Schritt für Schritt gehen die Städte voran

Klimaschutz ist eine kommunale Daueraufgabe. Die Bedeutung der Kreise, Städte und Gemeinden für strukturelle Veränderungen in den Sektoren Energie, Bauen und Verkehr ist nicht hoch genug einzuschätzen. Als besonders ertragreich erweisen sich integrierte Maßnahmen und Entwicklungskonzepte.

Die Stadt Pirmasens (rund 41 000 Einwohner, Rheinland-Pfalz) ist Trägerin des Deutschen Nachhaltigkeitspreises. Nach dem Verlust der Schuh- und Lederindustrie kämpft die grenznahe Stadt um wirtschaftliche Konsolidierung. Die Jury zeigte sich im Jahr 2013 beeindruckt: Mit der energetischen Sanierung der Kläranlage konnte Pirmasens dauerhaft sowohl CO2-Emissionen als auch Energiekosten mindern und so ein Beispiel für nachhaltige Stadtentwicklung trotz knapper Kassen setzen.

International ist das Interesse für solche integrierte Maßnahmen groß, die Klima- und Umweltschutz mit neuen Finanzierungsinstrumenten verbinden und sozialen Zusammenhalt stärken. Der jüngste Bericht des UN-Weltklimarates (IPCC) unterstreicht die tragende Rolle der Städte und Gemeinden im dringlichen Umbau der Industriestaaten hin zu kohlenstoffarmen Gesellschaften, um die „Handlungslücke“ zu schließen, die sich im vergangenen Jahrzehnt durch zu zögerliches Handeln in Politik und Wirtschaft so deutlich aufgetan hat. Deutschland wird die 2020-Ziele nicht erreichen, die Emissionen sind 2017 sogar leicht gestiegen. Vermutlich werden wir im Vergleich zu 1990 nur etwa 30 Prozent Einsparungen anstatt der anvisierten 40 Prozent schaffen.

Die neue Bundesregierung beteuert nun, die ambitionierten 2030-Ziele in allen Sektoren einhalten zu wollen und 2050 „klimaneutral“ zu sein. Dies wird ohne zusätzliches, ehrgeiziges Nachsteuern nicht möglich sein. Die Regierungskoalition setzt dabei insbesondere auf verbesserte Energieeffizienz, den Ausbau von erneuerbaren Energie und bindende Verordnungen in den Sektoren Bauen und Verkehr. Der Blick auf die Pariser Klimaziele und die Ergebnisse im nationalen und internationalen Klimaschutz zeigt deutlich, dass die Rolle der Kreise, Städte und Gemeinden für solche strukturellen Veränderungen in diesen Bereichen nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Die Landeshauptstadt Hannover ist Trägerin des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2017 und ein Beispiel für integrierten Klimaschutz. Unter dem Banner „Mein Hannover 2030“ haben mehr als 25.000 Einwohner zur Erarbeitung eines Integrierten Standentwicklungskonzeptes beigetragen. Verschiedene Maßnahmen verbinden auf ambitionierte Weise den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt mit der Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabe. So zum Beispiel das Projekt „Städte Wagen Wildnis“, das Natur in die Stadt bringt, Lebensräume für Tiere und Pflanzen schafft und als Kohlenstoffsenke dient. Um sich den Herausforderungen einer zukunftsfähigen urbanen Mobilität zu stellen, investiert die Stadt in Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs. Seinen Anteil am Gesamtverkehr will sie bis 2025 um 25 Prozent steigern.

Freiburg will Emissionen halbieren

Initiativen zum generationenübergreifenden Wohnen unter anderem in Stuttgart, Bonn, Hamburg und Oberbayern belegen die Potenziale integrierter Maßnahmen zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes und zur Senkung des Pro-Kopf-Energieverbrauches.

Auch andere Gemeinden zeichnen sich durch eine integrierte, klimafreundliche Stadtentwicklung aus. Sie leisten Erhebliches zum Erreichen der Klimaziele, wie etwa Böblingen (Baden-Württemberg), das im Februar dieses Jahres mit dem European Energy Award für seine hervorragenden Maßnahmen zum Beispiel zur Verbesserung der Energieeffizienz in öffentlichen Gebäuden und der energetischen Restmüllnutzung, ausgezeichnet wurde. In Freiburg (Baden-Württemberg) beschloss der Gemeinderat 2014 einstimmig, die Emissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Bis 2020 sollen mindestens 29 Prozent erreicht sein. Mit einer konsequent energieeffizienten Stadtentwicklungsplanung in neuen Stadtteilen wie Vauban, Rieselfeld und Dietenbach soll die Stadt bis 2050 „klimaneutral“ sein. Die Stadtverwaltung schreibt das Klimaschutzkonzept regelmäßig fort, ergänzt und beobachtet den Fortschritt.

Gemeinderäte entscheiden mit

Wie viele andere Städte, lässt sich Freiburg durch Beteiligung im sogenannten Konvent der Bürgermeister inspirieren, der Städte weltweit zur Übernahme guter Beispiele ermutigt. Vielfältige, auch finanzielle Unterstützung für kommunalen Klimaschutz finden Städte und Gemeinden in Europa beispielsweise in Förderprogrammen wie Horizon 2020, Life oder Interreg. Die Stadt Köln hat im Rahmen des EU-Projekts „Celsius“ Direkt-Verdampfer-Anlagen in drei Schulen installiert; eine davon ist mit 400 Kilowatt Leistung die größte in Deutschland. Theoretisch ungenutzte (Ab)Wärmeenergie aus dem Kraftwerk Hürth allein würde ausreichen, drei weitere Innenstädte der Größe Kölns zu versorgen.

In Deutschland unterstützt die Nationale Klimaschutzinitiative bereits über 3000 Kommunen in über 12.500 Projekten bei der Entwicklung integrierter Klimaschutzkonzepte oder der Einstellung von Klimaschutzmanagern sowie in der Umsetzung und Finanzierung von Maßnahmen. Mehr als 1,5 Milliarden Euro für struktur- und beschäftigungspolitische Hilfe des Bundes stehen zur Verfügung. Diese nutzt etwa die Landeshauptstadt München für den nötigen Umbau der lokalen Energieversorgung. Ende 2017 hatten über 60 Prozent der Einwohner für den Ausstieg aus der Nutzung von Kohle bis 2022 gestimmt. Welchen Beitrag die Digitalisierung relevanter Infrastrukturen zum Klimaschutz leisten kann – Stichwort Smart City – und welchen Unterstützungsbedarf Kommunen haben, wird zurzeit in einem vom Umweltbundesamt geförderten Projekt untersucht (s. Info).

Auch wenn Klimaschutz keines der Top-5-Themen der Stadtspitzen im „OB-Barometer 2018“ des Deutschen Instituts für Urbanistik ist, bleibt der klimagerechte Umbau der Infrastruktur eine große Herausforderung der Kommunalpolitik. Jeden Tag treffen Gemeinderäte langfristige, klimarelevante Entscheidungen. Hier wird ein neues Stadtviertel zur Wohnraumerweiterung geplant, dort ein Logistik- oder Digitalisierungskonzept für Innenstädte erarbeitet und an anderer Stelle über das Catering in städtischen Kindergärten entschieden. Jede dieser Entscheidungen ist nicht „klimagetrieben“, gleichwohl „klimarelevant“.

Die Top-Themen deutscher Kommunalpolitik – Integration, Digitalisierung, Mobilität und Wohnen – lassen sich leicht in klimafreundliche Projekte übersetzen. Dazu braucht es Erfahrung, Verantwortung, einen integrierten Ansatz in der Kommunalentwicklung sowie kluge Gemeinderäte, die ambitionierte, kommunal-globale Klimapolitik umsetzen.

Holger Robrecht / Carsten Rothballer / Nikolai Jacobi

Die Autoren
Holger Robrecht ist stellvertretender Leiter des Europasekretariats des Städtenetzwerks ICLEI – Local Governments for Sustainability mit Sitz in Freiburg, Carsten Rothballer und Nikolai Jacobi sind Mitarbeiter im Team „Klima und Energie“

Info: Städtenetzwerk ICLEI

Das internationale Städtenetzwerk ICLEI – Local Governments for Sustainability engagiert sich für nachhaltige Entwicklung. Ein Team von mehr als 50 Nachhaltigkeits- und Kommunikationsexperten im Europasekretariat in Freiburg unterstützt Kommunen in 35 Ländern. International vertritt das Netzwerk Städte und Gemeinden unter anderem in den UN-Klimaverhandlungen.

Die Organisation bietet multidisziplinäre Expertise, Kompetenzentwicklung und Möglichkeiten des Austauschs auf europäischer und globaler Ebene. ICLEI berät Stadt- und Gemeindeverwaltungen, Fachbehörden sowie politische Entscheidungsträger und Fachleute.

Aktuelle ICLEI-Programme im Bereich Klima und Energie:

  • Heat Roadmap Europe: Strategie für klimafreundliches Heizen und Kühlen. Daten rund ums Heizen und Kühlen sind im europaweiten Thermischen Atlas abrufbar

  • GPP2020: Klimawirksame Beschaffung. Fallbeispiele, Impact-Rechner und vieles

  • C-TRACK 50: Regionen für Klimaneutralität bis 2050. Kostenlose Beratung für Finanzierung und Umsetzung von lokalen Klimaschutzmaßnahmen

  • Smarte umweltrelevante Infrastrukturen: Anwendungsfelder, Bedarfe, Praxiserfahrung aus kommunaler Sicht. Studie im Auftrag des Umweltbundesamts und des Bundesumweltministeriums. Kontakt: Carsten Rothballer