Das Thema Schrumpfung ist im Kontext der Kommunalentwicklung negativ behaftet. Das macht es schwer, Lösungen zu entwickeln. Kleine Städte und Gemeinden müssen selbst aktiv werden, denn „großstädtische“ Gestaltungsmuster lassen sich nicht ohne Weiteres auf Kleinstädte übertragen.
Die Leistungen, Aufgaben und Herausforderungen von kleinen und mittleren Städten und Gemeinden sind ebenso bedeutend wie die von Großstädten. Gleichwohl haben sie es oftmals schwerer als die Metropolen, mit ihren spezifischen Problemen wahrgenommen zu werden. Aus diesem Grund setzt das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) sich in einem Projekt mit den besonderen Herausforderungen kleiner und mittlerer Kommunen auseinander.
An fünf Standorten haben sich Mitarbeiter des Difu in etwa 20 Interviews mit Praktikern vor Ort über die aktuellen Herausforderungen rund um das Thema Schrumpfung ausgetauscht. Einblicke, Erkenntnisse und Hinweise werden in diesem Beitrag aufgegriffen. Der Beginn des Projektes lag in einer Zeit, in der das Ausmaß der aktuellen Flüchtlingsthematik noch nicht zu erahnen war. Entsprechend spielte dieser Aspekt in den Interviews kaum eine Rolle.
Anlass und methodisches Vorgehen
Der Titel des internen Projektes „Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten in schrumpfenden bzw. peripherisierten Klein- und Mittelstädten“ mutet zunächst recht abstrakt und anspruchsvoll an. Vertreter aus den Städten Bocholt, Gummersbach, Homberg (Ohm), Schwarzenberg (Erzgebirge) sowie der Lutherstadt Wittenberg erklärten sich bereit, bei dem Projekt mitzuwirken. Neben Gesprächen mit Akteuren aus der Stadtverwaltung vor Ort, erfolgte eine anonyme schriftliche Befragung der Politik.
Erwartungsgemäß spielt der wissenschaftliche Begriff der „Peripherisierung“, den der Sozialforscher Karl-Dieter Keim (s. Info unten) als „graduelle Schwächung und/oder Abkopplung sozial-räumlicher Entwicklungen gegenüber den dominanten Zentralisierungsvorgängen“ definiert, in den lokalen Kontexten so gut wie keine Rolle.
Schrumpfung ist hingegen in unterschiedlicher Ausprägung durchaus ein Thema vor Ort. Es wird bevorzugt unter dem „Label“ des demografischen Wandels diskutiert. Strategisch und im Kontext des integrierten Handelns wird dieser nur vereinzelt thematisiert. In der Regel wird das Thema aber projektbezogen mitdiskutiert.
Fünf Fallstudien erheben wohl keinen Anspruch auf die Gewinnung von umfassenden oder übertragbaren Ergebnissen. Dennoch lassen sich einige Erkenntnisse festhalten:
Stadtumbau – Unterschiede in Ost und West
Jede Stadt jeder Größe steht vor Herausforderungen. Was insbesondere von Klein- und Mittelstädten in der Nachwendezeit und zu Beginn des Stadtumbaus in Ostdeutschland geleistet wurde, ist und bleibt beispiellos. Das Ausmaß von Abwanderung und Leerstand hat einen Druck zum Handeln ausgelöst, dem kaum eine westdeutsche Stadt unterliegt. Bei den ostdeutschen Städten hingegen relativiert sich ein akuter Handlungsdruck durch ein gefühltes „es war ja schon viel schlimmer“. Entsprechend ist zwar eine oft gesehene Notwendigkeit festzustellen, sich mit dem Thema zu befassen, aber auch eine gewisse Verdrängung eines Handlungsdrucks ist zu beobachten.
Personal in Klein- und Mittelstädten
Persönliche Kontakte und Beziehungen sowie kurze Wege in einer Verwaltung sind zweifellos für manche Abstimmungen und Abläufe eine Bereicherung. Es hat sich in den Gesprächen aber auch gezeigt, dass immer weniger Verwaltungspersonal über ein immer breiteres Wissen verfügen muss. Dies geschieht – zumindest in Teilen – bei weniger Bezahlung und zunehmenden Personalengpässen. Dabei brauchen gerade die kleineren Städte qualifiziertes Personal, um mit den anstehenden Herausforderungen umzugehen. Jedoch haben sie es – mit abnehmender Stadtgröße – zusehends schwer, geeignete Kräfte zu bekommen.
Unterschiedliche Wahrnehmung
Wenn im Rahmen des demografischen Wandels „ein Problem“ diagnostiziert wird, erfolgte dies in erster Linie von Vertretern aus dem Sozialbereich wie Bildung oder Sport. Gerade Stadtentwickler, Akteure aus dem Wohnungsbereich oder Liegenschaften relativieren die Situation deutlich häufiger. Aufgrund der letztlich geringen Anzahl der Befragungen, kann es sich hierbei um einen Eindruck handeln, der nicht repräsentativ sein muss.
Beziehungen zwischen Stadt und Umland
Das Verhältnis von Großstädten zu ihrem Umland unterscheidet sich maßgeblich von dem zwischen Ortszentren und ihren – durch Eingemeindungen nicht selten zahlreichen – Ortsteilen. Sehr einprägend war hier die Aussage: „Ich habe in meiner Gemeinde mehr Ortsvorsitzende als Verwaltungsmitarbeiter.“ Vor dem Hintergrund, dass die Ortsvorsitzenden für ihren Ortsteil naturgemäß nur das Beste wollen, kann dies bei der Summe von Ortsteilen in der Kommunikation und Projektkoordinierung schwierig werden. Hier müssen Instrumente entwickelt und Anreize geschaffen werden, potenziell seit vielen Jahren bestehende Konkurrenzen nach Fusionen und Eingemeindungen zu überwinden.
Projekte gelten als Lernplattformen
Programme und Angebote wie das Stadtumbauprogramm, eine Internationale Bauausstellung (IBA) oder der nordrhein-westfälische Ansatz der „Regionalen“ (www.regionalen.nrw.de) werden durchweg als Lernplattform „anders zu denken und zu handeln“ begrüßt und von den jeweils Beteiligten durchweg als Bereicherung empfunden.
„Rettung durch Wachstum?“
In jeder der fünf Projektkommunen sind Sichtweisen erkennbar, wonach Schrumpfung primär mit Kompensation durch „Wachstum“ zu begegnen sei. Die Ausweisung von Bauland, die Gewährleistung einer umfassenden Ganztagsbetreuung von Kindern oder die Unterstützung einer Arztpraxis mit öffentlichen Geldern, damit sie in einem Ortsteil erhalten bleibt, sind hier gängige Instrumente. Schrumpfung als Gesamtstrategie ist und bleibt nur schwer in den Köpfen zu verankern.
Anpassung an den demografischen Wandel
In jeder der fünf Städte gibt es (erste) Projekte zum altengerechten Wohnen. Supermärkte passen sich zum Beispiel mit dem Angebot eines Lieferservice an. An allen Standorten ist man sich bewusst, dass die Erschließung der Ortsteile durch den Öffentlichen Personennahverkehr eine große – und nur schwer leist- und finanzierbare – Herausforderung darstellt. Interkommunale Kooperation wird immer wieder angesprochen und funktioniert bei einzelnen Infrastrukturen und Projekten. Grundsätzlich scheint der Druck aber noch immer nicht groß genug, interkommunale Kooperation strategisch und umfassend auszuweiten.
Frage nach den Perspektiven
Am Ende jedes Interviews wurde die Frage gestellt: „Was meinen Sie, wo Ihre Stadt im Jahr 2025 steht?“. Sehr häufig wurde der eigenen Stadt an dieser Stelle mindestens Stagnation, wenn nicht gar ein Wachstum prognostiziert. Zwar wurde in den Gesprächen durchaus die Notwendigkeit konstatiert, dass man die aktuellen Entwicklungen beobachten müsse. Dabei wurde eine akute Handlungsnotwendigkeit aber oft in die Vergangenheit, in die Zukunft oder in das Umland verlagert. Etwas provokant formuliert: Nach der Wahrnehmung einiger Akteure ist entweder die Talsohle bereits überschritten und es geht wieder bergauf oder die eigentlichen Probleme kommen in 10 bis 15 Jahren. Alternativ wird nur ein begrenzter Handlungsbedarf gesehen, weil sich die Entwicklungen im Nachbarort noch dramatischer darstellen.
Schrumpfung und teilweise auch Demografie sind und bleiben negativ konnotiert. Das macht es schwer, Lösungen zu entwickeln. Diese Lösungen müssen eigentlich aus den kleineren Städten und Gemeinden heraus entwickelt werden, denn die oftmals von oben angebotenen „großstädtischen Lösungen“ lassen sich nicht ohne Weiteres auf Kleinstädte übertragen. Aber genau dazu fehlen in den kleinen Kommunen die Ressourcen, Beratung und Flexibilität in den Förderprogrammen. Dies führt fast zwangsläufig nicht nur zu einer gefühlten, sondern auch tatsächlichen Überlastung und Überforderung vor Ort. Es müssen Anreize geschaffen werden anders zu denken und zu handeln, zum Beispiel im Sinne interkommunaler Kooperationen. Bei einem solchen Prozess müssen Klein- und Mittelstädte begleitet und nicht bevormundet werden.
Elke Becker
Die Autorin
Dr.-Ing. Elke Becker ist Leiterin des Bereichs Fortbildung beim Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin
Info: Peripherisierung ländlicher Räume, Essay von Karl-Dieter Keim – In: Aus Politik und Zeitgeschichte, September 2006 – Onlinefassung
Zum Weiterlesen: Unsere Themenseite bietet den Überblick über alle Fachbeiträge der edition „Zukunft für den ländlichen Raum“