An Ort und Stelle

Beim Umgang mit Regenwasser setzt sich die dezentrale Bewirtschaftung durch. Versickerung, Verdunstung und verzögerte Ableitung mindern die negativen Folgen von Starkregen und Trockenheit. Die Kommunen sollten die Bemessung der Niederschlagsgebühr und des Kanalnetzes anpassen.

 

„Trinkwasser sparen durch Regenwassernutzung“ hieß das Motto, als in den 1990er-Jahren der Bau von Zisternen durch mehrere Bundesländer bezuschusst wurde. Der über Jahrzehnte angestiegene Trinkwasserbedarf der Haushalte sollte reduziert und damit immer größere Fernwasserversorgungen verhindert werden. Diese Rechnung ging auf. Statt 147 Liter pro Person und Tag damals liegt der durchschnittliche Bedarf im deutschen Haushalt heute bei 120 Liter. Der Stand der Technik bei Regenwassernutzung wurde in der DIN 1989:2002-04 dokumentiert. 25 Jahre später wissen wir, dass im Umgang mit Regenwasser Kombinationen von Nutzung, Versickerung, Verdunstung und verzögerter Ableitung angesagt sind. Anlass dazu geben die Auswirkungen von Starkregenereignissen, Trockenheit und aufgeheiztem Stadtklima.

Fördermaßnahmen der Bundesländer oder Kommunen für die Regenwassernutzung im Besonderen und für die Regenwasserbewirtschaftung im Allgemeinen wurden weitgehend abgeschafft. Zuschüsse für Regenspeicher gibt es noch im Bundesland Bremen und in einigen Kommunen wie zum Beispiel Heidelberg, Bad Mergentheim oder Gräfelfing. Als finanzieller Anreiz dient inzwischen die verminderte Niederschlagsgebühr. Die Verminderung gibt es nur, wenn der Niederschlag dezentral bewirtschaftet wird oder der Überlauf des Regenspeichers auf dem Grundstück versickert.

Dass kontinuierliche Regenwassernutzung an sich eine beachtliche Retentionswirkung hat und damit zur Vorsorge bei Starkregen und Trockenheit beiträgt, wurde in den technischen Regeln ignoriert – bei der Niederschlagsgebühr ebenso. In den Tabellen der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und in den DIN-Regelwerken sind keine Abflussbeiwerte für Regenspeicher vorhanden. Das könnte sich nun ändern. In diesem Zusammenhang spielen auch die Retentionsleistungen eine Rolle. Der Begriff Retention bedeutet in der Wasserwirtschaft die ausgleichende Wirkung von Stauräumen auf den Abfluss, die Versickerung und Verdunstung.

Dachbegrünung gibt Vorbild

Langzeitsimulationen im Jahr 2010 an der Hafen-City Universität Hamburg unter der Leitung von Wolfgang Dickhaut ergaben je nach Nutzungsart, Regenintensität und Speichergröße erstaunliche Retentionsleistungen. Vor Kurzem wurde der Effekt bestätigt durch Simulationsrechnungen von Harald Sommer von der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker. Die Ergebnisse wurden in H 101, einer technischen Regel der Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung, im März 2016 veröffentlicht.

Mit einem Abflussbeiwert von 0,5 für extensive und 0,3 für intensive Bauweise ist die Dachbegrünung seit vielen Jahren in den unterschiedlichen Regeln der Technik präsent und damit der Regenwassernutzung um einige Nasenlängen voraus. Es ist an der Zeit, einen entsprechenden Wert auch für Regenspeicher bei der Aktualisierung von Normen zu verankern. Daraufhin sollten die Kommunen entsprechend diesen Abflussbeiwerten Abschläge bei der Niederschlagsgebühr machen – wichtig für Regenwassernutzer mit bestehenden Anlagen, die den vorhandenen Überlauf ihres Speichers nicht vom Kanal abhängen (und die Versickerung auf dem eigenen Grundstück einrichten) können.

Dynamische Modelle

Tatsächlich gibt es schon Städte, die in diesem Sinne mit gutem Beispiel vorangehen: Darmstadt, Stuttgart, Ulm, Mannheim, Baden-Baden und Friedrichshafen. Der Gemeindetag Baden-Württemberg veröffentlichte im Jahr 2010 Vorschläge zur Bemessung der Niederschlagsgebühr in seiner Mustersatzung. In Paragraf 40a nennt er unter anderem Maßnahmen, die trotz Überlauf in die Abwasserbeseitigungsanlagen zu einer reduzierten Gebühr führen.

Hier ein Auszug dieser Empfehlung: „Bei Regenwassernutzung, ausschließlich zur Gartenbewässerung, werden die Flächen um acht Quadratmeter je Kubikmeter Fassungsvolumen reduziert. Bei Regenwassernutzung im Haushalt oder Betrieb werden die Flächen um 15 Quadratmeter je Kubikmeter Fassungsvolumen reduziert. Dies gilt nur für Zisternen, die fest installiert und mit dem Boden verbunden sind.“ Eine Übernahme in weiteren Kommunen ist wahrscheinlich.

Ist eine Regenableitung erforderlich oder muss ein Speicher oder eine Versickerungs- oder Behandlungsanlage dimensioniert werden, benutzen Planer bei einfachen Bemessungsverfahren den statischen Abflussbeiwert der zu entwässernden Fläche – unabhängig vom Verlauf des Regenereignisses. Als Rechenfaktor ohne Einheit liegt er bei 0,0 (kein Abfluss) oder 1,0 (100 Prozent Abfluss des auftreffenden Niederschlags) oder dazwischen.

Gründächer haben in allen Regelwerken übereinstimmend den Wert 0,3 bei mehr als zehn Zentimeter Aufbau und 0,5 bei weniger als zehn Zentimeter. Das ist eindeutig und gibt Planungssicherheit. Bei anderen Flächenarten – speziell Kiesdächer, Rollkies- und Pflasterflächen – variieren die Werte je nachdem, welches Regelwerk benutzt wird. Das wirkt verunsichernd.

Versierte Ingenieure werden große Abflüsse mit dynamischen Oberflächenabflussmodellen simulieren. Die hier thematisierten statischen Abflussbeiwerte sind nur für die einfachen Fälle empfehlenswert, bei denen vor allem Planer tätig werden, die nicht auf Siedlungswasserwirtschaft spezialisiert sind. Deshalb müssen für diese Anwendergruppe die Auswahlkriterien in den Regeln der Technik, nicht nur in Kommentaren, eindeutig und nachvollziehbar vermittelt werden. Sonst können Fehler sowie Schäden und als Folge davon juristische Auseinandersetzungen entstehen.

Klaus W. König

Der Autor
Klaus W. König, Überlingen, ist Fachjournalist mit Schwerpunkt Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser

Weiterführende technische Informationen

Maßgebliche Regelwerke: Das Kennzeichen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung ist, dass Niederschläge vor Ort genutzt, versickert oder verdunstet werden. Darin sind sich Expertenorganisationen wie die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) und die Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung (FBR) einig. Bedeutende Regelgeber im Bereich des Regenwassermanagements sind die Deutsche Industrienorm (DIN) sowie die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA).

  • Für die Grundstückentwässerung ist DIN 1986-100 die Ausgangsnorm. Die derzeit aktuelle Ausgabe ist von Mai 2008.

  • Für Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser ist DWA-A 138 (Stand April 2005) die zentrale technische Regel.

  • Für die versickerungsfähigen Verkehrsflächen ist FGSV M VV R2, Ausgabe 2013, maßgeblich.

  • Für Regenwassernutzungsanlagen gilt DIN 1989-1 von April 2002.

Informationen zum Abflussbeiwert: Die Abflusswirksame Fläche AU (Rechenwert „undurchlässige Fläche“) ergibt sich aus der Sammelfläche AE (Rechenwert „Einzugsgebietsfläche“), multipliziert mit dem Abflussbeiwert. Der Abflussbeiwert einer Sammelfläche ist ein Minderungsfaktor ohne Einheit. Wert und Bezeichnung sind unterschiedlich, je nach technischer Regel. Im Regelwerk der DIN und FLL lautet die Bezeichnung C, bei DWA und FGSV Ψ. Je höher der Abflussbeiwert, desto mehr Niederschlagswasser fließt von der Fläche ab. Beispiel: Ψ = 0,8 bedeutet 80 Prozent des auftreffenden Niederschlages fließen ab. Ob der Abflussbeiwert aus DIN 1986-100, FGSV-Merkblatt, DWA-A 138, DWA-A 117 oder DWA-A 153 entnommen wird, entscheidet die planende Person. Für ein Ableitungssystem von Niederschlagswasser ist DIN 1986-100, für die Dimensionierung einer Versickerungsanlage DWA-A 138 als Quelle für den Abflussbeiwert eher zutreffend.

Bemessungsregen: Der für die Dimensionierung der Regenentwässerungs- und Versickerungsanlage auszuwählende Bemessungsregen r wird durch zwei Faktoren bestimmt: Regendauer D und Häufigkeit n. Beispiel: r (10/0,2) ist das stärkste Niederschlagsereignis, das mit zehn Minuten Dauer einmal in fünf Jahren auftritt. Die Häufigkeit n = 0,2 entspricht der Wiederkehr-Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent pro Jahr bzw. der Jährlichkeit T = 5 Jahre. Die Einheit von r ist l/s x ha (Datenquelle KOSTRA-DWD 2000, Auszüge im Anhang A der DIN 1986-100). Der Bemessungsregen ist immer abhängig vom geografischen Ort. DIN 1986-100 fordert als Rechenwert für Grundstücksflächen die größte Regenspende am jeweiligen Ort innerhalb von zwei Jahren (T = 2), für Gebäude-Dachflächen innerhalb von fünf Jahren (T = 5). DWA-A 138 empfiehlt bei der Bemessung dezentraler Versickerungsanlagen ohne besonderes Gefährdungspotenzial, generell von fünf Jahren auszugehen.

Versickerung: Der kf-Wert kennzeichnet die Durchlässigkeit des Bodens in gesättigtem Zustand, Einheit m/s. Er ist aber nicht mit der Infiltrationsrate gleichzusetzen. Da die Wassersättigung des Bodens wechselt (ganz trockener Boden ist zunächst undurchlässig), wird gemäß DWA-A 138, 3.2.3, mit 0,5 x kf als Mittelwert bei der Dimensionierung von dezentralen Versickerungsanlagen gerechnet. Als ausreichend wasserdurchlässig gelten kf-Werte von 10-3 bis 10-6. Eine Sickermulde mit bewachsenem Oberboden soll max. 30 cm Wasserstand haben. Die Dimensionierung muss so erfolgen, dass ein Einstau nicht länger als 24 Stunden dauert. Pflege und Wartung der Bepflanzung ist erforderlich, um eine optimale Durchwurzelung des Oberbodens zu gewährleisten. Dies ist eine Voraussetzung, damit die Sickermulde dauerhaft durchlässig bleibt und trotz regelmäßigem Eintrag von Sedimenten immer neue Kapillaren im Boden entstehen. Siehe dazu DWA-A 138, Abschnitte 3.3.2 Muldenversickerung und 3.4.3 Planerhinweise.