Assistenten der Mobilität

Moderne Technik hilft, den demografischen Wandel abzufedern. Schon heute erlauben Assistenzsysteme älteren Menschen sowohl ein längeres Wohnen zu Hause wie auch die Teilnahme am öffentlichen Leben. Die Kommunen sind verpflichtet, die Gebäude entsprechend barrierefrei zu gestalten.

Die Zahl der Menschen, die älter als 85 Jahre sind, wird bis 2030 deutlich steigen. Die Altersschwellen verschieben sich. Die 80-Jährigen von morgen fühlen sich rund zehn Jahre jünger als in ihrem Ausweis steht. Sie sind entsprechend mobiler und werden passende Angebote einfordern. Außerdem sind sie mit Online-Angeboten bestens vertraut und wollen selbstständig in der eigenen Wohnung leben.

Die Technologiestiftung Berlin ist der Frage nachgegangen, wie technische Lösungen die Bewältigung der demografischen Herausforderungen unterstützen kann. Alle Anwendungen haben eine Gemeinsamkeit: Geräte, die der Bequemlichkeit dienen und vom Nutzer selbst angeschafft werden, und Hilfsmittel aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen nähern sich an. Dies hilft nicht nur, länger zu Hause zu wohnen und mobil zu bleiben, sondern bringt auch Umsatzchancen für Komponentenhersteller, für Handwerker, die solche Systeme installieren sowie für Pflege-, Sozial- und Assistenzdienste, die ihre Leistungen ausweiten und besser organisieren können.

Anwendungen in die Breite bringen

Smart-Home-Anwendungen wie fernbedienbare Garagentoröffner gibt es seit Jahren. Im Zusammenspiel mit Heizkörperregelungen, Fernbedienungen für Tür, Fenster und Licht sowie mit Technik für barrierefreies Wohnen wie absenkbaren Küchenschränken oder bodengleichen Duschen können sie älteren Menschen bereits heute eine echte Hilfe sein. Die Vision, länger zu Hause leben zu können, gewinnt mit einer Kombination von gesundheitsbezogenen Systemen deutlich an Fahrt. Die Kombination reicht von Hausnotrufsystemen, sturzerkennenden Teppichen, Kaffeemaschinen, die Alarm geben, wenn der Benutzer morgens keinen Kaffee gekocht hat über Badelifte oder sich selbst anhebende Sessel und Betten bis hin zu telemedizinischen Anwendungen für bestimmte Krankheiten. Das alles wird möglich auch ohne Serviceroboter.

Auf dem Weg von der Insellösung für die Einzelwohnung in die Breite der Anwendung in einem Stadtviertel oder einer Gemeinde bestehen noch einige Herausforderungen. Eine heißt Interoperabilität: Sowohl bei den Komponenten, die noch nicht herstellerübergreifend steuerbar sind als auch bei den Datenplattformen und Cloud-Services. Nutzer werden die einheitliche Bedienung per Smartphone, Tablet oder Spracherkennung einfordern – Fernbedienungen haben sie schon genug – und Wert darauf legen, Datendienste mitsamt ihrer Daten wechseln zu können. Beim Umzug nehmen sie ja auch die Möbel mit.

Die zweite Herausforderung sind die Investitionen im Gebäude. Das betrifft etwa Datenleitungen bis in die Wohnung, Stromkabel zum Beispiel für Antriebe in die Rolladenkästen oder an die Türen. Nach Ansicht der Technologiestiftung Berlin wird diese „Aufrüstung“ längerfristig nicht an den Kosten scheitern – Ofenheizung und Außentoilette, die früher Standard waren, sind schließlich auch verschwunden.

Gleichwohl werden diese Veränderungen im Gebäude dauern, weil sich solche Investitionen nach den langen Modernisierungszyklen von Gebäuden richten. Außer dem Vorausdenken der Bauherren ist hier die Wirtschaft gefragt, die Normen und Standards schaffen muss, die vor Fehlinvestitionen schützen.

Deutschland hat die Behindertenrechtskonvention unterschrieben. Mehr Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird deshalb kommen, weil sie kommen muss. Aber was kommt zusätzlich, bevor das autonom fahrende Auto fertig ist? Navigationssysteme und erste Angebote intelligenter Mobilität berücksichtigen Mobilitätseinschränkungen bisher mangels guter Daten unzureichend. Von Nutzern erstellte Informationen (z. B. bei www.wheelmap.org) können mangelnde Daten über relevante Orte wie Toiletten oder Sitzgelegenheiten und über Merkmale der Infrastruktur wie Gehwegbreiten, Bordsteinhöhen oder Pflasterung nicht völlig kompensieren, um bessere Angebote für Fußgänger mit Hilfsmitteln (Rollatoren, Gehhilfen) oder Rollstuhlfahrer anzubieten. Hier sind bessere öffentliche Geodaten gefragt.

Rollstühle müssen durchkommen

Angebote für assistierte Mobilität sind aktuell ein intensiver Forschungsgegenstand. Mobilitätseingeschränkte Bürger nutzen üblicherweise ein Navigationsgerät und können ein Callcenter kontaktieren, das ihnen weiterhilft, wenn sie wider Erwarten vor einem Hindernis stehen. Für Hochbetagte ist heute „zu Fuß“ das wichtigste Verkehrsmittel. Wenn Hilfsmittel wie Krankenfahrstühle oder Rollatoren und elektrische Kleinstfahrzeuge wie Pedelecs, Segways oder kleine Einkaufs-Lastentrikes „zusammenwachsen“, weitet dies den Radius der erreichbaren Ziele aus. Erfreulicherweise und mit zwei Konsequenzen: Innenräume von Bussen und Bahnen wie auch öffentliche Gebäude – Rathäuser – müssen mit Hilfsmitteln zugänglich sein. Das bedeutet, dass zusätzlich zur bislang schon knapp verfügbaren Abstellfläche für Fahrräder und Kinderwagen der Bedarf an Stellfläche für Hilfsmittel hinzukommen wird. Auch mehr Steckdosen zum Aufladen elektrisch betriebener Fahrzeuge wird es dort geben müssen.

Christian Hammel

Der Autor
Dr. Christian Hammel ist Bereichsleiter für Technologie und Stadt bei der Technologiestiftung Berlin