Im Dienst der Harmonie

Die moderne Verwaltung soll bürgernah zeigen und flexibel sein. Um diese Fähigkeiten zu entwickeln, lohnt ein Blick in die Musik. Ihre Grundelemente prägen auch Organisationen. Dieser zweiteilige Beitrag zeigt die Übereinstimmungen und die Bedeutung der Improvisationsfähigkeit auf.

Die Grundstrukturen der Musik entsprechen den Grundstrukturen der Organisation und des Managements. Sind diese einmal dargestellt, lassen sich hervorragende Impulse geben zur Entwicklung einer resonanten Organisation, die fähig ist, mit dem nicht Vorhersehbaren umzugehen. Denn das bedeutet das Wort Improvisation im Sinne von im-pro-visare. Es ist das Nicht-Vorher-Sehbare und damit das nicht Planbare, dem wir jeden Tag begegnen und auf das wir als Person, als Organisation, als Verwaltung antworten müssen.

Haben Sie folgende oder ähnliche Fragen oder Sätze in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Verwaltung schon einnmal gehört? Welche Stimmung herrscht in Ihrer Organisation, und was ist die Grundmelodie in Ihrer Organisation? Sind Sie eher ein einstimmiger oder ein vielstimmiger Chor? Gab es schon einmal Dissens, Disharmonie und Unstimmigkeiten? Wer spielt bei Ihnen die erste Geige und wer gibt den Takt vor? Beherrschen die Mitarbeiter ihre Instrumente? Wann fand das letzte Audit statt? Wie ist die Arbeit organisiert oder komponiert? Sind die Arbeitsprozesse standardisiert und wird vielleicht nach Akkord bezahlt? Wie improvisations- und veränderungsfähig ist das Unternehmen oder die Verwaltung?

Jeder der Sätze hat eine musikalische Konnotation. Bereits aus diesen wenigen Hinweisen lassen sich wesentliche Grundstrukturen der Musik aufzeigen. Da ist zum einen die Melodie. Sie ist das Thema des Liedes, der Komposition oder der Improvisation. Sie besteht aus einer zeitlichen Abfolge von Tönen. Das zweite Element ist die Harmonie, das bedeutet Zusammenklang mehrerer Einzeltöne. Es bedeutet auch Ebenmaß und Wohlklang im Gegensatz zur Disharmonie, dem Missklang. So können „kleine Sekunden“, dies ist ein minimaler Abstand zwischen zwei Tönen, Babys zum Weinen bringen. Das dritte Element ist der Rhythmus. Das Wort „rhytos“ bedeutet fließen, woher auch der Name des Flusses Rhein kommt. Es ist die zeitliche Taktung des Stückes.

Dreiteilung in Musik und Management

Alle drei genannten Elemente kommen in folgender Definition zum Ausdruck: Musik ist die Kunst, die Töne so ordnet, dass Melodien im zeitlichen Nacheinander, Harmonien im gleichzeitigen Nebeneinander oder Übereinander hervorgebracht werden und durch rhythmische Gliederung Werke entstehen, die das menschliche Gefühlsleben auf mannigfaltige Weise zum Ausdruck bringen.

Interessanterweise gibt es auch in der Kategorisierung der Musikinstrumente diese Dreiteilung. Sogenannte Melodie-Instrumente sind die Solo-Instrumente wie Flöte, Geige oder Saxofon. Gitarre oder Klavier bezeichnet man als Harmonie-Instrumente, da sie mehrere Töne gleichzeitig, also Akkorde, spielen können. Die Rhythmusinstrumente geben den Schlag und Takt vor, weshalb sie Schlaginstrumente genannt werden.

Die beschriebenen Grundstrukturen der Musik lassen sich auf die Grundstrukturen des Managements und der Organisation übertragen. Auch eine Organisation hat eine Melodie. Dies ist ihre Aufgabe, ihr Zweck, ihr Thema. Gleiches gilt für die Substrukturen der Organisation. Auch Abteilungen leisten einen Beitrag zum Ganzen, sind notwendig um die Melodie, den Auftrag der Organisation zum Klingen zu bringen.

Zusammenarbeit erzeugt Zusammenklang

Jede Organisation arbeitet zusammen und bildet deshalb Strukturen. Zusammenarbeit, man könnte auch sagen Zusammenklang, entsteht, und zwar horizontal untereinander und miteinander wie auch vertikal zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Die Harmonie in der Musik spiegelt deshalb den strukturellen Aspekt der Organisation. Dem Rhythmus, dem Fließen entspricht das Fortschreiten des Prozesses.

Und wie die Musik ohne Menschen undenkbar ist, so ist auch die Organisation ohne Menschen eine leere Hülle. Analog zur Musik lassen sich durchaus der Komponist, im Sinne des Planers, der Dirigent als Führungskraft, die Musiker als Instrumentalisten und Ausführende wie auch das Publikum unterscheiden. Interessant übrigens, dass sich das Wort Person unter anderem von lateinisch „personare“ ableitet, also etymologisch eng verwandt ist mit dem Wort Resonanz. „Personare“ heißt durchtönen, während „resonare“ widerhallen oder -tönen bedeutet. Und das Wort Ton kommt von lateinisch „tonus“ was so viel heißt wie Spannung.

Letzter Vergleichspunkt: In jeder Organisation gibt es Polaritäten und Grundspannungen, die ausgehalten, ausgeglichen und in Ein-Klang gebracht werden müssen.

Nach der vorangegangenen Feststellung vergleichbarer Grundstrukturen in Musik und Management ist nun die Frage, wie improvisierende Musik als Modell für die Weiterentwicklung klassischer Organisationen und Verwaltungen dienen kann. Das zentrale Element der Improvisation ist das Ineinanderfallen von Planung und Ausführen. Dies gelingt nur durch Kreativität und Spontaneität auf der Grundlage hoher handwerklicher Kompetenz und einer hohen Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit. Wie diese Fähigkeiten eine Organisation und das Management stärken können, wird im zweiten Teil dieses Beitrags erörtert, der die Improvisations- und Resonanzpotenziale von Organisationen beleuchtet.

Jürgen Kegelmann

Der Autor
Dr. Jürgen Kegelmann ist Professor für Organisation und Management an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl und Prorektor der Hochschule

Info: Dieser Beitrag in zwei Teilen basiert auf einem Radiovortrag des Autors, der am 17. Juni 2018 in der Sendung „Aula“ auf SWR2 ausgestrahlt wurde.

Zum Weiterlesen: Teil 2 des Beitrags – „Der nächste Augenblick entscheidet“