen. Sie gerade braucht man für die neue Aufgabenstellung am Bau: Nicht mehr höher, schneller, weiter, sondern genau hinschauen, was vor Ort ist, wie man Rückbau gestaltet. Und: Dort, wo es sinnvoll und möglich ist, den Bestand erhalten und den neuen Aufgaben anpassen. Dort aber, wo eine Sanierung nicht sinnvoll ist, muss auch der Neubau weiterhin möglich sein, um die Aufgaben zu meistern, die vor uns liegen.

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Zur Person

Katrin Mees ist Geschäftsführerin der Bundesgemeinschaft Recycling-Baustoffe e.V. (BGRB).


Interview: Sabine Schmidt

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