Holz statt Stahlbeton: Der weltweit renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber fordert eine radikale Wende beim Bauen, um die Klimakrise zu stoppen. Auch Gewerbegebäude lassen sich mit Holz realisieren.
Um die Erderwärmung aufzuhalten, muss der Atmosphäre CO2 entzogen werden. Inwiefern kann dies durch das Bauen mit Holz gelingen?
Hans Joachim Schellnhuber: Wenn wir Stahlbeton durch organische Materialien wie Holz oder Bambus ersetzen, können wir zum einen erhebliche Mengen an klimaschädlichen Emissionen vermeiden. Zum anderen entsteht eine mächtige CO2-Senke, mit der wir einen erheblichen Teil der historischen Emissionen wiedergutmachen könnten. Mit regenerativer Architektur könnten wir uns gewissermaßen aus der Klimakrise herausbauen. Ein einziges Einfamilienhaus aus Massivholz kompensiert den CO2-Ausstoß von 100 Hin- und Rückflügen zwischen Berlin und New York!
Bislang wurde der Faktor „Gebaute Umwelt“ in der Klimagleichung nicht angemessen berücksichtigt. Das muss sich schleunigst ändern. Durch den Bau, die Nutzung, den Rückbau und den Abriss von Gebäuden und Infrastrukturen ist das Siedlungswesen für etwa 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Etwa 11 Prozent der globalen Emissionen gehen direkt auf das Konto der Betonproduktion. Das entspricht grob dem vierfachen Klimaeffekt des gesamten Flugverkehrs, der weltweit zu 2 bis 3 Prozent der Treibhausgasemissionen beiträgt.
Vision der Wald-Bau-Pumpe
Der CO2-Gehalt der Atmosphäre lässt sich absenken – auf natürliche Weise, kostengünstig und frei von Nebenwirkungen. Dazu muss die klimagemäße Transformation der Forstwirtschaft mit der Ablösung der mineralischen durch die organische Architektur kombiniert werden. In Summe ergibt sich daraus die Vision der Wald-Bau-Pumpe.
Den Schlüssel bildet die Photosynthese: Aus CO2 und Wasser stellen bestimmte Organismen mit Hilfe von Sonnenlicht energiereiche Kohlenhydrate („Zucker“) her und setzen dabei Sauerstoff frei. Besonders fleißig wird diese Zauberformel von den Bäumen angewandt. Sie besitzen zudem die einzigartige Fähigkeit, Biomasse zu einem Stoff zu verdichten, der Jahrhunderte, ja Jahrtausende leben kann: Holz. Dieses bindet den der Atmosphäre entzogenen Kohlenstoff dauerhaft.
Damit wird klar, wie die Wald-Bau-Pumpe funktionieren kann: Die globale Forstwirtschaft wird so ausgerichtet, dass sie die Wälder klimagerecht umbaut und zugleich möglichst viel Nutzholz für Siedlungen und Infrastrukturen auf nachhaltige Weise erzeugt. Dieses Holz und andere kohlenstoffspeichernde Naturmaterialien ersetzen Stahlbeton, Ziegel, Aluminium, Glas, Plastik usw. So erzielt man einen doppelten Klimagewinn: positive CO2-Emissionen (z.B. durch Eisenverhüttung und Kalkbrennen) werden vermieden, negative CO2-Emissionen (durch atmosphärische Extraktion und langfristige Einlagerung) werden erzeugt. Selbst in eher bedächtigen Szenarien für die gebaute Umwelt kombinieren sich beide Effekte zu einer mächtigen Waffe gegen die Erderwärmung.
Etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen gehen also auf das Konto des Gebäude- und Bausektors. In welcher Größenordnung müsste sich das Bauen mit Holz durchsetzen, damit diese Bilanz massiv verbessert würde?
Schellnhuber: Um das Klimasystem auf den vorindustriellen Zustand zurückzuführen, müsste man schätzungsweise 500 Milliarden Bäume pflanzen und hegen und etwa zwei Milliarden Wohneinheiten aus geernteter Biomasse bauen. Eine gewaltige Aufgabe! Gleichzeitig bleibt uns keine andere Wahl, wenn wir das Pariser Klimaabkommen zumindest perspektivisch umsetzen wollen. Ohne „negative“ Emissionen, wie sie die regenerative Architektur in großem Stil realisieren kann, dürfte die Erderwärmung weit und lange über die 2°C-Leitplanke hinausschießen. Vermutlich wird diese Leitplanke in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durchbrochen, aber es ist enorm wichtig, das Überschießen so flach und kurz wie möglich zu halten. Dann kann man erwarten, dass gefährliche Kipp-Prozesse im Erdsystem – wie das Abschmelzen des Grönländischen Eisschilds – noch verhindert werden. Selbst wenn wir nur die Hälfte oder ein Drittel der oben genannten Kontingente erzielten, könnte dieser Stabilisierungseffekt eintreten.
Ihr Ansatz ist ein globaler, doch woher soll in Deutschland das benötigte Holz fürs Bauen kommen?
Schellnhuber: Deutschland verfügt über die größten Holzvorräte in Europa. Von den 25 Millionen Kubikmetern Nadelschnittholz, die im vergangenen Jahr gesägt wurden, gingen zehn Millionen in den Export. Die meisten Wälder in Europa produzieren Überschüsse – nicht zuletzt durch den durch unsere Emissionen erhöhten CO2-Gehalt der Luft. Durch die weltweite Wiederaufforstung lässt sich das Angebot noch deutlich steigern. Und wir sprechen hier nicht von hoch diversen und deshalb unantastbaren Primärwäldern, sondern von aktiv bewirtschafteten Forsten! Die machen in Deutschland 94 Prozent der gesamten Waldfläche aus.
Aktuell arbeiten wir im Bauhaus Erde an einer globalen Studie, die Angebot und Nachfrage biogener Baustoffe untersucht. Diese wird uns auch für den deutschen Markt, in dem die ökologische Sanierung der Altbausubstanz im Vordergrund steht, stichhaltige Antworten liefern. Grundsätzlich wird in der Diskussion um den Klimawandel tatsächlich oft vergessen, dass wir neben der Verminderung fossiler Emissionen gleichzeitig den Raubbau an natürlichen Senken (Wälder, Mangroven, Moore usw.), insbesondere die Entwaldung im globalen Süden, stoppen bzw. umkehren müssen.
Wir opfern für die „Bauwende“ also nicht die (restlichen) Wälder unserer Erde?
Schellnhuber: Nein, denn die Grundlage liegt in einer nachhaltigen Forstwirtschaft, die organische Materialien produziert und für den Baubereich nutzbar macht. Auf der Nordhalbkugel nimmt die Waldfläche momentan zu. Dramatisch ist die Lage im globalen Süden. Dort muss die Entwaldung für die Soja- und Palmölproduktion unbedingt gestoppt werden. Darüber hinaus müssen wir degradierte Flächen wieder aufforsten. China hat es geschafft, mit einem gigantischen Aufforstungsprogramm die Wüstenbildung im Land teilweise umzukehren. Darüber hinaus gibt es interessante Initiativen, etwa die Sinai-Halbinsel wieder zu begrünen, die vor 5.000 bis 6.000 Jahren über weitverzweigte Flusssysteme verfügte.
Braucht eine großflächige Wiederaufforstung nicht viel zu lange, um das Klima zu retten?
Schellnhuber: Aufgrund des Wachstumszeitraums der Bäume handelt es sich in der Tat um ein Jahrhundertprojekt. Prinzipiell müssen wir in zwei Jahrhunderten wiedergutmachen, was wir zuvor in 200 Jahren durch die Verbrennung fossiler Energieträger an Schaden angerichtet haben. Gerade weil es ein Langfristprojekt ist, muss man damit unverzüglich beginnen.
Nicht alle organischen Rohstofferzeuger wachsen jedoch so langsam wie die deutsche Eiche. Pappeln legen zum Beispiel pro Jahr bis zu einem Meter zu. Noch eindrucksvoller sind verholzende Gräser wie der Riesenbambus: 40 Meter in 6 Jahren! Es gibt inzwischen schon einige innovative Firmen, die das für das Bauwesen nutzen wollen.