Der Klimawandel ist spürbar. Wie sollten die Stadtplaner darauf reagieren? Prof. Dr. Carsten Kühl, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), fordert die systematische Verknüpfung von Schutzmaßnahmen etwa beim Bau neuer Quartiere. Ein Masterplan könnte hier unterstützend wirken.
Herr Prof. Kühl, der Klimawandel setzt neue Akzente in der Stadtentwicklung. Neben der Schaffung von Wohnraum und der Zurückdrängung des Pkw-Verkehrs geht es nun auch um Regenwassermanagement und Temperaturausgleich. Viel Arbeit für die Stadtplaner …
Kühl: Der Klimawandel setzt nicht nur Akzente. Er ist vielmehr eine äußerst gravierende Entwicklung, die ganz erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität in unseren Städten haben wird. Allein deshalb sind strategische Stadtplanung und -entwicklung essenziell. Zwar sind Fragen zu diesem Thema nicht neu. Da der Handlungsbedarf mittlerweile aber auch physisch für die Menschen in den Städten immer deutlicher spürbar wird, sind Politik und Planung jetzt zum Handeln gezwungen.
Vor allem in verdichteten Siedlungsbereichen überlagern sich die Ansprüche an die Nutzung des öffentlichen Raums. Sind natürliche Ereignisse wie Starkregen womöglich das stärkste Argument für die Priorisierung etwa der Retentions- und Grünflächenentwicklung?
Kühl: Die Überlagerung von Ansprüchen ist nicht neu. Neu ist, dass wir uns durch den spürbaren Klimawandel intensiver mit diesen Themen auseinandersetzen müssen: mit der Verbesserung des urbanen Mikroklimas durch mehr Stadtgrün und dem vorsorgenden Umgang mit Extremwetterereignissen wie im Sommer 2018. Wir sollten uns jedoch davor hüten, etwa die Schaffung von Wohnraum und Klimaanpassungsmaßnahmen gegeneinander auszuspielen. Dichte Bebauung, Retention, Grünflächen und Durchlüftung stehen – zumindest im Neubau – nicht im Widerspruch, wenn es richtig angegangen wird. Beispielsweise sollte Niederschlagswasser nicht nur im öffentlichen Raum zurückgehalten werden. Auch private Flächen sind einzubeziehen.
Welche Bedeutung messen Sie in dieser Situation einer Masterplanung für den Ausbau der blau-grünen Infrastruktur bei?
Kühl: Im Grunde geht es weniger um den Ausbau der blau-grünen Infrastruktur. Im Vordergrund muss eine bessere Verknüpfung mit grauer Infrastruktur stehen, also zum städtischen Abwassersystem. Technisch ist das kein Problem und in vielen Modellprojekten erprobt, die teilweise auch vom Difu begleitet wurden. Auch in europäischen Nachbarländern gibt es hervorragende Beispiele, etwa in Kopenhagen oder Rotterdam. Bisher wird diese Verknüpfung beim Bau neuer Quartiere oder der Restrukturierung von städtischen Flächen jedoch nicht systematisch mitbedacht. Das müssen wir ändern! Bei Planungsbeginn muss es bereits angegangen werden. Ein Masterplan, der auch technische Standards setzt, beispielsweise für Retentionsvolumina unter Bürgersteigen, könnte dies zusätzlich unterstützen.
Können die Kommunen die damit verbundenen Maßnahmen im Rahmen des aktuellen Baurechts umsetzen, zum Beispiel die verstärkte Fassaden- und Dachbegrünung? Man hat Bäume vor Augen, die an Hauswänden kultiviert werden …
Kühl: Kommunen haben Möglichkeiten, Fassaden- oder Dachbegrünung bei der Entwicklung neuer Baugebiete rechtlich vorzuschreiben. Auch wenn ein Bebauungsplan aufgestellt wird, sind Festsetzungen zur Anpflanzung möglich. Und in städtebaulichen Verträgen kann dies bei der Errichtung von Gebäuden festgelegt werden. Teils ergeben sich auch Satzungsbefugnisse nach den Bestimmungen der Landesbauordnungen. Bei bestehenden Gebäuden können solche Verpflichtungen auch aus Anlass einer baulichen Änderung entstehen.
Das Difu begleitet die Kommunen schon lange beim Klimaschutz. Gibt es Projekte, die Verbindungen herstellen etwa zur wassersensiblen Stadtentwicklung?
Kühl: Aktuell nehmen wir in Berlin und Norderstedt im Projekt „Resilient networks: Beiträge von städtischen Versorgungssystemen zur Klimagerechtigkeit“ die wassersensible Stadtentwicklung in den Fokus. Das Projekt ist Teil der Zukunftsstadt-Agenda des Bundesforschungsministeriums, genauso wie das Projekt „iResilience“. Hier erproben wir in drei Pilotquartieren in Köln und Dortmund unter anderem neue Lösungen zur Hitzevorsorge: Eine verbesserte Verschattung durch Stadtgrün oder bauliche Anpassungen an Gebäuden durch helle Fassadenfarben oder Wärmedämmungen, auch das hilft beim Klimaschutz. Zuvor haben wir mehrere Jahre lang eine Fördermaßnahme zu intelligenten und multifunktionellen Wasserinfrastrukturen begleitet und dabei zahlreiche Referenzprojekte realisiert.
Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Klimaanpassung zum Standortfaktor und Baustein des Stadtmarketings wird. Kennen Sie Städte, die hier clevere Vorbilder sind?
Kühl: In Köln oder Hamburg arbeiten Stadtentwässerungsbetriebe und kommunale Planung hervorragend zusammen und realisieren Umsetzungskonzepte. Dies sind zwei von 15 Modellstädten, die im Difu-Projekt „Planer im Dialog“ gute Kooperationsformate und Praxisbeispiele zur urbanen Überflutungsvorsorge erarbeitet haben. Berlin hat eine Regenwasseragentur gegründet. Das Ruhrgebiet hat sich 2014 in der „Zukunftsinitiative Wasser in der Stadt von morgen“ zusammengetan, die alle Themen der urbanen Klimavorsorge bearbeitet. Diese Aktivitäten sind lokal und regional bekannt. Die „klimaangepasste und wassersensible Stadt“ als Standortfaktor ist in Deutschland bisher nicht so präsent. Hier gelten Kopenhagen und Wien bisher europaweit als Vorreiter in der Klimavorsorge.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Prof. Dr. Carsten Kühl (Jg. 1962) ist seit August 2018 Geschäftsführer und Institutsleiter des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin/Köln