Bauprozesse sollten sich ändern

Das Bauen ist im Umbau: Sichtweisen und Bauprozesse sollten sich grundlegend ändern. Foto: Adobe Stock/Kara

Ressourcenverbrauch ist eines der großen Bauthemen, CO2-Emissionen oder Extremwetter ebenfalls. Planungs- und Arbeitsprozesse sollten sich entsprechend ändern – Bauexpertin Heike Böhmer erläutert, auf welche großen Herausforderungen sich Kommunen möglichst jetzt einstellen sollten.

Zu wenige Wohnungen, steigende Materialkosten, Fachkräftemangel – es sind ziemlich dicke Bretter, mit denen die Baubranche zu tun hat. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?

Heike Böhmer: Wir erleben in unserer täglichen Arbeit, dass die Planungssicherheit in den Unternehmen momentan ein sehr großes Thema ist. Dies betrifft finanzielle Aspekte oder auch Anforderungen an Planung und Ausführung. Zur aktuell brisanten Situation trägt der Fachkräftemangel ebenso bei wie große bürokratische Hürden. Auch die derzeit geltenden hohen technischen Anforderungen machen Planern, Ausführenden und Investoren das Leben schwer. Dabei spielen Themen wie Vergabe, Materialmangel, Preissteigerungen und Probleme bei der Logistik eine Rolle.

Das alles ist ein weites Feld – wo setzen Sie am Institut für Bauforschung die Schwerpunkte?

Böhmer: Der Fokus unserer Forschungsarbeit liegt auf der Qualität. Wir untersuchen zum Beispiel, wo die Probleme und die Stellschrauben liegen, um die Qualität beim Planen und Bauen – trotz aller Herausforderungen – weiter zu verbessern.

Der Tiefbau ist meist weniger im Blick der Öffentlichkeit – wie steht es um ihn: Ist seine Situation insgesamt mit der beim Hochbau vergleichbar, oder muss der Tiefbau spezielle Herausforderungen meistern?

Böhmer: Grundsätzlich sind beide Bereiche vergleichbar. Ein Sonderfall ist der Bereich der Leitungsauskunft – eine der wesentlichen Mangel- und Schadenursachen im Bereich Tiefbau. Die spielt im Hochbau eher selten eine Rolle, allenfalls bei der Erschließung von Gebäuden. Für den Tief- und Straßenbau ist das Thema Leitungsauskunft dagegen enorm wichtig, und es sind die Grundlagen und die Dokumentation, auf die großes Augenmerk gerichtet werden sollte. Hier sehen wir viele vermeidbare Schäden aufgrund mangelhafter oder falscher Leitungsauskünfte, oft verbunden mit hohen Kosten.

Worauf sollten kommunale Akteure besonders achten?

Böhmer: Aus unserer Sicht ist eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren von größter Bedeutung. Insbesondere ist eine gute Kommunikation zwischen Kommunen, Berufsverbänden und den beteiligten Firmen wichtig. Kommunikation ist die Basis für gute Qualität im Planungs- und Bauprozess.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Böhmer: Insbesondere bei den Bau- und Leistungsbeschreibungen in Verträgen. Aus unserer Sicht ist es notwendig, die Bau- und Leistungsbeschreibung an neue Anforderungen anzupassen.

Woran denken Sie hier?

Böhmer: Aufgrund des Klimawandels sollten vor allem Extremwetterereignisse und deren Folgen für Gebäude und Infrastrukturen mehr in den öffentlichen Fokus rücken. Für eine aktuelle Studie, die wir im Auftrag vom Bauherren-Schutzbund und den VHV-Versicherungen erstellt haben, wurden erstmals Daten zu Gebäudeschäden durch Extremwetter analysiert. Sie belegt, dass in den vergangenen 20 Jahren die Anzahl der Schäden aufgrund von Extremwetterereignissen sowie die Schadenhöhen zugenommen haben. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt und weiter verstärkt.

Wie sollte man damit umgehen?

Böhmer: Wir raten kommunalen Akteuren ebenso wie öffentlichen und privaten Eigentümern dringend, sich mit der Problematik zu befassen und sowohl im Neubau als auch bei Bestandsgebäuden diesbezüglich Vorkehrungen zu treffen. In der Studie finden sich neben den statistischen Datenauswertungen konkrete Handlungsempfehlungen, zugeschnitten auf verschiedene Naturgefahren. Die Erkenntnisse lassen sich auch auf Tiefbau- und Straßenbauprojekte übertragen.

Wenn Sie in die Zukunft schauen: Was werden beim Bauen die Themen sein?

Böhmer: Die Zukunftsthemen sind die jenigen, um die sich bereits heute vieles dreht — die Themen, bei denen die Entwicklung rasant voranschreitet: Materialien, insbesondere recycelte oder Ersatzbaustoffe. Zudem digitale und andere Innovationen, innovative Prüf- und Bauverfahren sowie serielles und modulares Bauen oder Vorfertigung, vor allem bei Ingenieurbauwerken und im Brückenbau.

Nachhaltigkeit ist das große Zukunftsziel. Wie sollten sich kommunale Akteure hier aufstellen?

Böhmer: Es ist ratsam, zunächst einmal konkrete Ziele auf der Basis der tatsächlichen Anforderungen und der tatsächlichen Notwendigkeiten zu beschreiben. Nachhaltigkeit muss im eigentlichen, ganzheitlichen Sinn – also ökologisch, ökonomisch und sozial – begriffen und dann auch umgesetzt werden. Hier sind die aktuellen Fokusthemen: Kreislaufwirtschaft, Effizienz und Lebensdauer. Nachhaltigkeit darf aber nicht nur eher theoretisch als papier-zertifizierte Qualität eines Bauvorhabens gesehen, sondern als reale Herausforderung angenommen werden – wir müssen Qualität schaffen und kontrollieren! Dies dient in besonderem Maße auch der Nachhaltigkeit.

Interview: Sabine Schmidt


Zur Person

Dipl-Ing. Heike Böhmer leitet das Institut für Bauforschung e.V. (IFB).