Klärwerke sind darauf eingestellt, Wasser zu reinigen, können aber auch Kreislaufwirtschaft: Dafür setzt das Fraunhofer IGB beim Klärschlamm an. Theorie ist das nicht mehr, sondern wird in kommunalen Anlagen bereits umgesetzt.
Klimawandel und Unsicherheiten bei globalen Lieferketten: Vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit, den Gedanken der Zirkularität wie etwa auch beim Abfall auf den Abwassersektor zu übertragen. Denn Abwässer enthalten Inhaltsstoffe, die es zu nutzen oder rückzugewinnen lohnt – als Energie und Wertstoffe. Eine Kreislaufwirtschaft, bei der Rohstoffe wiederverwendet werden, hilft, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und Ressourcen zu schonen.
Kläranlagen reinigen Abwässer und stellen damit eine gute Wasserqualität in Gewässern sicher. Dabei gehen bisher jedoch wertvolle Stoffe verloren, beispielsweise Phosphor und Stickstoff.
Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sollten Stoffe für eine Rückgewinnung in möglichst hoher Konzentration vorliegen. Hohe Konzentrationen finden sich auf der Kläranlage vor allem bei den Klärschlämmen, die in den Vorklärbecken abgeschieden werden und in der biologischen Behandlungsstufe entstehen. Sie bestehen zum größten Teil aus Biomasse.
Abwasser als Ressource
Das Fraunhofer IGB entwickelt Konzepte für eine Umgestaltung von Kläranlagen hin zu Abwasser-Bioraffinerien mit Nutzung von Rest- und Abfallstoffen. Das Vorhaben »Rohstoffquelle Klärschlamm und Klimaschutz auf Kläranlagen« (RoKKa) wird vom Land Baden-Württemberg gefördert, Koförderer ist die EU. – Mehr zum Thema Hochlastfaulung und Nutzung von Gärresten gibt es beim 23. Kolloquium zur Abwasser- und Abfallbehandlung am 10. Oktober 2024 am IGB in Stuttgart.
Aus Klärschlamm wird Biogas
Mittels anaerober Vergärung im Faulturm lässt sich der Schlamm zu Biogas – als Energieträger oder Rohstoff – umwandeln. Das wird vor allem auf größeren Kläranlagen seit Jahrzehnten praktiziert, bisher bleibt es aber zumeist bei einer energetischen Nutzung. Aus Bodenschutzgründen dürfen Klärschlämme in Deutschland zukünftig nicht mehr in der Landwirtschaft verwendet werden.
Für die Vergärung von Klärschlamm zu Biogas hat das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB ein effizientes Hochlastverfahren entwickelt, das inzwischen von vielen kommunalen Kläranlagen erfolgreich betrieben wird. Die Bilanz zeigt, dass die Hochlastfaulung durch die hohe Raumbelastung den Schlamm sehr viel schneller und kostengünstiger zu Biogas umsetzt als herkömmliche Faultürme: Während Verweilzeiten kürzer und der benötigte Faulraum kleiner sind, werden gleichzeitig ein höherer Abbaugrad und eine höhere Biogasausbeute erreicht. Damit kann die Hochlastfaulung wesentlich zur Wirtschaftlichkeit und Energieeffizienz von Kläranlagen beitragen.
CO2 wird als Rohstoff genutzt
Bereits seit 2016 betreibt die baden-württembergische Stadt Erbach (Donau) eine Hochlastfaulung. Im Rahmen des vom Land und der EU geförderten Pilotprojekts „Rohstoffquelle Klärschlamm und Klimaschutz auf Kläranlagen“ (RoKKa) wird unter Leitung des Fraunhofer IGB untersucht, wie die konzentrierten Ströme Biogas und Schlammwasser zur Wertstoffrückgewinnung genutzt werden können.
Biogas besteht aus Methan, das meist energetisch genutzt wird (Kraft-Wärme-Kopplung), und Kohlenstoffdioxid (CO2). Um CO2-Emissionen zu vermeiden, werden auf der Kläranlage Erbach erstmals die Abtrennung und Nutzung von CO2 getestet. Zum Einsatz kommt ein neues Elektrolyseverfahren, bei dem CO2 in einer elektrochemischen Zelle direkt zu Formiat als Rohstoff für die chemische Industrie umgewandelt wird.
Ein anderer Weg ist der Einsatz von Mikroalgen, die photosynthetisch mit Licht und CO2 als Kohlenstoffquelle wachsen, um daraus Biomasse oder Speicherstoffe aufzubauen, zum Beispiel Pflanzenstimulantien. Als Nährstoffquelle können sie das Schlammwasser nutzen. Auch diese biotechnologische Bindung von CO2 wird in Erbach im Projekt RoKKa erstmals in einer technischen Dimension erprobt.
Klärschlamm als Dünger für die Landwirtschaft
Durch die Entwässerung des Faulschlamms entsteht ein nährstoffreiches Schlammwasser. Zur Rückgewinnung von Phosphat und Ammonium testet das IGB in Erbach das ePhos®-Verfahren in einem technischen Maßstab. Dabei wird in einem elektrochemischen Prozess pflanzenverfügbares Magnesium-Ammonium-Phosphat (Struvit) ausgefällt, ein hochwertiger Langzeitdünger für die Landwirtschaft.
Da nach der Rückgewinnung des Phosphors noch Stickstoff im Schlammwasser vorhanden ist, kann dieser durch eine chemische Transmembranabsorption als Düngemittel (Ammoniumsulfatlösung) zurückgewonnen werden. Das Verfahren arbeitet nach dem Prinzip einer Gasabsorption mit Membrankontaktoren und zeichnet sich durch eine hohe Selektivität gegenüber Stickstoff aus.
Parallel wird derzeit auf der Kläranlage Seine Grésillons bei Paris eine Pilotanlage betrieben, in der das Fraunhofer IGB mit den Partnerfirmen GICON und Tilia das Ziel verfolgt, aus Klärschlamm und Bioabfällen den maximalen Ertrag an Methan und Nährstoffen zu gewinnen.
Möglichst viele Kommunen einbinden
In Baden-Württemberg koordiniert das IGB im Auftrag des Umweltministeriums das Netzwerk »urban BioEconomyNet«, um das Potenzial von Abwässern und Abfällen für die Rohstoff- und Wertstoffgewinnung in urbanen Ballungsräumen zu erschließen. Zudem sollen Akteure bei der Formulierung und Umsetzung von Bioökonomiestrategien unterstützt werden. Je mehr Kommunen und weitere Akteure eingebunden sind, desto eher kann eine nachhaltige zirkuläre Bioökonomie zu einer lokalen Kreislaufwirtschaft und zu mehr Klimaschutz und Rohstoffsicherheit beitragen.
Der Autor
Dr.-Ing. Marius Mohr ist Abteilungsleiter im Bereich Wassertechnologien, Wertstoffgewinnung und Scale-up am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart.
Marius Mohr