Ladesäulenausbau mit IT statt Bagger

Ohne Ladesäulen keine E-Mobilität. Viele Städte planen nun den Aufbau der erforderlichen Infrastruktur. Energiemarkt-Experte Matthias Rohr erläutert die Bedeutung des Stromanschlusses und wie mit intelligenten IT-Netzreglern aufwendiger Tiefbau im besten Fall vermieden werden kann.

Herr Rohr, Sie kennen die E-Mobilitäts- und Energiebranche: Wie steht es um das Elektroauto in Deutschland?

Rohr: Es ist noch kein Jahr her, da war die Stimmung für Elektromobilität noch eine ganz andere. Derzeit scheint es sogar nicht unrealistisch, dass in drei oder vier Jahren die für das Jahr 2020 prognostizierten eine Million E-Autos auf Deutschlands Straßen fahren. Es kann ein exponentielles Wachstum entstehen, das schnell zu einer hohen Verbreitung führt.

Wie kommt das?

Rohr: Es gibt derzeit viele Impulse wie Förderprogramme für Kommunen, der weltweite Wettbewerb um E-Autos und Ladetechnik und die Diskussionen um Fahrverbote und den Klimawandel. Insbesondere geht es auch beim Aufbau der Infrastruktur voran, beispielsweise hat das Bundesverkehrsministerium kürzlich mit der Gastronomiekette Tank & Rast die Ausstattung von allen ihren rund 400 eigenen Raststätten an Bundesautobahnen mit Schnellladesäulen vereinbart. Wer nun jedoch zu lange wartet, kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr auf den Zug aufspringen, sondern wird überrollt. Das gilt insbesondere für Autohersteller. Es gilt jedoch auch für kommunale Infrastrukturen, da sonst ein enormer zusätzlicher Straßenbau zur Stromnetzertüchtigung, ein ausgebremster Ausbau mit Ladeinfrastruktur und zugleich hohe regionale Stromnetzkosten entstehen. Die Elektromobilität berührt vorwiegend die Stadtnetze.

Wie gehen die Städte mit der Herausforderung um, Ladesäulen auszubauen? Und werden die Stromnetze berücksichtigt?

Rohr: Viele Städte gehen jetzt viel offensiver den Ausbau mit Ladesäulen an, wegen der Luftverschmutzung oder auch weil sie die Stadtattraktivität verbessern wollen. Ein Teil unterschätzt oder ignoriert die Stromnetze, weil die ersten einzelnen Ladesäulen scheinbar wenig Probleme machen. Die Herausforderungen werden aber schnell sichtbar, wenn ein größerer Parkplatz mit Ladesäulen ausgestattet werden soll und, wie üblich, gerade kein Umspannwerk in der Nachbarschaft liegt. Viele Städte wollen aber jetzt sofort etwas tun, da sie wissen, dass ein Teil der Stadtbewohner sowie moderne Unternehmen einen Ausbau der E-Mobility-Infrastruktur fordern. Es besteht die Sorge, dass für den Ausbau der Infrastruktur die Stromnetze massiv ertüchtigt werden müssen oder auch, dass man sie falsch erweitert.

Ist diese Sorge nicht berechtigt?

Rohr: Ja und nein. Die Stromnetze wurden nie für Elektromobilität ausgelegt. Das heißt, selbst derzeit übliche Ladepunkte mit 20 Kilowatt oder bereits verfügbare Schnellladesäulen mit mehr als 100 kW können die Stromnetze überlasten, zum Beispiel bei örtlicher Häufung, bei gleichzeitigen Ladespitzen und hohem sonstigen Verbrauch. Um dies zu vermeiden, hatten viele Netzbetreiber traditionell nur die Möglichkeit, die Netze auf den Worst Case, also den schlimmsten möglichen Fall der Gleichzeitigkeit von Lastspitzen, vorzubereiten und zwar durch einen konventionellen Leitungs- und Trafoausbau auf Basis von Kupfer. Doch diese Worst-Case-Auslegung ist hochgradig ineffizient und treibt letztendlich die Stromkosten als Standortfaktor in die Höhe. Zudem werden dadurch die Städte ausgebremst, weil zunächst großflächig Bagger zum Einsatz kommen, um Leitungen mit größerem Querschnitt zu verlegen. Dabei gibt es inzwischen neue Technologien, die den Netzausbaubedarf erheblich reduzieren, hinausschieben oder gar vermeiden können. Dabei kann man von einem digitalen Netzausbau im Gegensatz zum Ausbau mit Kupfer sprechen.

Wie ist es möglich, Leitungs- und Trafoausbau überhaupt zu vermeiden?

Rohr: Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es für die meisten Ladepunkte eine 100-prozentige Schnelllade-Garantie geben muss. Warum sollte es nicht akzeptabel sein, dass beispielsweise eine zweiprozentige Chance auf lediglich Normallademodus bei einer öffentlichen Ladesäule gilt, wenn dadurch ein Großteil der Netzausbaukosten und der Baubelästigungen eingespart werden kann! Ohnehin würde eine 100-prozentige Garantie im öffentlichen Raum ja nur bestehen, wenn es gleichzeitig eine Garantie auf einen freien Schnellladeplatz gäbe.

Bieten denn andere Versorgungsnetze eine 100-prozentige Garantie?

Rohr: Es muss uns bewusst sein, dass die wenigsten Infrastrukturen bei uns auf den Worst-Case dimensioniert sind, da sie sonst unbezahlbar wären. Mobilfunknetze etwa bieten bei Weitem nicht überall und ständig den vollen Datendurchsatz an, und es gibt wohl keine größere Stadt mit 100-prozentiger Parkplatzgarantie im Stadtzentrum. Dass man einmal keine mobile Verbindung hat, ist vielleicht unangenehm, aber will man stattdessen ein Vielfaches der jetzigen Mobilfunkgebühren bezahlen? Im Bereich der Stromnetze ist das Konzept, die 100-prozentige Verfügbarkeit zum Beispiel um zwei Prozent herunterzusetzen, mit einem Netzregler überraschend einfach umsetzbar.

Welche Rolle könnte ein solcher Netzregler übernehmen?

Rohr: Ein IT-basierter Netzregler für das Ladesäulen-Strommanagement erkennt kritische Situationen und greift steuernd ein, wenn es zu Lastspitzen kommt. Da das gleichzeitige Auftreten von allen Lasten im Teilnetz in Verbindung mit Ladesäulen derzeit noch sehr selten ist, kann eine mengenmäßig geringe Ladereduktion um wenige Prozent eine Vervielfachung der Anschlusskapazität für Ladesäulen bewirken. Zudem können intelligente Netzregler weitere Regelungsaufgaben durchführen wie zum Beispiel Spannungsbandregelungen oder Blindleistungsmanagement, da sie über ein integriertes Netzmodell sowie über Netzberechnungsfähigkeiten verfügen. Dadurch können sie auch auf Störungen reagieren und das Netz regeln. Damit sind lokale Niederspannungsnetze und Trafos geschützt.

Die Technik des Netzreglers ist also eine wirtschaftliche Alternative zum konventionellen Netzausbau mit Leitungen und Trafos?

Rohr: Ja, damit können die Städte potenziell erheblich Netzausbau vermeiden und sich Zeit kaufen, da Netzregler ohne Bau von Straßen und Umspannstationen sofort eingesetzt werden können. Viele Bürgermeister sehen nicht ein, dass für einen jetzigen Ladesäulen-Rollout sofort die Innenstadt einem großflächigen Straßenausbau ausgesetzt wird, obwohl es im Landkreis noch weniger Elektroautos als geplante Ladesäulen gibt. So kann der Leitungsbau mit der nächsten Erneuerung anderer Infrastrukturen zusammengelegt werden oder gar vermieden werden. Denn die Energiewende und die Elektromobilität werden noch einige Überraschungen bringen. Beispielsweise kann sich bei der Energiegewinnung und Verteilung immer mehr Dezentralität mit Technologien wie Fassaden-Fotovoltaik, Hausspeichern, Kraftwärmekopplung und Lastmanagement etablieren und somit den klassischen Stromnetzausbau noch mehr auf den Kopf stellen.

Interview: Gabi Visintin

Zur Person: Dr.-Ing. Matthias Rohr ist Business Development Manager und Management Consultant bei der Business Technology Consulting (BTC) in Oldenburg

Die Interviewerin
Gabi Visintin, Tübingen, ist Journalistin

Info: E-Mobilität in Zahlen

In Deutschland gab es zum Jahresende 2016 rund 7400 öffentlich zugängliche Ladepunkte (3206 Ladestationen). Dies geht aus aktuellen Erhebungen des Energiewirtschaftsverbands BDEW hervor. Rund 1140 Städte und Gemeinden sind demnach mittlerweile mit mindestens einem öffentlich zugänglichen Ladepunkt ausgestattet. Nordrhein-Westfalen ist weiterhin das Bundesland mit den meisten Ladepunkten – 1603. Es folgen Baden-Württemberg mit 1494 und Bayern mit 1080. Unter den Städten liegt Berlin mit 536 Ladepunkten an der Spitze, gefolgt von Stuttgart (375) und Hamburg (292). Auf den Straßen fahren aktuell über 77.000 Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb.