Folgen der Verdichtung

Die Einführung des Urbanen Gebiets hat die baurechtliche Grundlage zur Verdichtung von Siedlungsräumen geschaffen. Um den Lärmschutz zu wahren, müssen die Stadtplanungsämter nun genau prüfen, ob der Stand der Technik und das planerische Lärm-Minderungspotenzial realisiert werden können.

Mit Artikel 22 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt vom 4. Mai 2017 wurde bekanntlich die Baunutzungsverordnung (BauNVO) geändert. Dabei wurde zwischen den Gebietskategorien Mischgebiet (§ 6) und Gewerbegebiet (§ 7) der neue Gebietstyp „Urbanes Gebiet (MU)“ eingefügt. Mit den im Juni 2017 veröffentlichten Änderungen der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) und der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) für den Industrie- und Gewerbelärm gelten für Urbane Gebiete Immissionsrichtwerte (IRW) tags, die gegenüber Misch- und Kerngebieten mit 63 dB(A) um 3 dB(A) höher liegen. Die ebenfalls von der Bundesregierung geplante Anhebung der Nachtwerte um 3 dB(A) wurde aufgrund des Einspruchs des Bundesrats nicht umgesetzt. Somit ist der IRW nachts wie beim Mischgebiet 45 dB(A).

Das Urbane Gebiet bietet verbesserte Möglichkeiten einer kleinteiligen Nutzungsmischung und erlaubt eine höhere zulässige Geschossflächenzahl im Sinne der Innenentwicklung und der Verdichtung. Das ist zu begrüßen. Dadurch können das Leitbild der „Stadt der kurzen Wege“ besser realisiert und motorisierter Verkehr und Verkehrslärmbelastung vermieden werden. Hingegen sind die mit dem Urbanen Gebiet verknüpften immissionsschutzrechtlichen Änderungen zur Absenkung des Schutzniveaus abzulehnen. Im Folgenden werden die problematischen Aspekte erörtert.

Gewerbelärm

Nach wie vor ist die Beeinträchtigung durch Gewerbelärm in Deutschland hoch. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2016 (Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland“) liegt der Gewerbelärm nach dem Straßenverkehrslärm und dem Nachbarschaftslärm auf Rang 3 der am meisten belästigenden Quellen. Damit rangiert er noch vor dem – in der Öffentlichkeit intensiv diskutierten – Lärm des Luft- und des Schienenverkehrs. Demnach fühlen sich immerhin 47 Prozent der Bevölkerung durch Gewerbelärm mehr oder weniger belästigt und acht Prozent äußerst und stark belästigt. Das sind angesichts des durchaus segensreichen Wirkens der TA Lärm seit nun 50 Jahren bedenklich hohe Werte.

Gesamtlärmbelastung

Lärm als Stressor beruht auf der Gesamteinwirkung des Lärms von den verschiedenen Lärmquellen. Die aktuellen Belastungsdaten für den Straßenverkehr nach der Lärmkartierung 2017 im Rahmen der Umgebungslärmrichtlinie zeigen, dass bezogen auf den Tag-Abend-Nacht-Zeitraum etwa 2,35 Millionen Menschen in Deutschland Belastungen infolge des Straßenverkehrslärms ausgesetzt sind, die zu Gesundheitsrisiken führen können (über 65 dB(A)). Diese Zahlen haben sich gegenüber der letzten Kartierung von 2012 trotz der laufenden Lärmaktionsplanung in den Städten sogar noch um 120.000 Betroffene verschlechtert.

Die Lärmbekämpfung in unseren Städten ist also auf der Basis eines Ansatzes für den Gesamtlärm zu intensivieren, statt für Teilquellen aufzuweichen. Insgesamt ist zudem zu beobachten, dass die Empfindlichkeit gegenüber Geräuscheinwirkungen in den letzten Jahren gestiegen ist.

Verursacherprinzip

Höhere Immissionsrichtwerte für gewerbliche und Sportanlagen bedeuten, dass an die Geräuschemissionen dieser oder analog behandelter Quellen geringere Anforderungen gestellt werden. Damit wird das vorrangige Verursacherprinzip gelockert oder aufgehoben.

So werden tagsüber zum Beispiel für Lüftungsanlagen, die im Innenbereich von Baublöcken aufgestellt sind, unnötige Erleichterungen gewährt und die innere, hinsichtlich des Verkehrslärms, ruhige Fassade entwertet. Gerade in neu geplanten Urbanen Gebieten können auch mit vertretbarem Aufwand – besonders für gewerbliche Anlagen – niedrige Emissionen nach dem Stand der Technik erreicht werden.

Planungspraxis Urbanes Gebiet

Da für das Urbane Gebiet das Verhältnis von Wohn- und Gewerbeflächen nicht gleichgewichtig sein muss, gleichzeitig aber keine Mindestquote für die Gewerbeanteil festgelegt worden ist, kann es praktisch den Charakter eines Allgemeinen Wohngebietes (WA) annehmen. In diesem Fall ergibt sich eine erhebliche Verschlechterung des Schutzniveaus um 8 dB(A) tags und 5 dB(A) nachts. Es ist auch rechtssystematisch befremdlich, dass einem Urbanen Gebiet mit einem Gewerbeflächenanteil unter etwa 50 Prozent höhere Tagesimmissionen zugestanden werden als einem Mischgebiet oder sogar einem Kerngebiet.

Die Erhöhung der Tages-Immissionsrichtwerte für das Urbane Gebiet hinsichtlich gewerblicher und Sportanlagen ist unnötig, rechtssystematisch fragwürdig und der erforderlichen Verbesserung des Schutzniveaus in unseren Städten abträglich. Zudem ist zu befürchten, dass die Bewohner Stadtquartiere mit hohen Immissionen bei nachlassendem Siedlungsdruck wieder verlassen, sodass das ursprüngliche Ziel einer nutzungsgemischten Stadt der kurzen Wege nur partiell erreicht wird. Der bis heute unzureichende Verkehrslärmschutz darf nicht Maßstab für eine „Anpassung“ der Lärmschutzgesetzgebung an die veränderten Bedingungen der Innenentwicklung werden.

Es wird in Zukunft darauf ankommen, dass in der Praxis der Bauleitplanung den planerischen Intentionen entsprechend mit dem Urbanen Gebiet umgegangen wird: vorrangig eine kleinteilige Nutzungsmischung hoher Dichte zu erreichen. Die zulässige Erhöhung der Tageswerte muss nicht ausgeschöpft werden, wenn bei den Emittenten der Stand der Technik zur Lärmminderung umgesetzt wird.

Den Stadtplanungsämtern kommt die Aufgabe zu, sorgfältig zu prüfen, ob der Stand der Technik und das planerische Minderungspotenzial realisiert werden und mit dem Urbanen Gebiet kein Etikettenschwindel betrieben wird. Planungsziel muss dabei die gestalterische Lösung potenzieller (Lärm)Konflikte sein – nicht deren Verschärfung durch Zulassung erhöhter Immissionsrichtwerte.

Christian Beckert / Dirk Schreckenberg / Regina Heinecke-Schmitt / Michael Jäcker-Cüppers

Die Autoren
Christian Beckert, Regina Heinecke-Schmitt und Dirk Schreckenberg sind Mitglieder, Michael Jäcker-Cüppers ist Leiter des Arbeitsrings Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik (ALD) in Berlin