Die Planung von Windrädern löst in der Bevölkerung oft Befürchtungen vor künftiger Lärmbelastung aus. In Baden-Württemberg bietet ein Fachforum betroffenen Kommunen sachliche Beratung und Vermittlung an. Das Ziel ist, Konflikte mit dem Windkraftbetreiber erst gar nicht entstehen zu lassen. Eindrücke von einem Ortstermin im Ellwanger Wald.
Obwohl an diesem Tag kein starker Wind weht, ist das Geräusch der sich drehenden Rotorblätter nicht zu überhören. Die Windenergieanlagen eines nahe gelegenen Windparks beschallen den Ellwanger Wald im Osten von Baden-Württemberg mit einem leisen, aber deutlichen Wummern. Einen kurzen Fußmarsch von der Anlage entfernt packt Christian Eulitz auf einer Weggabelung zwischen den Bäumen ein Messmikrofon aus und verkabelt es mit einem Rechner.
Der Akustikfachmann will wissen, wie laut die Windräder sind, die sich im Hintergrund über den Wipfeln erheben. Auf dem Monitor erscheinen Zahlen und sich bewegende Graphen. „40 Dezibel“, liest Eulitz ab. Die Distanz zum nächstgelegenen Windrad des Windparks beträgt von hier aus rund 370 Meter.
Um den Akustiker stehen 30 Personen, darunter Gemeinderäte, Ortsvorsteher und Mitglieder von Bürgerinitiativen. Sie stammen aus Mengen und Krauchenwies im Süden des Landes, wo der Anlagenhersteller Enercon einen Windpark plant. Die Gruppe hat zweieinhalb Stunden im Bus auf sich genommen, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was mit den Anlagen wohl auf sie zukommen wird – vor allem in akustischer Hinsicht.
Das Forum Energiedialog, ein Angebot des Landes Baden-Württemberg, das Kommunen bei der Umsetzung der Energiewende unterstützt, hat die Tour organisiert. Der Ingenieur Christian Eulitz von der Beratungsagentur Möhler und Partner ist als externer Experte eingeladen, um dem subjektiven Eindruck einen objektiven Messwert zur Seite zu stellen.
Grenzwerte zum Schutz gegen Lärm
40 Dezibel (A), das ist lauter als ein Flüstern und leiser als ein normales Gespräch. Und nicht nur das: „Es ist der Schallpegel, der in einem ,allgemeinen Wohngebiet‘ für die Geräusche von technischen Anlagen nachts gerade noch zulässig ist“, sagt Eulitz. Die Grenzwerte legt die sogenannte TA Lärm fest, die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm. Mit gutem Grund: Ständige Beschallung gefährdet die Gesundheit, unter anderem können Herzkrankheiten die Folge sein.
Die größte Ruhe herrscht auf Arealen, die eines besonderen Schutzes bedürfen – wie etwa in Kurgebieten oder in der Umgebung von Krankenhäusern – oder in denjenigen Gebieten, die die Flächennutzungsplanung als „reine Wohngebiete“ ausweist und wo beispielsweise Tankstellen oder Verwaltungsgebäude nicht zulässig sind; dort sind nachts nur 35 Dezibel erlaubt.
Diese Gebiete sind aber vergleichsweise selten. „Dass ein Betreiber die jeweils zulässigen Grenzwerte einhält, wird im Genehmigungsverfahren geprüft und im Vollzug behördlich überwacht“, beruhigt Eulitz die Teilnehmer. Aber er sagt auch: „Anwohner haben keinen Rechtsanspruch darauf, ganz frei von Beeinträchtigungen zu leben.“
Die Liste an Unterlagen, die der Betreiber für den Bau eines Windparks beim zuständigen Regierungspräsidium einreichen muss, ist lang. Technische Daten zu den geplanten Anlagen, Gutachten zum Artenschutz, Abstände zur Naturschutzgebieten, Stromleitungen und Richtfunktrassen sowie Prognosen zum Schattenwurf zählen dazu. Das Ziel ist, die Beeinträchtigungen für Mensch, Natur und Tiere möglichst gering zu halten. Dazu gehört auch der Nachweis, dass der Schall der Anlagen die zulässigen Richtwerte nicht überschreitet. Aber wie trägt der Anlagenbauer dafür Sorge?
Christian Meckenhäuser, der bei Enercon für Schallprognosen zuständig ist, sagt: „Den Gutachten legen wir die Richtwerte für nachts zugrunde, sie gelten von 22 Uhr bis sechs Uhr in der Früh.“ Er und seine Kollegen betrachten dafür zahlreiche Faktoren.
Dazu gehört die Zahl der geplanten Anlagen ebenso wie der Abstand des geplanten Windparks zur nächstgelegenen Wohnbebauung. Der empfohlene Mindestabstand zu Wohnsiedlungen beträgt in Baden-Württemberg 700 Meter, zu Einzelgehöften aber mitunter weniger. Für die Berechnungen nehmen die Ingenieure in Augenschein, ob es in der Umgebung der geplanten Anlagen bereits bestehende oder bereits geplante Windkraftanlagen gibt, die sich auf die Schallsituation vor Ort auswirken.
Außerdem wird untersucht, ob weitere Geräuschquellen wie beispielsweise durch Industriebetriebe oder Biogasanlagen existieren. Denn je weniger stark ein Immissionsort durch bestehende Schallquellen in der Umgebung belastet ist, desto mehr Spielraum ist zum Richtwert gegeben, der durch (zusätzliche) Windenergieanlagen genutzt werden kann. Das gilt insbesondere im kritischen Nachtzeitraum, während dessen die Richtwerte geringer sind als am Tag.
Berechnung und Beurteilung der Schallsituation
Erst wenn das ermittelt ist, kann der zweite Schritt folgen: die Berechnung und Beurteilung der Schallsituation. Bei einer rechnerischen Überschreitung der Richtwerte ist es notwendig, die Windenergieanlagen so zu regeln, dass sie nicht zu laut werden. Abschalten muss man sie dafür in aller Regel nicht. „Es ist möglich, sie so zu programmieren, dass die Rotorblätter etwas aus dem Wind gedreht werden, wenn der Wind stark bläst, sodass er nicht frontal auf sie trifft. Somit wird die Drehzahl reduziert“, erklärt der Ingenieur. Der Mechanismus dahinter: Weniger Umdrehungen bedeuten auch weniger Schall.
Die Höhe der Anlage, sagt Meckenhäuser, wirke sich nicht unbedingt auf ihre Geräuschintensität am Immissionsort aus. Daneben gibt es viele andere Faktoren, die darauf Einfluss nehmen: „Die Flügelform beeinflusst ebenfalls Leistung und Schall, und sogenannte Hinterkantensegmente an der Flügelspitze, die dem Gefieder von Eulen nachempfunden sind, sorgen dafür, dass der Luftstrom möglichst sacht und damit auch leise abfließt.“
Und natürlich ist nicht nur die Lautstärke der Geräuschquelle selbst entscheidend, sondern auch Dämpfungsfaktoren in der Umgebung, die Topografie und die Meteorologie spielen eine entscheidende Rolle für die Geräuschintensität.
Dass die Gruppe aus Mengen und Krauchenwies nun ausgerechnet den Windpark in Ellwangen besucht, hängt mit alledem zusammen. Hier sind Anlagenzahl und Anlagentyp mit dem geplanten Park in der Heimat vergleichbar, und auch hier ist die Landschaft hügelig und von Wiesen und Wald bedeckt.
700 Meter von den Anlagen entfernt hören die Exkursionsteilnehmer die Windräder nicht mehr, die Umgebungsgeräusche sind lauter. Bei stärkerem Wind und in einer ruhigen Nacht könnten die Anlagen auch in der doppelten Entfernung noch zu hören sein, meint der Sachverständige Eulitz.
Die Bürger von Engelhardsweiler berichten
Ein Teilnehmer will noch wissen, welche Rolle die Anlagenzahl spiele. Elf Anlagen seien lauter als drei, gibt Eulitz zu bedenken, aber zumindest ein Vorteil sei mit einer größeren Zahl verbunden: Je mehr Anlagen gebaut werden, desto kleiner darf der Geräuschbeitrag einzelner Anlagen sein. Da sich die Geräusche mehrerer Windräder an einem Ort in der Regel nicht gleichphasig überlagen, ist das periodische Wummern bei mehreren Anlagen nicht so ausgeprägt wie bei einem einzelnen Windrad. Und umso gleichmäßiger ist dann das Geräusch.
Als die Gruppe den Dorfladen in Engelhardsweiler erreicht, erwarten sie dort schon der Ortsvorsteher und einige Anwohner. Sie erzählen, dass sie die Anlagen in 1200 bis 1600 Metern Entfernung manchmal noch deutlich hören. Dennoch, sagen sie, machten sie ihnen nichts aus. Näher allerdings sollen die Windräder ihnen trotzdem nicht rücken. Gegen die Pläne, einen weiteren Windpark zu errichten, gibt es dort deshalb Protest. Der Sprecher der örtlichen Bürgerinitiative erklärte die Gründe: Dass der Abstand zur Wohnbebauung zum Teil weniger als 800 Meter betragen soll, sei nicht hinnehmbar. Dann würden die Geräusche der Anlagen mit Sicherheit stören, fürchtet er.
Christoph Ewen / Kristina Sinemus
Die Autoren
Dr. Christoph Ewen und Prof. Dr. Kristina Sinemus sind Geschäftsführer der Darmstädter Kommunikationsagenturen Team Ewen und Genius. Im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums leiten sie mit Unterstützung der Regierungspräsidien das Forum Energiedialog.
Info: Das Forum Energiedialog
Beim Forum Energiedialog handelt es sich um ein Angebot des Landes Baden-Württemberg, mit dem den Kommunen bei der Umsetzung der Energiewende Unterstützung und Handreichungen angeboten werden. Zusammen mit den Bürgermeistern entwickelt das Forum Strategien, die darauf zielen, frühzeitig die Entstehung heftiger Konflikte zu vermeiden oder in ihrer Eskalation zu begrenzen. Die mobilen Berater, Mediatoren und Moderatoren verstehen sich als allparteilich. Ihr Ziel ist, die Energiewende so zu unterstützen, dass der „Frieden im Dorf“ gewahrt bleibt.
Dazu gehört beispielsweise, die Handlungsfähigkeit der Kommune zu stärken und die Bevölkerung vor Ort mit Verfahren, Chancen und Risiken der neuen Technologien vertraut zu machen. Der Erfolg des Forums wird daher auch nicht an der Anzahl der errichteten Energieanlagen gemessen. Die Aufgabe des Forums besteht darin einen Prozess zu gestalten, in dem sich alle Beteiligten ernst genommen fühlen und sich mit ihren Fragen, Bedenken und Hoffnungen wiederfinden.
Bisher steht die Windenergie im Zentrum der Tätigkeit des Forums Energiedialog. Das Forum bietet allerdings auch Kommunen im Zusammenhang mit anderen Projekten zur Energiewende seine Dienste an. Zu den Mitteln des Forums zählt die Beratung von Bürgermeistern und Gemeinderäten ebenso wie die Konzeption und Durchführung von Informations- und Dialogveranstaltungen. Dazu können Schlichtungsverfahren gehören, aber auch Besuche bereits errichteter Windparks. Das Forum nahm im März 2016 die Arbeit auf und ist für neue Kommunen weiterhin offen.