Bremen fördert mit klugen Strategien Fachkräfte von morgen und digitale Kompetenz

Mit unterschiedlichen Strategien wirkt die Freie Hansestadt Bremen dem Fachkräftemangel entgegen und fördert die digitale Kompetenz: Eine davon ist die Tandemstrategie „Geteilte Führung“. Hinzu kommen verschiedene Aus- und Weiterbildungsangebote. Jochen Kriesten berichtet, was es dafür braucht, damit sie gelingen.

Ob mit der Tandemstrategie „Geteilte Führung“ oder bei der Aus- und Weiterbildung. Bremens Ziele sind klar: eigene Fachkräfte für die Zukunft aus- und weiterbilden. Foto: Adobe Stock/bizvector

Was hat es mit dem Führungsformat „Geteilte Führung“ auf sich?

Jochen Kriesten: Die Idee geht auf ein Mentoring-Programm mit Mitarbeiterinnen im höheren Dienst zurück, mit Interesse an Führungsaufgaben, die sich aber aufgrund ihrer familiären Situation nicht in der Lage sahen, eine zeitintensive Führungsaufgabe alleine zu übernehmen.  Entwickelt hat sich daraus das neue Modell von geteilter Führung mit zu Beginn vier oder fünf Tandems. Meine jetzige Kollegin, Susanne Pape, war von Anfang an mit dabei. Ich selbst bin seit gut zwei Jahren Teil des Tandems hier im Referat. Beim Top-Sharing, das wir praktizieren, besetzen wir gemeinsam zwei Leitungsstellen für ein relativ großes Referat mit zahlreichen Themen, auch wenn jeder seine Schwerpunkte hat. Bei der zweiten Möglichkeit, dem Job-Splitting, teilen sich zwei Kollegen jeweils eine Stelle.

Wie ist die Resonanz?

Kriesten: Wir merken, dass es gut angenommen wird. Im vergangenen Jahr gab es eine begleitende Schulungsmaßnahme, bei der sich die Tandems austauschen konnten und die Rückmeldungen waren sehr positiv. Dabei zeigen sich auch die Unterschiede: Es gibt Tandems, die ihre Bereiche strikt trennen und jeder seine Zuständigkeiten hat, und es gibt Tandems, die ihre Arbeit so organisieren, dass sie ihre Entscheidungen gemeinsam diskutieren und treffen. Ob geteilte Führung gut funktioniert ist eine Frage des Typs. Ich glaube, das passende Matching zu finden, ist die große Herausforderung bei so einem Tandem: Zwei Menschen zu finden, die gut miteinander arbeiten und auskommen und eine ähnliche Vorstellung von Führung und Zusammenarbeit haben.

Man muss also ein gewisser Typ für ein solches Tandem sein?

Kriesten: Ja. Für jemanden, der immer allein entscheiden will, ist so etwas schwierig. Und ich glaube, man muss die Chancen sehen, die darin stecken: Dass eine zweite Person die Dinge nochmals aus einer anderen Perspektive betrachtet und es so zu besseren und nachhaltigeren gemeinsamen Entscheidungen kommt.

Welche Vorteile ergeben sich mit der geteilten Führung?

Kriesten: Es ermöglicht zum einen Mitarbeitenden, die nicht Vollzeit arbeiten können, trotzdem eine Führungsposition einzunehmen. Zum anderen steigert es für potenzielle Fachkräfte die Arbeitgeberattraktivität. Es gibt der Führungskraft die Sicherheit, Entscheidungen von besonderer Tragweite mit einem Sparringspartner zu diskutieren und führt auch deshalb, aus meiner Sicht, zu besseren Entscheidungen. Da ich in meiner vorherigen Tätigkeit ein relativ großes Team alleine geleitet habe, kenne ich nun beide Führungsmodelle und ich würde es immer wieder so haben wollen, wie es jetzt ist.

Welche Tipps haben Sie mit Blick auf die geteilte Führung für andere Kommunen?

Kriesten: Einfach anfangen, selbst ausprobieren und sich darauf einlassen. Als wir hier gestartet sind, stand das Konzept noch nicht von A bis Z. Aber man hat gesagt, wir probieren es mit fünf Tandems aus und bessern im Prozess nach, wenn wir merken, dass gewisse Dinge noch nicht sind, wie sie sein sollten.

Wie argumentieren Sie beim Thema Finanzierung?

Kriesten: Da beide Leitungsstellen gleich bewertet sind, ist es natürlich nicht ganz einfach, den finanziellen Mehrbedarf zu rechtfertigen. Unserer Meinung nach lohnt sich diese Investition jedoch. Durch die geteilte Führung entfällt ja auch die Stellvertretungsstelle, die ja in der Regel auch besser bezahlt wird.

Welche Rolle spielen Aus-, Weiter- und Fortbildung in Bremen?

Kriesten: Das ist auch bei uns ein zentrales Thema. Wenn wir quasi von extern keine Fachkräfte mehr finden, und einstellen können, müssen wir schauen, wie wir das zum Beispiel über die eigene Aus- und Fortbildung abdecken können.

Wie stellen Sie diesen Bedarf fest?

Kriesten: Einmal im Jahr gibt es bei uns eine Senatsvorlage zur Ausbildungsplanung. Da fragen wir bei den Ressorts die Bedarfe ab, beispielsweise wie viele Polizistinnen und Polizisten sollen in die Ausbildung, ins Duale Studium, wie viele Menschen braucht es in der Steuerverwaltung, wie viele Mitarbeitende werden dort etwa in drei oder vier Jahren benötigt. Anhand dieser Angaben legen wir die Größenordnung fest. Für den gesamten öffentlichen Dienst in Bremen ist das inzwischen eine immense Zahl – zwischen 900 und 1000 Ausbildungs- und duale Studienplätze pro Jahr. Insofern ist das ein ganz wichtiger Punkt, Menschen selbst auszubilden.

Gibt es hier besondere Schwerpunkte?

Kriesten: Ein Beispiel sind die Ingenieurinnen und Ingenieure, die etwa beim Straßenamt zum Einsatz kommen. Hier ist es immer besonders herausfordernd, Menschen zu  finden, die das Studium bereits abgeschlossen haben. Daher ist es sinnvoll, eigene Nachwuchskräfte in ein duales Studium einzustellen und zu qualifizieren. Ein anderes Beispiel ist die voranschreitende Digitalisierung. Hier gibt es an der Hochschule Bremen inzwischen den eigenen neuen Dualen Studiengang Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik. Die Absolventinnen und Absolventen sind besonders wichtig als Übersetzer zwischen Verwaltung und Technik. So braucht es etwa beim Onlinezugangsgesetz und der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen Menschen, die IT-Dienstleistungen richtig ausschreiben können und gleichzeitig den Verwaltungsprozess dahinter kennen und verstehen.

Wie sieht es beim Thema Fortbildung aus?

Kriesten: Die Freie Hansestadt Bremen bietet ihren Beschäftigten ein riesiges Angebot von aktuell mehr als 400 Fortbildungsseminaren pro Jahr zu Themen wie Gesundheitsförderung, Soft Skills, Digitalisierung und Seminare für Führungskräfte unterschiedlicher Hierarchieebenen an. Außerdem bieten wir Aufstiegslehrgänge an, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Mitarbeitende die nächste Qualifikationsebene erreichen können – dabei geht es auch um Arbeitgeberattraktivität. Wir haben deshalb ein Gewicht darauf gelegt, weil wir glauben, dass Menschen motivierter sind, wenn sie die Möglichkeit haben, voranzukommen. Eine weitere wichtige Rolle spielen Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement, damit die Mitarbeitenden körperlich, aber auch psychisch fit bleiben.

Welche Fort- und Weiterbildungen werden am meisten nachgefragt?

Kriesten: Dazu gehören einmal die Themen Verbesserung der Zusammenarbeit, Selbstfürsorge und Softskills. Aber auch Führungsseminare, Empowerment Formate und Mentoring Programme sind sehr gefragt. Da gibt es das bereits erwähnte Mentoring Programm für Frauen, die perspektivisch Führungsaufgaben übernehmen, und im Moment ein weiteres Mentoringprogramm für Menschen mit Migrationsbiografie, die ebenfalls für Führungsaufgaben qualifiziert werden sollen. Für diese Formate haben wir regelmäßig viele Anmeldungen.

Wie sieht es mit den Themen Digitalisierung, IT und Cybersicherheit aus?

Kriesten: Ein weiteres wichtiges Thema. Neben den bisherigen klassischen Schulungen haben wir neu Schulungen im Bereich KI-Anwendung, die stark nachgefragt sind. Daneben geht es um digitale Kompetenzen, die Beschäftigte benötigen, um in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt bestehen zu können. Da versuchen wir gemeinsam mit den Kooperationspartnern, mit denen wir gemeinsam unsere Nachwuchskräfte ausbilden, im Rahmen eines Round Table, die Ergebnisse des Projekts Qualifica Digitalis in unsere Qualifizierungsmaßnahmen einzubauen. Bei der Cybersicherheit und Awareness stehen wir mit unserer IT-Abteilung im Austausch, um gemeinsam geeignete Fortbildungsformate zu entwickeln.

Worum handelt es sich bei Qualifica Digitalis?

Kriesten: Das Projekt des IT-Planungsrates wurde im Rahmen der nationalen E-Government Strategie umgesetzt und beschäftigt sich auch mit dem Thema digitale Kompetenzen. Ins Leben gerufen wurde es unter anderem vom ehemaligen Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr; und da hatte Bremen die Projektleitung. Schwerpunkte sind vor allem die digitalen Kompetenzen, die erforderlich sind, um in einer digitalen Welt zu bestehen. Zumal diese in den nächsten Jahren immens wichtig und für alle relevant sein werden.

Gibt es bei der Stadt Bremen Online-Trainings-Portale oder -plattformen, über die sich die Mitarbeitenden unkompliziert weiterbilden können?

Kriesten: Ein richtiges Lernmanagementsystem haben wir noch nicht, sind aber der Meinung, dass es wichtig ist und sehen auch den Bedarf. Menschen müssen je nach ihrer individuellen Lebenssituation die Möglichkeit haben, zu lernen. Deshalb sind wir diesbezüglich mit unserem IT-Dienstleister in Kontakt und überlegen, was so ein System können muss. Wir haben zwar bereits Online-Trainings und hybride Angebote, nicht nur Präsenzangebote, aber eben noch kein klassisches Lernmanagementsystem. Die Idee ist, dass wir im Herbst starten und es im nächsten Jahr ans Laufen bekommen.

Gibt es spezielle Programme oder Kampagnen, mit denen die Stadt für Azubis wirbt?

Kriesten: Es gibt eine Ausbildungskampagne, die heißt „Du bist der Schlüssel“. Sie startete 2009 vor dem Hintergrund, dass man seinerzeit gesagt hat, dass Menschen mit Migrationsbiografie im bremischen Öffentlichen Dienst unterrepräsentiert sind und besonders diese Menschen mit der Kampagne erreicht werden sollten. Unter anderem haben wir damals mit Auszubildenden, die zum Teil selbst eine Migrationsbiografie haben, kleine Filme über die Ausbildung im Öffentlichen Dienst gedreht, die dann identifikationsstiftend wirken sollten. Es gab Plakatierungen im öffentlichen Raum, eine eigene Messe für Ausbildungsberufe im öffentlichen Dienst und als Referent für das Thema war ich damals auch viel in den verschiedenen Communities unterwegs: beim türkischen Elternverein, oder mit einem eigenen Stand bei der Afrikamesse oder beim African Football Cup.  Das ist eine relativ große Ausbildungskampagne, die nach wie vor noch läuft. Inzwischen ist sie aber ein Stück weit eingebunden in die Gesamtstrategie „Mach Bremen zu deinem Beruf“, mit der auf den Arbeitgeber Freie Hansestadt Bremen hingewiesen werden soll.

Inwiefern werden Auszubildende und Mitarbeitende von der Stadt Bremen bei ihrer Ausbildung beziehungsweise Fort- und Weiterbildung gefördert und unterstützt?

Kriesten: Das ist ganz unterschiedlich. Zum einen schaut jeweils die Personalentwicklung der einzelnen Häuser selbst auf die Qualifizierung der Mitarbeitenden. Zum anderen haben wir das Aus- und Fortbildungszentrum der Stadt Bremen, das die Auszubildenden und Dual Studierenden auch während ihrer Ausbildung begleitet. Die Mitarbeitenden dort schauen, wo vielleicht noch Förderbedarf ist und dass die Ausbildung auch gelingt. Denn wir können es uns einfach nicht leisten, auf dem Weg Menschen zu verlieren. Auch wenn das leider trotzdem passiert, dass Einzelne abbrechen. Aber unser Ziel ist es natürlich, möglichst viele durch die Ausbildung zu bekommen und, wenn sie persönlich geeignet sind, dann auch zu übernehmen.

Welche weiteren Projekte gibt es?

Kriesten: Wir haben noch das Leuchtturmprojekt „Zukunftschance Ausbildung“. Das gibt es bereits seit 2014 und feiert in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum. Ins Leben gerufen wurde es damals für geflüchtete Menschen. Wir haben das Instrument der Einstiegsqualifizierung genutzt, um die jungen Menschen auf die daran anschließende duale Berufsausbildung vorzubereiten. Dafür haben wir uns mit dem Jobcenter, der Ausländerbehörde, den Kollegen des Innensenators und den Berufsschulen zusammengesetzt. Gemeinsam haben wir überlegt, wie wir für geflüchtete Menschen über die Ausbildung eine Perspektive schaffen können.

Wie hat das funktioniert?

Kriesten: Wir haben über die einjährige Einstiegsqualifizierung eine Qualifizierungsmaßnahme aufgebaut, in der die jungen Menschen zwei Tage in der Woche in der Praxis, in unterschiedlichen Betrieben oder Einrichtungen des bremischen öffentlichen Dienstes, waren. Zwei Tage waren sie in der Berufsschule und samstags haben sie bei der VHS Deutsch gelernt. Das hat funktioniert. Von 23 EQ-Praktikanten sind 21 in die Ausbildung gegangen und alle haben mittlerweile ihre Ausbildung abgeschlossen. Einige von ihnen sind heute im bremischen Öffentlichen Dienst beschäftigt.

Das hört sich nach einem arbeitsintensiven und gleichzeitig gelungenen Projekt an.

Kriesten: Das war natürlich arbeitsintensiv, aber inzwischen sind knapp 1000 Praktikanten durch das Projekt durchgelaufen. Und als der Bedarf immer größer wurde, haben wir im zweiten Jahr die Privatbetriebe mit reingenommen und dafür mit der Handelskammer Bremen und der Handwerkskammer in Bremen einen Kooperationsvertrag geschlossen, und die sind dann auch nochmal auf ihre Betriebe zugegangen. Die Firmen haben sich zum Glück darauf eingelassen und viele der jungen Menschen haben ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Die Zielgruppe wurde dann noch etwas erweitert auf Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus, die es aus verschiedenen Gründen auf dem ersten Ausbildungsmarkt schwerer haben.

Das klingt gut.

Kriesten: Ja, das hat auch Spaß gemacht. Vor allem dann auch zu sehen, dass es funktioniert. Auch weil der Arbeitsprozess und das Miteinander so schön schlank und eher unkompliziert waren. Und das ist wiederum ein Vorteil von Bremen, finde ich: die kurzen Wege. Bei Problemen haben wir uns schnell an einen Tisch gesetzt und gemeinsam versucht, sie zu lösen. Weil wir uns alle einig waren, und an dem Ziel gearbeitet haben, dass die Leute ihre Ausbildung machen sollen. Das hat geholfen.

Inwiefern haben sich die Aufgaben im Bereich Personalentwicklung bei der Stadt Bremen in den vergangenen Jahren verändert? Und wie passen Sie sich an diese Veränderungen an?

Kriesten: Generell verändert hat sich das Angebot. Dazu kommt, dass sich Menschen heute schneller in neuen Gegebenheiten zurechtfinden müssen und viele seit Corona mehr von zu Hause arbeiten. Darauf muss man nicht nur durch hybride oder Onlineformate reagieren, sondern auch thematisch. Beispielsweise bekommt das Thema Führung auf Distanz eine ganz andere Relevanz. Dazu kommen Themen wie Digitalisierung, Diversity, Gesundheit und Soft Skills, die früher kein solches Gewicht hatten. Früher waren es mehr die klassischen Fortbildungsformate. Und ich glaube, da müssen wir noch schneller werden, und mit unserem Fortbildungsangebot zügiger auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren.

Wie sieht es mit den klassischen Präsenzseminaren aus?

Kriesten: Die gibt es noch und ich glaube, dass es für einige Formate gut und wichtig ist, den persönlichen Austausch zu ermöglichen und sie daher als Präsenzformat anzubieten. Ich persönlich mag es lieber in Präsenz, gerade weil ich den persönlichen Austausch in den Pausen oder das Arbeiten in einer Gruppe sehr schätze. Aber es geht beides und es muss auch beide Angebote geben. Denn auch die Nachfrage hat sich geändert, gerade bei denen, die jetzt nachwachsen und Online-Formate eher gewohnt sind.


Zur Person

Jochen Kriesten arbeitet in der Hansestadt Bremen beim Senator für Finanzen in der Abteilung Personal- und Verwaltungsmanagement in einem Führungstandem gemeinsam mit seiner Kollegin Susanne Pape.


Interview Birgit Kalbacher

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