Die Stadtentwicklung in vielen Klein- und Mittelstädten steht vor der Herausforderung, leer stehende Gebäude neu zu nutzen. Das kooperativ ausgerichtete Netzwerk Immovielien widmet sich dieser Aufgabe. An der gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung wirken Freiberufler, Projektentwickler, Kommunen, Verwaltungen, Banken, Stiftungen, Vereine, Institute und Privatpersonen mit.
Viele kleine und mittlere Städte suchen ihre Position und Rolle zwischen den wachsenden Oberzentren und dem schrumpfenden ländlichen Raum. Historisch als Residenzen und Märkte mit allen städtischen Attributen und Infrastrukturen ausgestattet, müssen sie sich nach der Deindustrialisierung nun der Globalisierung stellen. Vielerorts sind die Innenstädte von Leerstand betroffen, darunter befinden sich ehemals struktur- und identitätsprägende Fabriken, Kaufhäuser, Postämter, Brauereien und Schlachthöfe. Auch Stadtumbau- und Gewerbebrachen harren einer neuen Nutzung.
Gebäude und Stadt neu beleben
Gefragt sind neue Nachbarschaften, die nicht nur die Gebäude, sondern auch die Stadt wieder mit Leben füllen. Über die Schaffung von Wohnraum hinaus gilt es, Kultur, Gewerbe und soziale Einrichtungen zusammen zu entwickeln. Der Impuls zur Entwicklung einer derartiger gemeinwohlorientierter Projekte geht vielfach von zivilgesellschaftlichen Initiativen aus. Mit hohem persönlichen Engagement und Ortsverbundenheit schaffen sie eine nachhaltige Alternative zum Verfall oder der Spekulation mit Brachen, zumal mit rentierlichen Projektentwicklungen externer Investoren an vielen Altstandorten kaum zu rechnen ist.
Das Netzwerk Immovielien zum Beispiel ist 2016 entstanden auf Initiative der Montag Stiftung für urbane Räume. Das Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, die Rahmenbedingungen für die Entstehung und den Betrieb von „Immovielien“ zu verbessern. Damit gemeint sind Immobilien und Quartiersprojekte von vielen für viele. Ihre Realisierung und ihr Erfolg beruhen auf der Kooperation unterschiedlicher Partner, die mit ihrer Synergie einen Mehrwert für das Quartier schaffen.
Das Netzwerk kümmert sich um Zugang zu Boden und Geld, Förderung und geeignete Rechtsformen. Was aber vor allem zählt, ist der Austausch auf Augenhöhe mit den Akteuren und die Anerkennung für ihren hohen Einsatz, auf allen Seiten. Das Netzwerk beruht auf dem persönlichen Austausch und der Kooperation seiner Mitglieder und vermittelt Bildung, Beratung und gute Praxis. Die Homepage www.netzwerk-immovilien.de und die Koordinierungsstelle sichern den Informationsfluss.
Die Konstellationen für Immovielien sind vielfältig. Sie entstehen allerdings nicht von allein und haben oft mit Widerständen zu kämpfen. Neue Eigentumsformen und Betreiberstrukturen erfordern ein Umdenken bei Verwaltungen, Banken und Fördergebern. Gerade in kleinen und mittleren Städten braucht es neben Ideen und Mut auch gezielte Unterstützung und Erfahrungsaustausch.
Als Beispiele seien genannt: das Schwabehaus in Dessau als Genossenschaft zum Leben und Arbeiten, die Straze in Greifswald als Konzert- und Gesellschaftshaus, das Elsebad in Schwerte, das Gustavushaus in Altenburg für Soziokultur, das Kanthaus für nachhaltige Projekte in Wurzen, das Dorf der Jugend in der alten Spitzenfabrik in Grimma, die Künstlerateliers in der alten Stadtbücherei in Zeitz oder das Kulturkollektiv in der Goetheschule in Lauscha.
Feuerlöschfabrik wird zur Open Factory
Im bundesweiten Netzwerk vertreten sind planende und beratende Freiberufler, Projektentwickler, Kommunen, Verwaltungen, Banken, Stiftungen, Vereine, Institute und Privatpersonen. Eines der Gründungsmitglieder ist die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen in Apolda. In der kleinteiligen Siedlungsstruktur („Stadtland“) des Freistaates begleitet sie bis 2023 ressourcenbewusste Modellprojekte mit gemeinwohlorientierten Werten. In Apolda entwickelt sie die ehemalige Feuerlöscherfabrik von Egon Eiermann zu einer „open factory“, die mit vielfältigen Aktivitäten eine Transformation hin zu neuen Formen der Produktion von Ideen, Dienstleistungen und Waren erfährt.
Angelehnt an das Netzwerk Immovielien hat die IBA Thüringen unter dem Namen „LeerGut-Agenten“ ein Beratungsnetzwerk ins Leben gerufen, um leer stehende Häuser im ländlichen Raum reaktivieren. Die Akteure wollen Kreativen und Raumpionieren helfen, ihre Ideen zu baubaren und finanzierungsfähigen Projekten weiterzuentwickeln (Phase 0). Die „LeerGut-Agenten“ sind eine Dachmarke für Thüringen, unter der Quartiers-, Dorf- und Hausinitiativen in Verbindung mit Fachberatern, regionalen und lokalen Leerstandslotsen kommen. Anbieter, Suchende und Unterstützer bringen ihr Wissen, ihre Fragen und Erfahrungen ein. Das Netzwerk verbindet Unternehmer, Kulturschaffende, Architekten, Berater und Verwaltungen auf Augenhöhe und wächst mit den persönlichen Kontakten.
Bertram Schiffers
Der Autor
Dr. Bertram Schiffers ist Stadtplaner und seit 2015 Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen mit Sitz in Apolda