Anderthalb Jahre nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine, kurz vor dem zweiten Winter nach Kriegsbeginn – wo stehen wir bei der Energieversorgung? Antworten vom Präsidenten der Bundesnetzagentur Klaus Müller.
Die Gasversorgung in Deutschland ist stabil, die Vorbereitung auf den nächsten Winter aber eine zentrale Herausforderung, und ein sparsamer Gasverbrauch bleibt wichtig: Das ist auf der Website der Bundesnetzagentur zu lesen. Richtet sich der Hinweis auf den sparsamen Gasverbrauch vor allem an die Versorger oder auch an Verbraucher?
Klaus Müller: Wir haben eine Gasmangellage im vergangenen Winter abwenden können. Der milde Winter hat sehr geholfen. Aber es war auch wichtig, dass Industrie und Bevölkerung Gas eingespart haben. Wir haben unsere Importe diversifiziert, und auch die Versorger beziehungsweise die Stadtwerke haben einen wichtigen Beitrag geleistet. Alle zusammen haben in manchen Monaten über 20 Prozent weniger Gas verbraucht. Das hat gut geklappt – und genau so sollten wir jetzt weitermachen. Verbraucherinnen und Verbraucher können viel beitragen, nicht nur die großen Unternehmen.
Trotz der intensiven Medienbegleitung scheint ein Bewusstsein dafür zu fehlen, dass Energie gespart werden muss: dass nicht nur gespart werden sollte, weil Energie teurer wird, sondern auch, weil Ressourcen und Umwelt geschont werden müssen, und ebenso, um unabhängig zu werden. Wie sehen Sie das?
Müller: Ich nehme durchaus wahr, dass das Bewusstsein dafür gewachsen ist, das Klima zu schützen. Wir spüren die Auswirkungen der Erderwärmung hier, wir sehen sie auf der ganzen Welt. Es ist nicht mehr möglich, darüber hinwegzusehen. Fast alle politischen Parteien haben den Klimaschutz in ihre Programme aufgenommen. Genauso präsent ist vielen der russische Angriff auf die Ukraine. Niemand will mehr zurück in die Zeit, in der wir unsere Gasversorgung von Russland abhängig gemacht haben. Die CO2- Preise werden deutlich steigen, sodass Gas teurer wird. Das alles sind Anreize, von den fossilen Energien wegzukommen. Für die einen wiegt der Klimaschutz stärker, für die anderen die Kostenersparnis. Aber dass wir grundsätzlich eine Transformation brauchen, eine Energiewende, daran gibt es keinen Zweifel.
Was ist hier für die Bundesnetzagentur von besonderer Bedeutung?
Müller: Die Bundesnetzagentur ist Teil der Energiewende. Wir treiben den Netzausbau voran, indem wir die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Dafür haben wir im vergangenen Jahr Rückenwind in Form von geänderten Gesetzen bekommen. Wenn Netze gebaut oder ausgebaut werden, wird die Bevölkerung einbezogen. Es ist ein demokratischer Prozess, bei dem alle Beteiligten den bestmöglichen Kompromiss aushandeln. Dabei hilft es natürlich, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Notwendigkeit des Netzausbaus anerkennen. Wir brauchen die erneuerbaren Energien, so viel wie möglich und so schnell es geht. Die Leitungen transportieren sie dorthin, wo wir sie brauchen. Wenn diese Priorität klar ist, erreichen wir unser Ziel schneller.
Kritik gibt es insbesondere daran, dass es nicht schnell genug weitergeht mit Wind- kraftanlagen – wie schätzen Sie das ein?
Müller: Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, eine gute Nachricht zu verkünden: Mitte Juni haben wir die Zwischenergebnisse für die laufenden Ausschreibungen von Offshore-Windenergie veröffentlicht. Vier Flächen in Nord- und Ostsee waren ausgeschrieben. Für alle sind mehrere Null-Cent-Gebote eingegangen. Das bedeutet, dass die Unternehmen keine Förderung für den Ausbau dieser Energie brauchen. Windkraft ist also wirtschaftlich attraktiv. Im Juli wurde ein sogenanntes dynamisches Gebotsverfahren durchgeführt. Für die Flächen wurden insgesamt 12,6 Milliarden Euro erzielt.
Wohin gehen die Erlöse?
Müller: Sie fließen zu 90 Prozent in die Senkung der Stromkosten. Der Rest kommt dem Schutz der Meere zugute und fördert eine umweltschonende Fischerei. Natürlich kann alles immer noch schneller gehen. Aber ich stelle fest, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir dürfen zufrieden sein, ohne dabei in unseren Anstrengungen nachzulassen.
Wo sehen Sie aktuell im Bereich der Energieversorgung die wichtigsten Entwicklungen?
Müller: Der größte Fortschritt ist, dass wir die Transformation der Energiewirtschaft nun wirklich mit voller Kraft angehen. Gas und Kohle, also die fossilen Energien, weichen zunehmend solchen, die unsere begrenzten Ressourcen schonen. Die Fortschritte im Netzausbau sind messbar und werden es bald noch viel mehr sein. Bis Ende des Jahres sind für knapp 900 Kilometer Hochspannungsleitungen die Verfahren vollständig abgeschlossen. Bis Ende 2024 sollen Genehmigungen für 2800 Kilometer und bis Ende 2025 für insgesamt 4400 Kilometer Leitungen erteilt werden.
Wie interpretieren Sie diese Zahlen?
Müller: Sie zeigen ganz objektiv und nüchtern, dass die Trägheit der vergangenen Jahre überwunden ist. Der Wille ist da, die Gesetze sind es auch. Die Verfahren wurden deutlich vereinfacht. Die Herausforderung wird sein, das Tempo noch weiter zu steigern. Die Bundesnetzagentur wird die Fortschritte beim Netzausbau künftig regelmäßig aktualisieren, sodass jede und jeder sie nachvollziehen kann.
Was steht als Nächstes an?
Müller: Das Wasserstoffkernnetz steht vor der Tür, die gesetzlichen Grundlagen werden gerade geschaffen.
Was empfehlen Sie: Wie sollten sich Kommunen auf den nächsten Winter vorbereiten?
Müller: Es ist notwendig, weiter Gas einzusparen. Im vergangenen Winter hat das vielerorts gut geklappt, die Kommunen haben Erfahrungen gesammelt, wissen, wo es Einsparpotenzial gibt. Darauf können sie sich besinnen und darüber hinaus im besten Fall noch mehr Möglichkeiten finden. Natürlich kann es nicht schaden, sich jetzt schon darüber Gedanken zu machen. Denn auch auf den heißesten Sommer folgt ein Winter, in dem wir leider noch Gas brauchen werden.
Was erhoffen Sie sich von den Kommunen?
Müller: Ich wünsche mir, dass die Städte und Gemeinden — wie es auch beim Gebäudeenergiegesetz vorgesehen ist – schnell Konzepte für eine klimaschonende Energieversorgung ausarbeiten. Ich weiß, dass viele schon mit innovativen Ideen vorangegangen sind. Es könnte helfen, sich zu vernetzen, voneinander zu lernen.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person
Klaus Müller ist Präsident der Bundesnetzagentur.