Der Artenschutz in Kommunen ist wichtig. Aber warum sollten sich Kommunen neben zahlreichen anderen aktuellen Herausforderungen für den Artenschutz engagieren? Was bringt das? Und vor allem: Wie kann es konkret gehen? Antworten aus der Heinz Sielmann Stiftung.
„Keine Einigung zur Finanzierung des Artenschutzes“: So lautete eine der Headlines nach der UN-Weltnaturkonferenz COP16. Wenn es auf internationaler UNO-Ebene nicht läuft warum sollten Kommunen sich für den Artenschutz stark machen?
Johannes Heinze: Natur- und Artenschutz sind Gemeinschaftsaufgaben, die das Engagement aller fordern auf allen Ebenen. Da der Verlust von Arten vor allem Konsequenzen auf lokaler und regionaler Ebene nach sich zieht, spielen die Akteure vor Ort eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die Biodiversität vor der eigenen Haustür zu erhalten und zu schützen. Die Kommunen in Deutschland besitzen ein großes Potenzial. Mit Projekten zum Artenschutz und ihrer Vorbildfunktion können sie viel für die Natur vor Ort bewirken und tragen dazu bei, eine vielfältige Umwelt für zukünftige Generationen zu sichern.
Was kann man tun?
Heinze: Wichtige Maßnahmen zum Artenschutz sind das Erhalten, Schaffen und Vernetzen von Biotopen, davon können Kommunen selbst in vielerlei Hinsicht profitieren. Denn neben positiven Effekten zum Beispiel auf das lokale Klima, den Naturtourismus und die Außenwirkung von Kommunen beeinflussen sie auch maßgeblich die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung.
Kommunen sind stark belastet, Artenschutz ist eine zusätzliche und vor allem komplexe Aufgabe wie lässt sie sich stemmen?
Heinze: Dem großen Druck zum Trotz: Kommunen zeigen vielerorts bereits beispielhaften Einsatz für den Schutz der biologischen Vielfalt. Als Flächeneigentümer und -bewirtschafter haben sie selbst in der Hand, was dort vor Ort geschieht. Auch wenn finanzielle und personelle Ressourcen meist knapp sind, können Kommunen diese Flächen naturnah entwickeln, indem sie beispielsweise bestehende Strukturen wie kommunale Bauhöfe entsprechend schulen und einsetzen. Durch geschicktes Planen lassen sich dabei mitunter neben einer größeren biologischen Vielfalt geringere Einsatzzeiten und damit -kosten für die kommunalen Mitarbeiter erzielen. Zusätzlich haben Kommunen die Möglichkeit, Projekte gemeinsam mit Partnern wie Naturschutzstiftungen und -verbänden oder Landschaftserhaltungs- oder Landschaftspflegeverbänden umzusetzen.
Sind Kommunen also längst auf einem guten Weg zu mehr Artenschutz?
Heinze: Das Bewusstsein für Themen rund um Natur- und Artenschutz in Kommunen wächst stetig, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. Das Interesse, die heimische Natur und Artenvielfalt besser zu schützen, ist vielerorts vorhanden. Viele Kommunen haben in der Vergangenheit bereits Biodiversitätsstrategien erarbeitet und beginnen damit, sie umzusetzen. Allerdings fehlt es vielerorts an den notwendigen finanziellen Mitteln und personellen Kapazitäten, damit die Pläne auch in die Tat umgesetzt werden können.
Was sind aus Ihrer Sicht weitere große Hindernisse für ein verstärktes Diversitätsengagement im kommunalen Kontext?
Heinze: Die bereits angesprochene hohe Belastung der Kommunen. Sowohl die finanzielle Situation als auch die knappen personellen Kapazitäten engen die Spielräume für Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt stark ein. Auch bekommen wir mit, dass Bürokratie oder rechtliche Hürden mitunter dazu führen, dass an der Umsetzung interessierte Kommunen abgeschreckt werden. Mangelnde Verfügbarkeit von Flächen sowie zunehmende Flächennutzungskonkurrenz verhindern ebenfalls, dass Kommunen eigenständig Lebensräume schaffen können. Ein für mich neuer und sehr interessanter Punkt, der sich bei Workshops mit Vertreterinnen und Vertretern aus Kommunen herausstellte, ist der mangelnde Austausch zu bestehenden naturschutzfachlichen Konzepten und Plänen zwischen Landes-, Kreis- und Kommunalebene.
Was müsste geschehen, damit die Hindernisse abgebaut werden können?
Heinze: Um den Kommunen mehr Spielraum für die Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen zu geben, müssten die finanziellen, personellen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Mit mehr Geld zum Beispiel für Personal, Flächenkäufe sowie Maßnahmenplanung und -umsetzung könnte viel erreicht werden. Mehr Geld ist aber nur ein Teil der Lösung. Das Thema Naturschutz muss insgesamt noch stärker in den Fokus kommunaler Arbeit rücken.
Was könnte helfen?
Heinze: Es ist wichtig, Kommunen mit praxisorientierten Anleitungen zum selbstständigen Umsetzen von Maßnahmen, ohne Einsatz großer Finanzmittel, zur Seite zu stehen. Auch sollten gesetzliche Änderungen auf Bundes- und Landesebene überdacht werden, um Kommunen zu befähigen, leichter Flächen zu erwerben. Eine Rolle spielt auch die schon angesprochene Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen und allen Akteuren. Die Bildung regionaler Netzwerke ist hierbei genauso wichtig wie Angebote zur Beratung und Weiterbildung.
Die Heinz Sielmann Stiftung hat den „Leitfaden für mehr Lebensräume und Artenvielfalt in Kommunen“ herausgegeben. Er basiert auf konkreten Projekten worum geht es hier?
Heinze: In unserem BiotopVerbund-Projekt haben wir gemeinsam mit Partnern in verschiedenen Regionen Deutschlands und gemeinsam mit Kommunen beispielhafte Maßnahmen zur Schaffung, Renaturierung und Vernetzung von Lebensräumen umgesetzt. Das generelle Ziel des Projekts war es, Kommunen für Themen wie Natur- und Artenschutz sowie die Notwendigkeit von Biotopverbünden zu sensibilisieren und zur Umsetzung eigener Projekte zu animieren. Die im Projekt gewonnenen Erfahrungen sind in die Broschüre sowie die vorher erschienene „Planungshilfe für Biotopverbundmaßnahmen auf kommunaler Ebene“ eingeflossen. Beide Broschüren fassen realitätsnah alle Schritte zusammen: von der Initiierung über die Planung und Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen bis zur langfristigen Pflege.
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Artenschutz geschieht vor Ort in den Kommunen wie sie in Siedlungsbereichen und im Freiland die heimische Artenvielfalt fördern können, ist nachzulesen in der Broschüre „Leitfaden für mehr Lebensräume und Artenvielfalt in Kommunen“. Sie wurde unter Leitung der Heinz Sielmann Stiftung erstellt und markiert den Abschluss des Bio-topVerbund-Projekts „Landschaft + Menschen verbinden Kommunen für den bundesweiten Biotopverbund“. Darin sind die Erkenntnisse und das gewonnene Wissen aus mehr als drei Jahren Projektlaufzeit zusammengefasst.
Andere Kommunen können sich also informieren und anregen lassen?
Heinze: Genau: Die Broschüren geben einen umfangreichen Überblick über mögliche Maßnahmen und kommunale Akteure finden konkrete Handlungsempfehlungen für eigene Vorhaben, auch bei enger Haushaltslage. Keine Kommune muss mehr bei null anfangen, man kann vielmehr auf den Erfahrungen anderer aufbauen und sehen, was unter welchen Umständen funktionieren und welche Effekte es haben kann.
Worauf sollten kommunale Akteure Wert legen?
Heinze: Generell bergen kommunale Flächen, wie zum Beispiel Wegerandstreifen, Straßenbegleitgrün, interkommunale Grün- und Waldflächen, Friedhöfe oder Dauerkleingärten, ein riesiges Potenzial für Naturschutzmaßnahmen. Um Projekte auf diesen und weiteren Flächen erfolgreich umzusetzen, sollten auf kommunaler Ebene alle potenziell beteiligten Akteursgruppen und auch die lokale Bevölkerung von Anfang an mit eingebunden werden das reicht von der Ideenfindung über die Planung bis hin zur Umsetzung. Wenn alle mitmachen, schafft das Vertrauen und auch Rechtssicherheit, sorgt für Akzeptanz und stärkt den Zusammenhalt innerhalb von Kommunen.
Worauf sollte man besonders achten?
Heinze: Es ist wichtig, möglichst alle Ansprüche zu berücksichtigen und frühzeitig Konflikten gegenzuwirken. Ebenfalls sollten die Verantwortlichen auf den Erfahrungsschatz und das Know-how der Beteiligten zurückgreifen. Das spart meist nicht nur Zeit, sondern auch oft Geld. Zudem kann es Sinn machen, sich mit anderen Kommunen und wichtigen Akteuren wie der Land- und Forstwirtschaft auszutauschen, um die eigenen Maßnahmen sinnvoll und effektiv zu gestalten.
Um zum Schluss den Advocatus Diaboli ins Spiel zu bringen: Warum macht es überhaupt Sinn, jetzt noch mit dem Artenschutz anzufangen, obwohl schon viele Arten fast oder bereits ganz verschwunden sind?
Heinze: Es macht nicht nur Sinn, sondern ist unerlässlich. Artenvielfalt und Biodiversität sind kein „nice to have“, sondern ein „must have“. Sie sind unsere Lebensversicherung. Überall dort, wo Arten verschwinden, werden Ökosysteme, von denen wir alle abhängen, instabiler und verlieren ihre Funktionalität.
Es ist doch aber schon viel verloren, und zudem ist eben ein rückläufiger Trend bei der Artenvielfalt zu verzeichnen.
Heinze: Dennoch: Der „point of no return“ ist bei vielen Arten noch nicht erreicht wir können noch zu einer Trendumkehr beitragen. Diese Maßnahmen zur Trendumkehr müssen nicht immer groß und kostenintensiv sein, um wirksam zu sein. Das haben wir mit unserem BiotopVerbund-Projekt erfolgreich gezeigt. Klar ist: Um unsere Ökosysteme am Laufen und Folgekosten so gering wie möglich zu halten, müssen wir jetzt handeln! Jede Kommune kann einen wertvollen Beitrag leisten.
Zur Person
Dr. Johannes Heinze ist Projektleiter Bundes-Biotopprojekt bei der Heinz Sielmann Stiftung.
Interview: Sabine Schmidt