In vielen Städten verwandeln Bürger gemeinsam Brachflächen in Gärten oder ziehen Zier- und Nutzpflanzen im öffentlichen Raum. Die Rathäuser entdecken im Urban Gardening einige Potenziale: Die Themen Soziales, Bildung, Integration und Umweltschutz lassen sich gleichsam nebenher kultivieren.
Urban Gardening bezeichnet das Gärtnern inmitten des städtischen Wohnumfelds, wobei ungenutzte Flächen, beispielsweise auf Brachen oder Garagendächern, in Gärten verwandelt werden. Meist ist es ein Zusammenschluss von Bürgern, die auf diese Weise bunte Oasen entstehen lassen. Das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung sind in einer Studie dem Nutzen und der Wirkung des Urban Gardening auf den Grund gegangen und kommen zu dem Schluss, dass Gemeinschaftsgärten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung insbesondere von benachteiligten Quartieren leisten.
Die Untersuchung zeigt auf, dass es neben dem Gesichtspunkt, sich mit der Natur zu beschäftigen und aus ihr zu lernen, noch zahlreiche weitere nützliche Facetten des städtischen Gärtnerns gibt, die vor allem sozialen sowie integrativen Charakter haben. Die Bürger werden gemeinsam gärtnerisch aktiv, initiieren Begegnungen untereinander und teilen und stärken die lokalen Kreisläufe. Im Jahr 2015 wurden rund 400 Gärten, die interkultureller Natur sind, gelistet.
Für Menschen mit Migrationshintergrund ist das gemeinschaftliche Gärtnern, die Ernte und Verarbeitung von Nutzpflanzen von großer Bedeutung. Sie können an heimatliche Traditionen anknüpfen, kommen in Kontakt zu anderen Menschen und werden zudem angeregt, die deutsche Sprache zu lernen. Zudem kann ein Teil des Eigenbedarfs abgedeckt werden.
Sieben Gärten, quer durch die Republik, dienten der Studie als Fallbeispiele. Es sind unter anderem Gärten in Berlin-Neukölln, Essen-Katernberg, Hannover-Sahlkamp, Leipzig-Lindenau, Marburg-Stadtwald und Potsdam-Schlaatz.
Die Gemeinschaftsgärten in Berlin-Neukölln und Leipzig befinden sich in Blockinnenhöfen, der Garten in Essen fügt sich in Reihen- und Zeilenbauten ein, die Gärten in Hannover liegen in Großwohnbausiedlungen und die grünen Oasen in Potsdam und in Marburg grenzen an offene Baustrukturen.
Solche Gartenprojekten verursachen auch Kosten – zum Beispiel für Geräte, für Saatgute, Erde und für Personal. In Marburg und Hannover wird ein Großteil der Aufwendungen von der Kommune und von Sponsoren getragen. Den Rest, etwa zehn Euro pro Saison, müssen die einzelnen Gärtner selbst aufbringen.
Finanzierung durch Flohmärkte und Feste
In Potsdam werden zahlreiche Projekte für Kinder und Schüler angeboten, nebst Festen und sonstigen Aktivitäten. Es entstand Personalbedarf, der ehrenamtlich nicht mehr abzudecken war, zusätzliche Mittel wurden nötig. Die Berliner Gärtner dagegen finanzieren sich komplett selbst durch Flohmärkte und Feste. Zunächst als Initiative begonnen, hat sich die Berliner „Prachttomate“ zu einem Verein zusammengeschlossen, genau wie in Marburg.
In Potsdam ist der Brandenburgische Kulturverein vom wichtigen Ansprechpartner zum Träger des Gemeinschaftsgartens geworden. Die Kleingartenanlage „Bunte Gärten“ in Essen ist durch ihre Organisationsform als Kleingartenverein durch das Bundeskleingartengesetz gesichert. Das allein zeigt schon, dass es große Unterschiede beim urbanen Gartenbau gibt.
In ihren Handlungsempfehlungen für die Praxis richten sich die Initiatoren der Studie an Bund, Länder und Kommunen. Die Empfehlungen stellen vor allem die Bedeutung von Gemeinschaftsgärten im urbanen Umfeld heraus. Institutionen und Firmen, die als potenzielle Förderer in Betracht kommen, müssten sich den Sinn der Förderung bewusst machen. Gemeinschaftsgärten sollten zudem im Zuge der Stadtentwicklung thematisiert werden, man sollte gar darauf hinwirken, dass Gemeinschaftsgärten zum festen Bestandteil von Stadtentwicklungskonzepten werden. Förderprogramme müssten neu modelliert werden, Gärten müssten projektbezogene Unterstützung über einen bestimmten Zeitraum erhalten. Zudem könne ein Austausch mit anderen Ländern, die langjährige Erfahrungen mit der Unterstützung von Garten- und Agrarprojekten haben, hilfreich für die Entwicklung der Gärten in Deutschland sein.
Dieser unkonventionellen und eher experimentellen Gartennutzung müsse Raum eingeräumt werden, beispielsweise durch Schwerpunktsetzungen im Rahmen von Wettbewerben. Die Länder sollten anerkennen, dass es zwar primär um den Anbau von Nutzpflanzen gehe, dabei aber die Themen Soziales, Bildung, Integration, Umwelt und Gesundheit eine besondere Rolle einnehmen.
Nachhaltig wirtschaften
In Wuppertal setzt sich der Verein Neue Arbeit Neue Kultur Bergische Region für einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise ein. Unter dieser Prämisse hat er einige Projekte ins Leben gerufen, eines davon ist der Wandelgarten im Sinne des Urban Gardening. Angesiedelt ist das Grün auf einer Fläche in der Luisenstraße. Hierbei handelt es sich um einen kleinen mobilen Schaugarten, der die Idee der neuen urbanen Gartenkultur sichtbar macht. Ungenutzte Flächen sollten in und am Rande der Stadt für gärtnerische Flächen nutzbar gemacht werden. Eröffnet wurde der Wandelgarten im Herbst 2011. Durch gemeinsames Tun soll der soziale Zusammenhalt gefördert werden – ein Grundprinzip im Bereich des Urban Gardening.
In Kooperationen mit „Changemaker City“, einer städtischen Organisation für Jugendliche, durften in Wuppertal die Heranwachsenden die Wände um den Garten herum mit Graffitis besprühen, passenderweise mit Moos-Graffitis, die leicht abwaschbar sind. Die Aktion rief mediales Interesse hervor und zeigte ein weiteres Potenzial solcher Gärten auf.
Im Berliner Garten „Rosa Rose“ sieht es etwas anders aus. 2004 hatten dort Bewohner der Kinzigstraße im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg die Initiative ergriffen und zur Aktion „Nachbarschaftsgarten“ aufgerufen. Nach Zwangsumzügen über die Jahre hinweg und einem Zwischenstopp auf einem verlassenen Schulgelände haben sich die Rosa-Rose-Gärtner auf der öffentlichen Grünfläche in der Jessnerstraße niedergelassen.
Seit 2010 gibt es dort einen Gemeinschaftsgarten, ein Pachtvertrag mit dem zuständigen Bezirksamt besteht. Im Vertrag wurde den Hobbygärtnern eine entgeltfreie Nutzung für die Dauer von fünf Jahren mit Verlängerungsoption gewährt. Der Garten ist für jedermann zugänglich und es werden hauptsächlich Nutzpflanzen angebaut.
Die „Rosa Rose“ ist selbstorganisiert und keinen Weisungen anderer unterstellt. Um den Vertrag mit dem Bezirksamt schließen zu können, hat ein befreundeter Verein die Trägerschaft übernommen. Fixkosten gibt es nach eigener Auskunft nicht. Die Wasserversorgung des Gartenareals ist vertraglich mit dem Bezirksamt geregelt, ein Tiefbrunnen inmitten der Fläche kann kostenfrei genutzt werden.
Es gibt in Deutschland mittlerweile viele dieser Gartenprojekte, teilweise sind sie untereinander vernetzt – das Grün in der Stadt wird weiter wachsen.
Timo Lämmerhirt
Der Autor
Timo Lämmerhirt, Waldstetten, ist Redakteur bei der „Schwäbischen Zeitung“ sowie Autor für verschiedene Medien
Info: Gemeinschaftsgärten steigern die Lebensqualität in den Stadtquartieren. Das zeigt eine Forschungsarbeit, die im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) entstand. Die Veröffentlichung „Gemeinschaftsgärten im Quartier“ ist als BBSR-Online-Publikation 12/2015 erschienen – kostenloser Download