Der (Arbeits-)Druck steigt, und allein in diesem Jahr gab es zahlreiche Übergriffe zu verzeichnen – direkt vor Ort wie in den sozialen Medien. Was heißt das für die, die eher noch am Anfang stehen: Wie ist die Stimmungslage im „Netzwerk Junge Bürgermeister*innen“?
Was hören Sie von den Mitgliedern Ihres Netzwerks?
Michael Salomo: Unsere bundesweite Umfrage ergab, dass 73 Prozent der jungen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ihr Amt als Traumjob empfinden. Aber nur noch 52 Prozent sind aktuell mit diesem Traumjob zufrieden.
Woran liegt das?
Salomo: Viele sind hoch motiviert, begeistern sich für ihr Amt und stecken voller Tatendrang. Manchmal allerdings ist die Realität ernüchternd. Viele kommen an ihre Belastungsgrenzen, der Handlungsspielraum ist durch begrenzte Ressourcen eingeschränkt. Sie sind Hass und Hetze ausgesetzt, haben wenig oder keine Privatsphäre – die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind die erste Anlaufstelle vor Ort und in den Kommunen greifbar. Bürgerinnen und Bürger stellen den gesamten Staat in Frage, wenn vor Ort die Verwaltung aus finanziellen Gründen nicht handlungsfähig ist, und äußern dort auch ihren Unmut.
Wie schlagen sich diese Rückmeldungen in Zahlen nieder?
Salomo: Bei der Umfrage 2024 innerhalb unseres Netzwerkes gaben fast vier von fünf jungen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern an, dass sie an oder über der Belastungsgrenze arbeiten. Eine große Rolle spielen die finanziellen sowie personellen Herausforderungen. Zudem betrachten nur noch 24 Prozent ihre Verwaltung als handlungsfähig. Jede dritte Verwaltung wird als nicht mehr finanziell handlungsfähig eingestuft.
Woran liegt das?
Salomo: Als Ursachen nannten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unter anderem die unzureichende finanzielle Ausstattung der Kommunen, zu viel Bürokratie und einen Investitionsstau bei der kommunalen Infrastruktur. In den vergangenen Jahren haben die von Bund und Land zugewiesenen Aufgaben stark zugenommen, dabei wurde aber das Konnexitätsprinzip – „Wer bestellt, der bezahlt“ – nicht mehr konsequent durchgesetzt. Das führt zu einer erheblichen Schieflage der kommunalen Finanzen.
„73 Prozent empfinden ihr Amt als Traumjob. Aber nur noch 52 Prozent sind aktuell mit diesem Traumjob zufrieden.“
Michael Salomo
Was können Sie als Netzwerk tun – wie unterstützen Sie Ihre Mitglieder?
Salomo: Das „Netzwerk Junge Bürgermeister*innen“ bietet einen kollegialen, direkten Austausch, neue Ideen entstehen, und die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die alle mit gleichen Herausforderungen konfrontiert sind, führen Diskussionen im kommunalen Umfeld mit Bundes- und Landesministerien. Dabei ist das Thema Finanzen für uns als Netzwerk aktuell einer der wichtigsten Schwerpunkte. Der Investitionsstau aller Kommunen in Deutschland hat einen neuen Höchststand von 186 Milliarden Euro erreicht.
Wo setzen Sie an?
Salomo: Unser Netzwerk sucht immer wieder den Dialog zwischen Kommune, Landes- und Bundesregierung. Viele politische Entscheidungen der Regierungen wirken sich direkt auf die Kommunen aus. Es ist wichtig, dass wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unsere Per-spektiven darlegen, damit auch die kommunalen Interessen ausreichend vertreten sind. Letztendlich geht es um eine bürgernahe, gerechte Politik zur Verbesserung der Lebensqualität. Jede staatliche Ebene hat im Grundgesetz und den Landesverfassungen Aufgaben zugeteilt bekommen. Es ist wichtig, dass diesen Aufgaben nachgekommen wird und die Kommunen als unterste Instanz auch in Zukunft handlungsfähig bleiben.
Heißt das: mehr Geld?
Salomo: Mehr Geld und mehr Spielraum. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagt: „Kommunen sind die Speerspitze der Demokratie.“ Die Bevölkerung soll sehen, dass unsere Kommunen handlungsfähig sind und Lösungen auf die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden. Damit die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können, müssen sie mehr finanziellen Spielraum erhalten. Wichtig ist auch, den Menschen immer wieder vor Augen zu führen, wie wertvoll die Errungenschaften der Demokratie sind. Die Bevölkerung muss vor Ort spüren, dass ihre Anregungen gehört werden. So wird auch das Vertrauen in die Institutionen gestärkt.
Was ist aktuell entscheidend?
Salomo: Wichtig ist mir, die genannten Themen zügig anzugehen. Die Finanzierung zur Aufgabenerfüllung und zur Auflösung des Investitionsstaus muss vorhanden sein. Das Konnexitätsprinzip muss zwingend wieder eingehalten werden, um die Handlungsfähigkeit für die Zukunft zu gewährleisten und nicht durch ungelöste politische Herausforderungen die Bürgerinnen und Bürger in die Arme von Populisten zu treiben. Aber auch eine Änderung der Förderpolitik ist dringend notwendig.
Was wollen Sie in diesem Themenbereich ändern?
Salomo: Die Regularien der Fördermittel engen den knappen Handlungsspielraum weiter ein. Damit Kommunen handlungsfähig bleiben, ist es nicht zu empfehlen, noch mehr Förderprogramme auf den Weg zu bringen. Den Städten und Gemeinden muss mehr Geld direkt und nicht zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden. Fördermittel beinhalten oft eine Anschubfinanzierung, jedoch bleiben die Kommunen auf den Abschreibungen und den Folgekosten sitzen. Dementsprechend kann eine Kommune zum Beispiel nach der Teilnahme an fünf oder sechs Förderprogrammen die Folgekosten eigenständig nicht mehr ausgleichen, ohne andere Standards zu hinterfragen oder zu kürzen.
Welche weiteren Themen sind ganz oben auf Ihrer Liste?
Salomo: Der Bürokratieabbau muss weiter und schneller vorangetrieben werden. Die Transformation und die Globalisierung werden immer rasanter fortschreiten – und wir sollten unbedingt neue Anreize zur Personalgewinnung im öffentlichen Dienst schaffen. Laut einer Studie von PwC Deutschland fehlen bis 2030 im öffentlichen Dienst über eine Million Fachkräfte.
Zur Person
Michael Salomo (SPD) ist Oberbürgermeister der Stadt Heidenheim an der Brenz sowie Bundesvorsitzender und Sprecher im „Netzwerk Junge Bürgermeister*innen“.
Interview: Sabine Schmidt