Die EU hat die Netto-Null-Industrie-Verordnung beschlossen. Eines der wesentlichen Ziele: Der Ausbau erneuerbarer Energien soll beschleunigt werden. Was insbesondere Gemeinderäte jetzt im Blick haben sollten, erklärt Markus Bojack.

Die Lausitz-Region ist traditionell für eine nicht besonders emissionsarme Wirtschaft bekannt: Braunkohlekraftwerke wie Jänschwalde und Schwarze Pumpe sind hier beheimatet. Zudem gab es viele weitere, die mittlerweile stillgelegt oder abgerissen sind. Jetzt aber wird ein neues Kapitel aufgeschlagen: Die Lausitz-Region will Vorreiter bei der CO2-neutralen Transformation und der Ansiedlung emissionsarmer Unternehmen sein.
Dafür hat sich die ostdeutsche Region bei der EU beworben: nur wenige Tage, nachdem die neue Netto-Null-Industrie-Verordnung in Brüssel beschlossen wurde. Die Richtlinie soll den Ausbau erneuerbarer Energien in der EU deutlich beschleunigen — und rund um die Lausitz trauen sich die Städte und Gemeinden zu, dies erfolgreich umzusetzen.
Verordnung soll Netto-Null-Technologiesektoren stärken
Im Februar 2024 haben Vertreter der EU-Mitgliedstaaten und der federführende Industrieausschuss des Europäischen Parlaments dem neuen Gesetz zugestimmt. Die endgültige Annahme durch das Plenum und die Minister erfolgte am 25. April. Die Verordnung soll die Wettbewerbsfähigkeit der Netto-Null-Technologiesektoren in der EU stärken, die Standortbedingungen für europäische Hersteller verbessern und den Übergang zur Klimaneutralität unterstützen.
Das Ziel: Bis 2030 sollen 40 Prozent des Bedarfs an klimaschonender Energieproduktion in der EU eigenständig gedeckt werden. Um das zu erreichen, werden Genehmigungsverfahren beschleunigt — und Unternehmen, die Gas und Öl fördern, werden verpflichtet, CO2-Speicherkapazitäten zu schaffen. Ein jährliches europäisches Ziel von 50 Millionen Tonnen CO2-Speicher ist dafür festgelegt worden.
Cleantech-Markt
Das Netto-Null-Industrie-Gesetz soll dafür sorgen, dass mehr saubere Technologien in der EU produziert werden. Es geht um Technologien, die die Energiewende vorantreiben und nur geringe bis keine Treibhausemissionen verursachen.
Besonders relevant für Kommunen und öffentliche Unternehmen sind die neuen Vergabekriterien: Bei der Beschaffung von Netto-Null-Technologien muss ein Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit sowie zur Resilienz berücksichtigt werden. Näheres wird noch durch die EU konkretisiert.
Die Verordnung betrifft Städte und Gemeinden vor allem in den Bereichen erneuerbare Energien, Stromnetze einschließlich Ladeinfrastruktur, Energiespeicher, Wasserstoff, Wärmepumpen sowie CO2-Transport- und CCU-Technologien. Gemeinderäte müssen sich darauf einstellen, dass bis 2030 ein erheblicher Teil dieser Technologien lokal produziert und genutzt wird.
Für den Alltag in den Kommunen bedeutet dies, dass Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden müssen. Gemeinderäte sollten darauf achten, dass die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehören der Ausbau von Stromnetzen, die Installation von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und die Förderung von Wasserstoffprojekten.

Neue Vergabekriterien sind komplexer
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Beschaffung der emissionsarmen Technologien. Die neuen Vergabekriterien erfordern, dass bei Ausschreibungen neben dem Preis auch Nachhaltigkeit, Cybersicherheit und Resilienz berücksichtigt werden. Kommunale Entscheider müssen deshalb sicherstellen, dass ihre Vergabeverfahren diesen neuen Anforderungen gerecht werden, um mögliche Gebühren für die Nichteinhaltung der Vorgaben zu vermeiden. Die kommunalen Spitzenverbände hatten sich im Gesetzgebungsverfahren mehrfach gegen die Aufnahme komplexer Vergabekriterien ausgesprochen.
Die neuen Kriterien bleiben aber eine Herausforderung. Etwas Erleichterung verschafft allerdings die (deutsche) vergaberechtliche Ausnahme für Beschaffungen für die regenerative Stromerzeugung: Kaufen Stadtwerke Solaranlagen oder Windräder, wird dies im Regelfall nicht mehr unter die strengen EU-Vorgaben fallen.
Wie es mit der Neuregelung weitergehen sollte
Die Neuregelung zu Netto-Null-Industrien stellt Kommunen vor große Herausforderungen. Gemeinderäte spielen dabei eine entscheidende Rolle, da sie lokale Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele umsetzen müssen. Dabei können sie auf Unterstützung von Einrichtungen wie der Net-Zero-Europe-Plattform und der Europäische Wasserstoffbank zurückgreifen, die bei Planung, Finanzierung und Umsetzung begleiten.
Auch der Austausch von Best-Practice-Beispielen anderer europäischer Städte ist sinnvoll. Darüber hinaus bieten Reallabore die Möglichkeit, neue Technologien und Konzepte im Sinne eines „Experimentierfeldes“ zu testen.
Gemeinderäte sollten sich ab sofort auf die Anforderungen des Netto-Null-Energie-Gesetzes vorbereiten, beispielsweise durch Fortbildung und Schulungen, die Nutzung von Informationsplattformen und Netzwerken.
Markus Bojak
Der Autor
Markus Bojack ist Geschäftsführer der CM-Active GmbH. Er begleitet Unternehmen und öffentliche Institutionen beim Sach- und Dienstleistungskostenmanagement.