Vielen Branchen mangelt es an Nachwuchs. Eine Möglichkeit, diesem Engpass entgegenzuwirken, ist, im Stammpersonal noch nicht entdeckte Begabungen zu finden. Diese Potenziale gilt es dann mit Weiterbildungen zu fördern. Ein anderer Weg kann sein, Quereinsteiger für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.
Eine kommunale Verwaltung ist ein facettenreiches Gebilde mit den unterschiedlichsten Aufgabenfeldern. Um diese optimal bearbeiten zu können, ist der Rückgriff auf gutes Personal unerlässlich. Wenn man jedoch genauer hinschaut, geht es eigentlich um die Frage: Wie erlangen Mitarbeiter gute Kompetenzen? Häufig wird in der Praxis kein Unterschied zwischen Qualifikation und Kompetenz gemacht. Das kann fatale Auswirkungen in der Arbeitsqualität haben.
Vor allem in der öffentlichen Verwaltung wird, auch aufgrund der tarif- und beamtenrechtlichen Bestimmungen, peinlich genau darauf geachtet, welche Qualifikation (z. B. Verwaltungsprüfung I oder II) ein Mitarbeiter vorweisen kann. Weniger berücksichtigt wird oft, was er tatsächlich kann. Beispielsweise wird eine Stelle nach dem Anforderungsprofil mit einem Diplom-Ingenieur (FH) aus dem Bereich Bauwesen besetzt. Aber der Kandidat wird die Themen nicht in dem Maße bearbeiten können, wie es erforderlich wäre. Denn er verfügt über die Qualifikation, nicht aber über die Kompetenz. Die Besetzung der Stelle mit (nur) einem staatlich geprüften und kompetenten Techniker kann sinnvoller sein, obwohl dieser die formale Qualifikation nicht mitbringt.
Kompetenz statt formaler Qualifikation
Andere Branchen gehen diesen Weg bereits. Uhrmacher etwa stellen aufgrund des Fachkräfteproblems ausgebildete Zahntechniker ein. Die sind zwar nicht formal qualifiziert, aber kompetent, weil sie ein filigranes Gespür in den Händen haben. Kaum ein Arbeitgeber würde sagen: „Der hat die Prüfung nicht gemacht.“ Deshalb sind auch Verwaltungen hier gut beraten, wenn sie mehr mit der „Talententfaltungs-Brille“ auf ihre Mitarbeiter und Auszubildenden schauen. Computerfirmen stellen Autisten ein, die noch nie in einer Informatikvorlesung gesessen haben. Ein Brustkrebsvorsorgezentrum stellt blinde Frauen ein, weil diese einen Knoten in der Brust besser ertasten können, als jede ausgebildete Fachärztin.
Eine innovative Idee der Kompetenzentwicklung hat der Keynote-Speaker Philipp Riederle in seinem Buch „Wie wir arbeiten und was wir fordern“ vorgeschlagen. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoll, eine dreijährige Ausbildung mit anschließender praktischer Tätigkeit einem Bachelor-Abschluss gleichzusetzen. In dieser Praxisphase eignet sich der Mensch Kompetenzen an und vertieft diese. Das ist ein Weg in die richtige Richtung, denn es geht um mehr Durchlässigkeit und Flexibilität der Strukturen. Damit könnte auch der Fachkräfte-Problematik, gerade im technischen Bereich in der öffentlichen Verwaltung, gut begegnet werden. Derzeit müssen über die neue Entgeltordnung noch viele Hintertüren aufgemacht werden, um den Einstieg in bestimmte Entgeltgruppen zu ermöglichen.
Es sollte ein viel größerer Fokus auf noch nicht entdeckte Talente, Begabungen, Neigungen und Potenziale von Mitarbeitern gerichtet werden. Derzeit verfolgen Verwaltungen unter dem Schlagwort „Personalentwicklung“ häufig einen Kompetenz-Defizit-Abbau. Zunächst wird ermittelt, worin ein Mitarbeiter nicht gut ist. Anschließend bringt man ihn mithilfe von Fortbildungen maximal auf ein mittelmäßiges Niveau. Wenig Beachtung findet dagegen, was ein Mitarbeiter schon sehr gut kann. Auch wenn es eventuell nicht zum Kernaufgabenfeld seines Arbeitsbereiches gehört. Das wäre aber in Einzelfällen tatsächlich zielführender. Gemeinsam mit dem Mitarbeiter Strategien entwickeln, wie Dinge, die er gut kann, weiter für die Ziele der Organisation verbessert werden können, sogar für andere Fachbereiche.
Potenziale beim Stammpersonal
Und es bietet sich vor dem Hintergrund der Unterschiedlichkeit von Qualifikation und Kompetenz an, auch das Stammpersonal ebenfalls einmal mit der „Talententfaltungs-Brille“ zu betrachten. Vielleicht schlummern in dem einen oder anderen Mitarbeiter noch unentdeckte Potenziale, die man freilegen kann. Denn auch dort gilt, permanente Weiterbildung ermöglicht, dass sich Talente weiter entwickeln.
Alle diese Möglichkeiten sollten ausgenutzt werden, um einen umfassenden Kompetenzerwerb zu fördern. Nebenbei stärkt dies vermutlich auch das Image des eigenen Hauses im Hinblick auf Arbeitgeberattraktivität, das heißt in Richtung Employer Branding.
Bei aller Euphorie für diesen sehr jungen Ansatz in der Personalentwicklung stößt dieser auch an Grenzen. Ich halte es für problematisch, aus einem Verwaltungssachbearbeiter einen leitenden Stadtplaner zu machen. Da liegen die Kernkompetenzen nicht nahe genug beieinander. Es müssen aus meiner Sicht schon einige fundamentale Übereinstimmungen zwischen Anforderungsprofil einer Stelle und Kompetenzprofil eines Mitarbeiters geben, sonst erscheint mir der Aufwand für eine solches „Update“ ganz einfach zu hoch zu sein.
Marco Weißer
Der Autor
Marco Weißer ist büroleitender Beamter in einer rheinland-pfälzischen Kommunalverwaltung, Buchautor, Seminarleiter, und Inhaber des Effico Instituts für Aus- und Fortbildung in Hundsangen/Westerwald