Das Wahljahr 2024 zeigt sich mit zahlreichen Vorfällen und Angriffen auf Politiker, die überregional für Schlagzeilen sorgen — zum Beispiel die Attacke auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden. Was sagt der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert dazu?
Europa- und Kommunalwahl fanden am 9. Juni in Dresden statt — der Angriff auf Matthias Ecke im Vorfeld hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Wie ist der Wahlkampf danach gelaufen: Hat es weitere Vorfälle gegeben?
Dirk Hilbert: Der Wahlkampf ist, soweit ich das beurteilen kann, normal und unbeirrt weitergelaufen, und das ist auch gut so. Bedauerlicherweise hat es aber weitere Vorfälle gegeben. So wurden wenige Tage nach dem brutalen Angriff auf Herrn Ecke Wahlkampfhelfer der Grünen beleidigt und angespuckt — trotz der Begleitung durch ein Filmteam. Glücklicherweise ist nichts Schlimmeres passiert, was natürlich nicht bedeutet, dass dieser Vorfall nicht zu verurteilen ist. So etwas hat in Dresden, hat in einer Demokratie keinen Platz. Das gleiche gilt auch für beschmierte oder abgerissene Wahlplakate, mit denen leider nahezu alle Parteien zu kämpfen hatten.
Wie schätzen Sie die Gewaltlage für Dresden ein?
Hilbert: Dresden ist insgesamt eine sichere Stadt. Das bestätigen auch die Dresdnerinnen und Dresdner in der Kommunalen Bürgerumfrage, die alle zwei Jahre durchgeführt wird. Das Sicherheitsgefühl in der Gesamtstadt schwankt dabei seit 2012 zwischen Durchschnittsnoten von 2,5 bis 2,2 – wird also als „gut“ bewertet.
Es kann nicht Polizeischutz für jeden Politiker und jeden Wahlkämpfer geben. Was aber kann man tun, um Übergriffe möglichst zu verhindern? Was tun Sie in Dresden — was ist neben Polizeischutz und Polizeipräsenz zielführend?
Hilbert: Hier helfen nur ein schnelles und hartes Durchgreifen gegenüber den Tätern und ein Zusammenrücken der Zivilgesellschaft, die zeigen muss, dass so etwas in unserer Stadt nicht akzeptiert wird. Harte inhaltliche Auseinandersetzungen ja, Gewalt nein — das muss in einer Demokratie Konsens sein. Denn jeder Vorfall, egal ob es sich „nur“ um ein zerstörtes Wahlplakat oder Tätlichkeiten gegenüber Wahlkampfhelfern und Politikern handelt, ist ein Angriff auf uns alle und die Art, wie wir miteinander leben wollen. Deshalb bin ich auch froh, dass die mutmaßlich Verantwortlichen für den Angriff auf Herrn Ecke schnell ermittelt werden konnten. Die Strafe muss nun auf dem Fuß folgen, um all jenen, die unsere Demokratie bekämpfen, klarzumachen, dass sie nicht wehrlos ist.
Braucht es mehr oder andere Unterstützung von Bund und Land?
Hilbert: Die Möglichkeiten, als Stadt auf diese Entwicklungen Einfluss zu nehmen, sind begrenzt, weshalb sich das Problem lokal nicht lösen lässt. Hier braucht es gesamtgesellschaftliche Debatten und Initiativen und natürlich die Unterstützung von Bund und Land, speziell, was die politische Bildung anbelangt. Denn Bildung ist immer noch das beste Mittel gegen die Rattenfänger von den politischen Rändern. Es muss vermittelt werden, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern harte Arbeit. Es ist aber Arbeit, die sich lohnt.
Angriffe auf Politiker und Politikerinnen, aber auch auf die Polizei oder Feuerwehr finden bundesweit statt. Dennoch gibt es die Befürchtung, dass die Situation in den ostdeutschen Bundesländern aufgeheizter und gefährlicher ist als in den westdeutschen — teilen Sie diese Einschätzung?
Hilbert: Nein, solche schrecklichen Vorfälle sind leider ein gesamtdeutsches Problem. Das zeigen zum Beispiel die Geschehnisse in Göttingen einige Tage vor den Wahlen, als Linksextreme das Rathaus gestürmt und Mitarbeiter bedroht haben. Wer da nur auf den Osten zeigt, macht es sich zu einfach. Die aufgeheizte Stimmung im Land kühlt man dadurch nicht ab, im Gegenteil.
Sie sind seit 2015 im Amt: Beobachten Sie eine zunehmende Gewaltbereitschaft?
Hilbert: Eine Verrohung der Sprache ist durchaus zu beobachten. Dafür reicht nur ein Blick unter einen beliebigen Post in den sozialen Medien. Dabei ist es mittlerweile fast egal, um was es darin inhaltlich geht oder von wem er kommt. Dass mittlerweile eine Partei in allen Parlamenten sitzt, die diese Stimmung noch anheizt, macht es nicht einfacher. Eine zunehmende Gewaltbereitschaft kann ich persönlich zumindest für Dresden nicht beobachten.
Haben Attacken wie die auf Matthias Ecke Folgen für Dresden: War es in der Folge etwa schwierig, Wahlhelfer und -helferinnen für die Wahl am 9. Juni zu finden?
Hilbert: Dankenswerterweise sind zahlreiche Dresdnerinnen und Dresdner unseren Aufrufen gefolgt, sodass wir genügend Freiwillige gefunden haben, die sich ehrenamtlich engagiert und bei der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl mitgeholfen haben. Um das zu erreichen, haben wir beispielsweise gemeinsam mit Partnern wie der Dresdner Philharmonie oder den Footballern der Dresden Monarchs in Videos in den sozialen Medien dazu aufgerufen, sich zu melden. Mit Erfolg.
Tauschen Sie sich mit anderen Städten und Gemeinden zum Thema Gewalt und antidemokratische Übergriffe aus?
Hilbert: Als Oberbürgermeister stehe ich natürlich in ständigem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Städten und Gemeinden. Das Thema steht allerdings nicht ganz oben auf der Tagesordnung, weil unsere Einflussmöglichkeiten begrenzt sind. Stattdessen stecken meine Amtskollegen und ich unsere Kraft in die Lösung der alltäglichen Herausforderungen, vor denen die Kommunen stehen. Das hilft am besten gegen die Parolen der Populisten, und schließlich wurden wir dafür auch gewählt.
Könnten Sie sich eine kommunale Initiative vorstellen — könnte das helfen: eine gemeinsame Initiative zur Stärkung der Zivilkultur?
Hilbert: Die Stärkung der Zivilgesellschaft ist immer eine gute Idee und kann auch einiges bewirken. Das zeigt sich in Dresden jedes Jahr eindrücklich am 13. Februar, wenn sich die Stadtgesellschaft quer durch alle politischen Lager wieder und wieder den Ewiggestrigen in den Weg stellt, die dieses Datum für ihre menschenverachtende Ideologie instrumentalisieren wollen. Ob eine kommunale Initiative in ganz Deutschland sinnvoll ist, müsste man überlegen. Diese Anregung nehme ich gerne mit.
Zur Person
Dirk Hilbert (FDP) ist seit 2015 Oberbürgermeister der sächsischen Landeshauptstadt Dresden.
Interview: Sabine Schmidt