Der städtische Raum stellt besondere Herausforderungen an Bäume. Der Klimawandel wird ihre Lebensbedingungen weiter erschweren. Prof. Dr. Dirk Dujesiefken, Veranstalter der Deutschen Baumpflegetage in Augsburg, benennt die Aufgaben der kommunalen Grünpflege.
Herr Prof. Dujesiefken, die Dr.-Silvius-Wodarz-Stiftung hat die Winter-Linde zum Baum des Jahres 2016 ernannt. Dieser Baum prägt unzählige Parks und Straßenränder. Welche Eigenschaften zeichnen ihn aus?
Dujesiefken: Für den städtischen Raum ist die Winter-Linde besonders gut geeignet. Sie hat eine wunderschöne Kronenform und betört durch ihren Duft in der Blütezeit. Weiterhin ist dieser Baum besonders anpassungsfähig auf Standorten, die für Bäume generell schwierig sind. Da die Linde zu den Arten gehört, die bis zu 1000 Jahre alt werden können, verfügt sie über gute Überlebensstrategien. Zwei Dinge möchte ich in dieser Hinsicht besonders hervorheben: Auf Verletzungen kann die Linde deutlich effektiver reagieren als viele andere Arten, und nach einem Kronenverlust kann sie durch einen Neuaustrieb aus schlafenden Knospen verloren gegangene Kronenteile wieder ersetzen. Beide Eigenschaften sind besonders wichtig für das Überleben in Städten, wo sich durch Verletzungen zum Beispiel durch Fahrzeuge oder Schnittmaßnahmen für geplante Bauvorhaben das Umfeld rasch ändern kann.
Die Winter-Linde scheint – noch – nicht von einem der eingeschleppten Schädlinge bedroht zu sein, die gegenwärtig zum Beispiel die Eschen massiv bedrohen. Was macht die Invasoren wie das Falsche Weiße Stengelbecherchen oder auch den Asiatischen Laubholzbockkäfer so gefährlich?
Dujesiefken: Bei dem Falschen Weißen Stengelbecherchen handelt es sich um einen Erreger, der ursprünglich aus dem asiatischen Raum kommt und dort kaum Probleme an den Eschen verursacht. Dieser Erreger kommt inzwischen in den meisten Teilen des natürlichen Areals der Esche vor. Die Bäume reagieren auf den Befall unterschiedlich, einige regenerieren sich wieder und andere bleiben schwer geschädigt und sterben durch Sekundärschädlinge ab. Ehemals befallene Bäume erfordern meist aufgrund des Totholzes und des buschigen Austriebes mehr Pflege als unbefallene Eschen. Bei dem Asiatischen Laubholzbockkäfer handelt es sich um einen invasiven Bockkäfer mit einem sehr hohen Schadpotenzial. Der Käfer besiedelt vitale Laubbäume über mehrere Generationen, sodass diese Bäume letztendlich durch die Zerstörung des Kambiums (die Wachstumsschicht des Baums, Anm. d. Red.), der zunehmenden Instabilität durch die Fraßgänge und eindringende holzzersetzende Pilze absterben. Beim Umgang mit diesem Käfer haben Ausrottungsmaßnahmen oberste Priorität.
Wie ist es generell um den Baumbestand in Städten und Gemeinden bestellt? Werden die Ansprüche von Bäumen ausreichend berücksichtigt, etwa im Blick auf den benötigten Wurzelraum oder die natürliche Wasserversorgung?
Dujesiefken: Bäume in Städten und Gemeinden haben grundsätzlich schwierigere Standortbedingungen als die Gehölze in der freien Landschaft. Der Standraum ist meist sehr stark eingeschränkt und zudem versiegelt. Der eingeschränkte Wurzelraum ist aber nur eines von vielen Problemen. Bodenverdichtungen, Grundwasserabsenkungen, Schadstoffeinträge verstärken dieses Problem noch zusätzlich.
Und dann noch der Klimwandel …
Dujesiefken: In diesem Zusammenhang sind zwei Probleme zu benennen: die Erwärmung und die erwarteten längeren Trockenphasen. Der verkleinerte Wurzelraum, die Versiegelung, die Erwärmung und die längeren Trockenphasen führen zusammen zu einem erheblichen Trockenstress für die Bäume. Diesen Stress gibt es schon jetzt und er wird, da sind sich alle einig, noch weiter zunehmen. Um gegenzusteuern, muss der Wurzelraum der Bäume deutlich vergrößert werden und die Wasserversorgung verbessert werden. Speziell auf städtischen Standorten wird jedoch häufig bei der Planung an den Grünflächen gespart. So gesehen werden die Ansprüche von Bäumen nicht ausreichend berücksichtigt und erzeugen Probleme für die Zukunft.
Wie sollten die Stadtgärtner und Grünflächenämter dieser Herausforderung begegnen?
Dujesiefken: In Bezug auf den Klimawandel wird in letzter Zeit verstärkt über neue Baumarten diskutiert. Wir müssen verstärkt nach geeigneten Bäumen für unsere Städte suchen, die vor allem hitze- und trockenresistenter sind als die einheimischen Bäume. Nur nach neuen Baumarten zu suchen, reicht jedoch nicht. Auch diese Baumarten, die wir zum Teil noch gar nicht kennen, benötigen geeignete Standortbedingungen. Wenn wir in Zukunft lebenswerte Städte mit einer gesunden Vegetation haben möchten, müssen wir mehrere Fragen parallel diskutieren und nach Lösungsansätzen suchen. Dieser Komplex wird ein Hauptthema auf den kommenden Deutschen Baumpflegetagen in Augsburg sein, wo die ersten Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Stadtgrün 2021“ vorgestellt werden.
Die Zahl schwerer Stürme scheint sich zu häufen – mit teilweise schlimmen Verlusten im Bereich der Stadtbäume. Können sich die Kommunen auf diese Situation vorbereiten und beispielsweise Vorsorge treffen durch Nachpflanzungen von besonders standfesten Arten?
Dujesiefken: Bäume haben in Millionen von Jahren gelernt, auch mit widrigen Umständen zurechtzukommen. Hierzu gehören auch Stürme, Blitzschlag, Eisregen oder umstürzende Nachbarbäume. Das Anpflanzen von bestimmten Bäumen wird das Problem in Bezug auf zukünftige Stürme nicht lösen. Es gibt aber zwei Maßnahmen, die auch ohne das Risiko von Sturmbrüchen sinnvoll und notwendig sind. Die erste Maßnahme ist ein fachgerechter Erziehungs- und Aufbauschnitt, um dem Baum eine stabile Kronenstruktur zu geben. Dadurch verhindert man ungünstig wachsende Äste, Zwieselbildungen mit eingewachsener Rinde und andere Probleme. Auf diesen Aspekt wurde in der Vergangenheit zu wenig Wert gelegt. Die zweite Maßnahme ist der fachgerechte Baumschutz auf Baustellen. Trotz der seit Langem schon eingeführten Normen und Regelwerke, wie etwa der DIN 18 920, wird im Wurzelbereich von Bäumen mit Großgeräten gearbeitet und werden zum Beispiel bei Leitungsverlegungen stammnah Wurzeln zerstört beziehungsweise abgetrennt. Wer als Baumeigentümer keinen Schutz fordert, darf sich nicht wundern, wenn derartig vorgeschädigte Bäume bei Sturm umfallen und Schäden verursachen.
Sie organisieren die Deutschen Baumpflegetage. Wie lautet Ihr Fazit der jüngsten Veranstaltung Ende April in Augsburg?
Dujesiefken: Die diesjährige Veranstaltung war mit über 1450 Teilnehmern erneut Europas größte Fachveranstaltung für das Stadtgrün. Vor allem die lösungsorientierten Vorträge und Diskussionen haben die Kollegen aus nah und fern in die Fuggerstadt gelockt. Hervorzuheben sind die informativen Vorträge zum Erhalt von Alleen und deren Bedrohung durch die Anwendung neuerer Regelwerke. Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung waren die Baumkrankheiten und die möglichen Vorsorgemaßnahmen. Auch die Frage der Notwendigkeit zur Desinfektion von Schnittwerkzeugen und von Schnittgut wurde behandelt. Weitere Themen waren mögliche Beeinträchtigungen für die menschliche Gesundheit, zum Beispiel durch den Eichenprozessionsspinner. Die Teilnehmer sind mit Sicherheit mit vielen neuen Eindrücken und Ideen für ihre praktische Arbeit wieder nach Hause gefahren.
Interview: Jörg Benzing