Wohnraum wird gebraucht, noch mehr Versiegelung sollte aber vermieden werden, zugleich stehen immer mehr Ladenlokale leer. Sollten Kommunen Baulücken schließen oder doch besser den Bestand nutzen? BBSR-Referent Christoph Vennemann erklärt, was (Klein-)Städten weiterhelfen kann.
Viele Kleinstädte in Deutschland stehen vor der großen Herausforderung, eine erfolgreiche Innenentwicklung zu betreiben, Maßnahmen gegen Leerstand zu ergreifen und eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zu ermöglichen. Dabei spielen viele Themen eine Rolle, die zusammengedacht werden müssen, aber unterschiedliche Lösungsansätze benötigen: Digitalisierung und der Wandel der Arbeitswelten, Veränderungen im Einkaufsverhalten der Bevölkerung, gestiegener Bedarf an Wohnraum bei gleichzeitiger Entsiegelung von Flächen als Klimaanpassungsmaßnahmen.
Grundsätzlich ist dabei eines zu beachten: Die Nutzung des Bestandes kann helfen, Probleme zu lösen. Leerstehende Ladenlokale können einer kurzfristigen Nutzung (Pop-up-Store) zugeführt werden oder als Orte für Co-Working eingerichtet werden. Viele kurzfristige Nutzungen etablieren sich und bieten somit eine Chance für eine kontinuierliche Entwicklung.
Dass aktuell viele Ladenlokale leer stehen, liegt insbesondere an einem veränderten Einkaufsverhalten. Der Onlinehandel hat stark an Bedeutung gewonnen und sich als bequeme Alternative zum „Ein- kaufen vor Ort“ etabliert. Die Folge sind Ladenschließungen in den Innenstädten. Kleinstädte sind davon besonders betroffen, da dort oft kleine Unternehmen ansässig sind.
Dazu kommen die gestiegenen Energiepreise, die es vielen Unternehmen unmöglich machen, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. Diese leerstehenden Immobilien wieder zu aktivieren, mit Nutzungen zu füllen, stellt viele Kommunen vor große Herausforderungen.
Wichtig ist hier — das hat sich in vielen Beispielen gezeigt: Mut und Offenheit gegenüber neuen Formaten seitens der kommunalen Akteure. Mutig sein, etwas Neues ausprobieren, neue und kurzzeitige Nutzungen ermöglichen, Raum zum Arbeiten, für ein Miteinander oder für Kreativität schaffen. Zu diesem Thema haben Modellvorhaben im Rahmen der Pilotphase Kleinstadtakademie gearbeitet und gute Ergebnisse erzielt. Nachzulesen sind sie auf der Website der Kleinstadtakademie.
Eine weitere Herausforderung stellt der große Bedarf nach Wohnraum dar. Teilweise verfügen Kleinstädte über genügend Wohnraum, allerdings entspricht er oft nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen. Ein Umbau im Bestand ist zu teuer, zu aufwendig, zu viele Bestimmungen bezüglich des Denkmalschutzes. Hier muss die Kommune aktiv werden und diese Immobilien, sofern es möglich ist, selbst entwickeln.
Durch die Nutzung von Bestandsimmobilien als Wohnraum und die Schließung von Baulücken kann Neubau vermieden werden, Innenstädte werden belebt. Zudem bieten sich flexible Nutzungstypologien an, die auf sich verändernde Lebensphasen reagieren können. Auch das Thema Mehrgenerationenwohnen bietet eine große Chance, lässt sich aber nicht immer im Bestand realisieren.
Was möglich ist, hat die AG Bachtal mit dem Modell des „rollierenden Wohnens“ gezeigt. Hier werden die Wohnungsbestände durch gezielte Beratungsangebote und Grundrissänderungen den sich wandelnden Wohnanforderungen in
den verschiedenen Lebensphasen angepasst. Aber auch hier zeigt sich, dass es die Kooperation der Akteure vor Ort braucht, um neue Wege zu gehen und eine erfolgreiche Entwicklung zu ermöglichen.
Frischer Wind durch junge Talente
Die Herausforderungen, vor denen insbesondere Kleinstädte stehen, sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden, haben sich aber nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine und den damit einhergehenden Folgen verändert. Die Corona-Pandemie hat viele Probleme verstärkt, aber auch die Digitalisierung und die damit einhergehenden Potenziale für Kommunen beschleunigt — und Digitalisierung muss als Chance gesehen werden.
Zudem kann die Zusammenarbeit mit Studierenden für die Kommunen hilfreich sein. Der Blick von außen hilft, festgefahrene Strukturen zu durchbrechen und Neues auszuprobieren. Solution Labs haben sich dabei als hilfreiche Methode erwiesen: die Entwicklung von Ideen durch junge Talente im Auftrag von Unternehmen oder Forschungseinrichtungen.
In der Pilotphase Kleinstadtakademie hat sich gezeigt, dass Kleinstädte in der Lage sind, die vorliegenden Herausforderungen anzugehen und kreative, konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Wichtig war dabei die Unterstützung von außen, die neue Impulse gebracht hat. Der fachliche Austausch mit anderen Kleinstädten wurde ebenfalls als sehr bereichernd benannt. Diesen Austausch will der Bund mit der Kleinstadtakademie unterstützen.
Aktuell läuft ein Standortwettbewerb für die Geschäftsstelle der Kleinstadtakademie, der vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) ausgelobt wurde. Die Erkenntnisse aus der Pilotphase werden aufbereitet, weiterentwickelt und allen Kleinstädten in Deutschland zur Verfügung gestellt. Die Herausforderungen sind an vielen Orten die gleichen.
Christoph Vennemann
Kleinstadtakademie
Zusammenarbeit, Beratung und Vernetzung zu Themen der Stadtentwicklung: Darum ging es in der Pilotphase der Kleinstadtakademie. Gestartet wurde sie auf Initiative des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Die Pilotphase sollte die Einrichtung einer Kleinstadtakademie ab 2023 vorbereiten, die mit vielfältigen Angeboten den Erfahrungsaustausch, den Wissenstransfer und die Vernetzung der Kleinstädte in Deutschland zum Thema Stadtentwicklung fördern soll. Ihre Inhalte und Strukturen sollten in der Pilotphase (2019 bis 2023) „von Kleinstädten, mit Kleinstädten, für Kleinstädte erprobt und weiterentwickelt“ werden. kleinstadtakademie.de/
Zum Nachlesen
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat seine Arbeitshilfe als PDF veröffentlicht: „Strategien der Innenentwicklung. Lebendige und nutzungsgemischte Wohn- und Versorgungsstandorte in kleineren Städten und Gemeinden.“
Der Autor
Christoph Vennemann ist Referent im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).