Frische Energie-Brise durch Wasserstoff

Mobilität ist eines der zentralen Themenfelder für das Norddeutsche Reallabor: Getestet werden unterschiedliche Nutzungsszenarien mit rund 200 Fahrzeugen. Foto: Adobe Stock/scharfsinn86

Von Kiel über Hamburg bis nach Schwerin, von Wasserstoff- und Windkraftakteuren über die Stadtreinigung bis zum Forschungsinstitut – das ist das Norddeutsche Reallabor. Ziel der länderübergreifenden Allianz: die Energiewende vorantreiben.

Eine der größten und dringlichsten Herausforderungen ist die signifikante Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Fast 90 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase stammen aus der Verbrennung fossiler Energien wie Kohle, Öl und Gas. Sie entstehen nicht nur bei der Erzeugung von Strom, sondern auch bei der Erzeugung von Wärme und Kraftstoffen, die für all unsere Lebens- und Arbeitsbereiche benötigt werden: in Privathaushalten und der Industrie, in Wohngebäuden und am Arbeitsplatz, im Personenverkehr und im Gütertransport.

Mit den Beschlüssen zum Klimaschutzprogramm 2030 hat die Bundesregierung die Eckpfeiler für die Klimaziele geschaffen und den deutschen Beitrag zur weltweiten Begrenzung der Treibhausgasemissionen festgelegt. Nun gilt es, diese Ziele sektorübergreifend in konkrete Maßnahmen zu überführen.

Bislang hat die dominierende Rolle bei der Energiewende die Dekarbonisierung der Stromerzeugung gespielt. Doch die Umstellung auf klimaneutrale Energieträger muss zukünftig auch auf den Wärme- und den Mobilitätssektor sowie auf die Industrie ausgeweitet werden, wenn die Erderwärmung gebremst werden soll. 

Die Elektrifizierung möglichst vieler Lebensbereiche ist dafür ein wesentlicher Baustein. Aber nicht in allen Bereichen ist die direkte Nutzung von erneuerbar erzeugtem Strom auf effiziente Weise möglich. Deshalb werden weitere CO2-freie Alternativen zu den derzeit eingesetzten fossilen Energieträgern benötigt.

Wasserstoff wird zur Schlüsseltechnologie

Der Einsatz von Wasserstoff werde hier zur wichtigen Schlüsseltechnologie, erläutert Mike Blicker. „Grünem Wasserstoff – also CO2-frei erzeugtem Wasserstoff aus Elektrolyseanlagen, die ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien verwenden – kommt für die Einsparung von klimaschädlichen Emissionen in schlecht elektrifizierbaren Bereichen eine zentrale Rolle zu.“ Blicker ist kommissarischer Koordinator des Norddeutschen Reallabors (NRL): ein innovatives Verbundprojekt, das neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigen will.

Ziel des Norddeutschen Reallabors ist es, den Transformationspfad für ein zukunftsfähiges Energiesystem zu erproben. Mit ihm soll es gelingen, die CO2-Emissionen im Norden bis 2035 um 75 Prozent zu reduzieren – insbesondere in der Industrie, aber auch in der Wärmeversorgung und im Mobilitätssektor. Dazu werden 22 Referenzanlagen und -projekte realisiert, die demonstrieren, wie die nächste Phase der Energiewende konkret aussehen kann.


Norddeutsches Reallabor

  • 23 Förder- und 27 assoziierte Partner.
  • Forschungs- und Erprobungsvorhaben in neun Arbeitsgruppen.
  • Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie durch das Bundes-ministerium für Digitales und Verkehr (BMDV).

norddeutsches-reallabor.de/


Wasserstoff tanken

Im Zentrum stehen acht Elektrolyseure mit einer Wasserstofferzeugungskapazität von insgesamt 42 MW. Sie dienen insbesondere dazu, fossile Energieträger in industriellen Prozessen durch Wasserstoff oder dessen Folgeprodukte zu ersetzen. Außerdem werden im NRL drei Projekte umgesetzt, die eine Abwärmenutzung in einem Umfang von 700 GWh pro Jahr ermöglichen. Im Mobilitätssektor werden mehrere Wasserstankstellen und rund 200 Fahrzeuge in unterschiedlichen Nutzungsszenarien erprobt.

Das Großprojekt hat eine Laufzeit von fünf Jahren: von April 2021 bis März 2026. Dabei wird das Norddeutsche Reallabor als Teil der Förderinitiative „Reallabore der Energiewende“ mit rund 55 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Weitere Fördermittel werden durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr bereitgestellt. Aus gutem Grund: Mit den geplanten Vorhaben können zwischen 350.000 und 500.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden.

Gleichzeitig sollen durch skalierbare Innovationen wirtschaftliche Impulse für die Entwicklung von neuen Märkten ausgelöst und damit auch der Industriestandort Norddeutschland gesichert werden. „Das NRL steht für eine starke, wettbewerbsfähige, klimaneutrale Wirtschaft“, so Projektkoordinator Blicker. „Wir wollen die industrielle Transformation beschleunigen, indem wir innovative Technologien für einen schnellen Ausbau der Sektorenkopplung im Norden erproben.“

Ein so ambitioniertes Vorhaben braucht viel Know-how, funktionierende Strukturen und motivierte Mitarbeitende: Hinter dem Norddeutschen Reallabor stehen über 50 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Sie decken die gesamte Energiewertschöpfungskette ab – von der Erzeugung über den Transport und die Speicherung bis zum Verbrauch von Energie. Die Vielfalt des Konsortiums ermöglicht dem NRL eine integrierte Betrachtung des Energiesystems sowie dessen Erzeugungs- und Verbrauchssektoren.

Auch Energieversorger und Stadtwerke spielen eine Rolle im Projekt: So arbeitet die HanseWerk AG unter anderem an einem 25-MW-Elektrolyseur im Hamburger Hafen, die Hamburger Energiewerke realisieren einen unterirdischen Aquiferspeicher für industrielle Abwärme. Auch die Stadtwerke Schwerin, die Stadtwerke Lübeck und die WEMAG bringen ihre Regionalkompetenz in das Projekt ein.

Das zentrale Projektmanagement für das Verbundvorhaben liegt beim Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW Hamburg). Dabei steht ein partnerschaftliches Miteinander an oberster Stelle, betont Blicker. „Wir verstehen uns als starke Gemeinschaft auf Augenhöhe: Die NRL-Partner vereint der feste Willen, die Energiewende ambitioniert und schnell voranzutreiben.“

Unterstützung durch die Landesregierungen

In seiner Arbeit wird das Konsortium von sechs Behörden und Ministerien der beteiligten Landesregierungen aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Dieser politische Rückhalt ist wichtig –denn das Vorankommen der Energiewende scheitert in der Regel nicht an der technischen Machbarkeit, sondern an regulatorischen Hemmnissen, die nur von der Politik beseitigt werden können.

Eine Besonderheit des Projekts ist sein Rundumblick auf die Energiewende: Neben den geplanten Erprobungsvorhaben zur CO2-Reduktion werden auch Querschnittsthemen berücksichtigt. In unterschiedlichen Forschungsvorhaben befassen sich die NRL-Partner mit der volkswirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Dimension des geplanten Transformationspfades hin zur Klimaneutralität. „Es ist dieser ganzheitliche Ansatz, der unserem Projekt einen Modellcharakter verleiht“, betont Blicker. „Unsere Zusammenarbeit kann auch für andere Regionen interessant sein, die vor dem Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft stehen.“ Für den überregionalen Austausch stehe man deshalb im NRL gern bereit.

Sandra Annika Meyer-Ghosh


Die Autorin

Dr. Sandra Annika Meyer-Gosh verantwortet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das Norddeutsche Reallabor.