Die falsche Baustelle

Gegen den Entzug der Kreisfreiheit von Städten im Rahmen von Verwaltungsreformen wächst der Widerstand. Klare Worte äußerte jüngst Ulrich Maly, Präsident des Deutschen Städtetags und OB in Nürnberg: Die Einkreisung führe weder zu effizienteren Verwaltungsleistungen noch zu Kosteneinsparungen.

Der Deutsche Städtetag blickt mit Sorge auf die aktuell diskutierten und teilweise schon verwirklichten Länderpläne zum Entzug der Kreisfreiheit von Städten. Der kommunale Spitzenverband appelliert an die Landesregierungen, die Städte in ihrer Rolle als Mittel- und Oberzentren zu schützen und zu stärken. Als historische, wirtschaftliche, kulturelle und verwaltungsmäßige Zentren hätten sie eine wichtige Leuchtturmfunktion, die erhalten und gestärkt werden müsse, so jüngst Dr. Ulrich Maly. Der Präsident des Deutschen Städtetages (DST) und Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg hatte sich Ende vergangenen Monats nach Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss seines Verbandes in Berlin zu dem Thema geäußert.

„Je erfolgreicher und leistungsfähiger eine Stadt ist, desto mehr strahlt das auf die ganze Region aus“, unterstrich Maly. Statt Verwaltungsreformen anzuordnen, sei es eher erforderlich, die tatsächlichen Belastungen der Städte in stärkerem Maße zu berücksichtigen. Maly nannte als Beispiele die Sozialkosten, die Bildungskosten und die Infrastrukturkosten.

Link-Tipp

Alle Gutachten zum Einkreisung-Thema in Brandenburg finden Sie auf der Homepage des Landesinnenministeriums

Mit dem Argument, zukunftsfähige kommunale Strukturen schaffen zu wollen, wird zum Beispiel derzeit in Brandenburg über die „Einkreisung“ bisher kreisfreier Städte diskutiert. Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien SPD und Linke vom Oktober 2014 sieht neben der Einkreisung die Reduzierung der Zahl der Landkreise von bisher 14 auf 10 vor. Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt an der Oder als drei der insgesamt vier (mit der Landeshauptstadt Potsdam) kreisfreien Kommunen im Land sind laut Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) potenzielle Kandidaten für eine entsprechende Statusänderung. Die Kreisgebietsreform ist heftig umstritten. Dr. Dietlind Tiemann, Oberbürgermeisterin in Brandenburg an der Havel, hat sich an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die gegen das Ende des Kreisfreiheits-Status kämpft.

Innenminister Schröter kann sich auf Gutachten stützen, denen zufolge die drei Städte problemlos ihrem jeweiligen Landkreis zugeschlagen werden könnten. Einer der Gutachter, Jörg Bogumil, Professor für Regionalpolitik an der Universität Bochum, ist von den Argumenten, die gegen eine Einkreisung vorgebracht werden, nicht überzeugt. Er hält in seinem Gutachten die erwarteten Verluste für eher symbolischer Natur. Denn den betroffenen Städten bleibe die Oberzentrumsfunktion erhalten, sagt Bogumil. Der Verwaltungswissenschaftler ist davon überzeugt, dass eine Einkreisung stabilere Verwaltungsstrukturen schaffe, was bessere Voraussetzungen für die Bewältigung der Stadt-Umland-Problematik bedeute.

Belastet mit hohen Kassenkrediten

Dass eine Zusammenlegung von Verwaltungen Mehrausgaben verursache, zumindest zunächst, will Gisela Färber, Professorin an der Universität Speyer, gar nicht wegdiskutieren. Auf lange Sicht rechne sich eine solche Reform jedoch, sagt die Volkswirtschaftlerin. Die Haushalte aller drei Einkreisungs-Kandidaten sind mit enormen Kassenkreditbeträgen belastet, was in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken lässt, dass die Städte sowieso staatliche Hilfe benötigen.

Anders als Färber ist DST-Präsident Maly davon überzeugt, dass die Einkreisung unter dem Strich Nachteile bringt. Der Versuch einiger Länder, auf die demografische Entwicklung durch den Entzug der Kreisfreiheit von Städten zu reagieren, helfe den Regionen nicht. „Denn die Aufnahme von bisher kreisfreien Städten in Landkreise führt weder zu effizienteren Verwaltungsleistungen noch zu Kosteneinsparungen“, ist sich Maly sicher. Mit ihnen einher gingen der Verlust an Bürgernähe, geringere Gestaltungsmöglichkeiten und ein Statusverlust, der die weitere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung gefährde.

Die Suche nach dem eigentlichen Grund für die Leistungsschwäche vieler Städte muss sich nach den Worten des DST-Präsidenten auch in den Finanzausgleichsgesetzen widerspiegeln. Dort gibt es Handlungsbedarf. So ist beispielsweise auch für Gisela Färber von der Uni Speyer für das Land Brandenburg fraglich, ob der bestehende kommunale Finanzausgleich den Herausforderungen der anstehenden Funktionalreform gewachsen ist. Aus Färbers Sicht sollte er im Zuge einer Gebiets- und Funktionalreform modernisiert und grundlegend neu gestaltet werden.

Stadt verliert Kompetenzen

Noch auf einen weiteren wichtigen Punkt, der das Verständnis der kommunalen Selbstverwaltung berührt, wies Maly in Berlin hin: Kreisfreie Städte böten der Bevölkerung eine bürgernahe Verwaltung, die Entscheidungen direkt am Ort des Geschehens trifft und nicht aus der Ferne. Die Eingliederung von bisher kreisfreien Städten in Landkreise schmälerten das Recht der Stadtbevölkerung, eigene Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln.

Nach Einschätzung des Deutschen Städtetages ist zu bezweifeln, ob so leistungsfähige, bürgernahe und zugleich effiziente Verwaltungen gesichert werden können. Zahlreiche Beratungs- und Betreuungsfunktionen müssten auch nach einer Einkreisung ortsnah bereitgestellt werden – unabhängig davon, wo das Verwaltungszentrum liege – damit sie von den Menschen in Anspruch genommen werden könnten.

Negative Erfahrungen als „eingekreiste“ Stadt macht nach den Worten ihres Oberbürgermeisters Dr. Paul Krüger Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Durch die Kreisgebietsreform habe die Kommune zentrale Gestaltungsaufgaben verloren, über wichtige städtische Angelegenheiten entscheide jetzt der Kreistag, so Krüger. Im Kreistag seien auch Bündnisse gegen die Stadt feststellbar. Von den in Gutachten in Aussicht gestellten Einsparungen durch die Reform ist laut Krüger nichts zu spüren.

Wolfram Markus