Kommunen müssen nicht alles allein stemmen – Bürgerinnen und Bürger sind bereit, anzupacken. Wie beide Seiten im Programm „Engagierte Stadt“ zusammenfinden, was das bringt und welche Rolle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dabei spielen, schlüsselt Sven Tetzlaff für die Körber-Stiftung auf.

Städte und Gemeinden müssen zahlreichen Herausforderungen stemmen, oft fehlen Zeit- und Personalressourcen – warum sollten sie dennoch beim Programm „Engagierte Stadt“ dabei sein?
Sven Tetzlaff: Das Programm bietet Städten konkrete Vorteile. Zum Beispiel wird die Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement vor Ort gefestigt. Das bedeutet: Klare Anlaufstellen erleichtern denjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, den Einstieg. Zudem agieren die Engagementträger deutlich abgestimmter miteinander. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich der Mehrwert dieser Strukturen: Netzwerke, die auf diese Weise koordiniert werden, ermöglichen eine schnelle und zielgerichtete Reaktion – sei es bei der Integration Geflüchteter, bei Hochwasserereignissen oder Pandemien wie Corona.
Heißt das Programm auch: voneinander lernen?
Tetzlaff: Auf jeden Fall. Kommunen profitieren vom „Collective Impact“ vor Ort: von einer effektiveren Zusammenarbeit von Verwaltung, Zivilgesellschaft und anderen Akteuren. Sie lernen voneinander, finden gemeinsam Lösungen und können erprobte Ansätze übernehmen, zum Beispiel: wie man digitale Engagementplattformen aufbaut, Schulungsbedarf für Ehrenamtliche erfasst und Angebote organisiert oder niedrigschwellige Bürgerbeteiligung für Kommunalentwicklungen nutzt. Ideen für die Nachwuchsgewinnung im Ehrenamt werden miteinander geteilt, gute Modelle der Zusammenarbeit mit Hochschulen miteinander ausgetauscht. Das Programm stärkt die Resilienz der Städte mit Hilfe von Engagement und macht sie fitter für die Herausforderungen der Zukunft.
„Kommunen profitieren vom ,Collective Impact‘ vor Ort: von einer effektiveren Zusammenarbeit von Verwaltung, Zivilgesellschaft und anderen Akteuren“.
Sven Tetzlaff
Bei welchen Themenfeldern setzt das Programm an?
Tetzlaff: Es sind zahlreiche Bereiche. Zum Beispiel zeigt das Programm Wege auf, wie der demografische Wandel im Ehrenamt gemeistert werden kann, etwa durch Nachwuchsgewinnung und gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Es hilft, lokale Netzwerke besser zu koordinieren und Prozesse zu moderieren – gerade dort, wo unterschiedliche Akteure der Engagement- und Ehrenamtsszene mit verschiedenen Arbeitskulturen zusammenkommen. Ein wichtiges Thema ist auch die Demokratiestärkung.
Wie kann das aussehen?
Tetzlaff: Wir bieten als Körber-Stiftung den „Engagierten Städten“ Formate für niedrigschwellige Bürgerbeteiligung, bei denen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gemeinsam an einem Tisch sitzen, um konkrete Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Für Engagierte vor Ort bietet das Programm zudem Qualifizierungsmaßnahmen und Best-Practice-Beispiele. Beispiele wie der Mitwirk-O-Mat, ein Tool zur Förderung von Bürgerbeteiligung, oder die Zusammenarbeit mit Hochschulen zeigen, wie Engagement innovativ gefördert werden kann.
„Bürgermeisterinnen und Bürgermeister spielen eine Schlüsselrolle für den Erfolg der „Engagierten Stadt“.
Sven Tetzlaff
Wie sind die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister involviert?
Tetzlaff: Sie spielen eine Schlüsselrolle für den Erfolg der „Engagierten Stadt“. Sie können Engagement sichtbar machen und würdigen, Barrieren zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft abbauen und wichtige Partner wie Unternehmen oder neue Stiftungen an Bord holen. Das Programm vermittelt ihnen, dass Engagement heute nicht nur Sache klassischer Vereine oder Wohlfahrtsverbände ist, sondern auch in Form informeller Initiativen wie zum Beispiel Nachbarschaftshilfen organisiert ist. Die Unterstützung der Bürgermeister ist entscheidend dafür, den Wert dieser heterogenen Engagementlandschaft zu erkennen und systematisch zu nutzen.
Wie zeigt sich das?
Tetzlaff: Überall dort, wo Bürgermeister das Programm aktiv unterstützen, wachsen die Netzwerke vor Ort. Deshalb organisieren wir gezielte Austauschformate für Bürgermeister und bieten ihnen Unterstützung. Dabei haben wir gelernt, dass sie in den letzten Jahren zunehmend angefeindet wurden, beispielsweise bei ihrem Einsatz für die Aufnahme von Geflüchteten. Daher machen wir ihnen gezielt Angebote für einen besseren Schutz gegen Angriffe und Beleidigungen. Dieses Thema spielt mittlerweile eine große Rolle.
Wie kommt die „Engagierte Stadt“ bei Bürgerinnen und Bürgern an?
Tetzlaff: Das Programm richtet sich vor allem an die „Kümmerer“ vor Ort – also die Menschen, die Engagement ermöglichen, organisieren und sichtbar machen. Indem wir diese Akteure stärken, wird es auch für Bürgerinnen und Bürger einfacher, sich zu engagieren. Das kann dann so aussehen, dass niederschwellige Anlaufstellen entstehen, sowohl physisch als auch digital, die Interessierten den Einstieg ins Ehrenamt erleichtern. Dadurch wird Engagement nicht nur sichtbarer, sondern auch zugänglicher.
„Engagierte Stadt“ – ein starkes Netzwerk
Die „Engagierte Stadt“ wurde 2015 ins Leben gerufen. In das Netzwerk integriert sind aktuell 113 Städte, in denen Engagementbüros, Freiwilligenbörsen und ähnliche Organisationen den ehrenamtlichen Einsatz von Bürgerinnen und Bürgern organisieren und unterstützen. Die Träger tauschen sich untereinander aus und identifizieren gemeinsame Themen, um so die kommunale Infrastruktur für Engagement und Beteiligung zu stärken.
koerber-stiftung.de/projekte/engagierte-stadt
Wie steht es aktuell um Finanzierung?
Tetzlaff: In der vierten Phase wird das Programm durch eine Geschäftsstelle beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) koordiniert. Die Finanzierung durch das Familienministerium und durch Stiftungen umfasst verschiedene Kernmodule, darunter bundesweite Vernetzungsformate, regionale Treffen und Prozessbegleitung. Zusätzlich gibt es Module wie „Junges Engagement für nachhaltige Kommunen“ der Bertelsmann Stiftung, das Bürgermeistertreffen oder das Bürgerbeteiligungsmodul der Körber-Stiftung.
Das Programm „Engagierte Stadt“ ist vor zehn Jahren gestartet. Wo liegt der Schwerpunkt der aktuellen Phase?
Tetzlaff: In dieser vierten Phase geht es vor allem um Konsolidierung und Weiterentwicklung. Nach der rasanten Wachstumsphase, in der das Netzwerk von 50 auf über 100 Städte angewachsen ist, rücken jetzt drei zentrale Ziele in den Vordergrund: die Einbindung der Bundesländer und der Ausbau regionaler Zusammenarbeit; die Förderung der Selbstorganisation der Städte, damit sie eigenständiger und nachhaltiger agieren können; und die Verzahnung zwischen dem Programm „Engagierte Stadt“ und dem noch jungen Schwesterprogramm „Engagiertes Land“, um auch die Fläche einzubeziehen. Zudem werden durch eigene Programmmodule von Körber-Stiftung und Bertelsmann Stiftung die Themen Demokratiestärkung und Förderung von jungem Engagement operativer verankert.
„Das Programm hat sich von einem klassischen Städteförderprogramm zu einer echten bundesweiten Netzwerkbewegung entwickelt.“
Sven Tetzlaff
Welche Erfolge sehen Sie?
Tetzlaff: Das Programm hat sich von einem klassischen Städteförderprogramm zu einer echten bundesweiten Netzwerkbewegung entwickelt. Ein großer Erfolg ist der Einstieg der Bundesländer, denn diese Ebene fehlte zu Beginn noch. Immer mehr Länder übernehmen nun Verantwortung und fördern die Zusammenarbeit der „Engagierten Städte“ auf Landesebene. Dadurch werden die erreichten Standards und der Austausch untereinander stärker verankert. Beispiele wie das Regionalnetzwerk Sachsen-Anhalt oder die Metropolregion Rhein-Neckar zeigen, wie lokale Netzwerke gemeinsam mehr Schlagkraft entwickeln können – sei es gegenüber der Politik, der Wirtschaft oder in der Bewältigung kommunaler Herausforderungen. Ein weiterer Erfolg ist der deutlich gestiegene Wissenstransfer innerhalb des Netzwerks. Die Städte profitieren von Best Practices der anderen und erhalten wichtige Anregungen. Gleichzeitig übernehmen sie zunehmend selbst Verantwortung für die Weiterentwicklung des Programms.
Wohin soll sich das Projekt noch entwickeln?
Tetzlaff: Perspektivisch möchten wir die bundesweite Bekanntheit des Programms ausbauen, um noch mehr Kommunen zu erreichen. Und es gilt, die Trisektoralität – die Zusammenarbeit von Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft – weiter zu stärken.
Was müssen Städte mitbringen, um dabei zu sein?
Tetzlaff: Städte, die aufgenommen worden sind, bringen gewisse Voraussetzungen mit: etwa ein bestehendes Netzwerk und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Sie werden über unser Tandemmodell eingebunden: Erfahrene Städte unterstützen neue Kommunen dabei, sich in das Netzwerk zu integrieren, Standards des Programms kennenzulernen und erprobte Verfahren zu vermitteln. Dabei geht es beispielsweise um Themen wie die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und Verwaltung, die Optimierung von Patenschaftsmodellen oder den Aufbau digitaler Plattformen.
Interview: Sabine Schmidt

Zur Person
Sven Tetzlaff ist Bereichsleiter Demokratie und Zusammenhalt bei der Körber-Stiftung in Hamburg.