Die Betreuung und medizinische Versorgung älterer Menschen stellt besondere Herausforderungen an die Sozialträger. In Sachsen widmen sich geriatrische Netzwerke dieser Aufgabe und erproben die Praxis in Modellregionen. Im Kreis Görlitz wird zudem ein Frühwarnsystem für Demenzerkrankungen aufgebaut.
In Sachsen sollen geriatrische Netzwerke eine bedarfsgerechte und wohnortnahe Versorgung älterer Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sicherstellen. Die Netzwerke, die seit einigen Jahren in verschiedenen Regionen erprobt werden, setzen sich aus unterschiedlichen Leistungserbringern zusammen. Die Idee hierfür basiert auf dem sächsischen Geriatriekonzept. Es beschränkt sich nicht auf die medizinische Behandlung, sondern verfolgt einen umfassenderen Ansatz. Pflegeeinrichtungen und Physiotherapeuten werden ebenso einbezogen wie etwa die Wohnungswirtschaft. Vorgesehen ist, dass die geriatrischen Zentren in den Krankenhäusern die Aktivitäten der unterschiedlichen Leistungserbringer koordinieren. Gleichfalls gilt es, unnötige Kostensteigerungen, die etwa durch Verzögerungen im Behandlungsprozess ausgelöst werden könnten, zu vermeiden.
Seit dem Jahr 2011 erproben die Modellregionen Chemnitz, Radeburg (mit dem Großraum Dresden), Leipzig und Ostsachsen den Aufbau und die Umsetzung solcher Netzwerke. Von 2011 bis 2016 übernahmen die Krankenkassen die Finanzierung zweier Personalstellen. Für den aktuell laufenden Modellzeitraum von 2017 bis 2018 fördert das Sächsische Ministerium für Soziales und Verbraucherschutz das Projekt.
„Gerade der ländliche Raum hat damit zu kämpfen, dass die Ressourcen häufig begrenzt sind“, erläutert Dr. Stefan Zeller, Direktor des Görlitzer Geriatriezentrums des Städtischen Klinikums Görlitz und Projektleiter des Geriatrienetzwerks Ostsachsen. So sinkt die Zahl der Arztpraxen, ungeachtet des steigenden Bedarfs. „Nicht zuletzt deshalb brauchen wir ein möglichst breites Spektrum unterschiedlicher Akteure, die sich ergänzen.“
Wissenschaftlich fundiert
Einmal pro Quartal treffen sich die Netzwerkteilnehmer zu einem Runden Tisch. Für den fachlichen Input sorgt auch die Hochschule Zittau, die mit Professor Andreas Hoff über einen Experten für soziale Gerontologie verfügt. Eine Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und dem Netzwerk entstand beispielsweise im Zuge einer Entwicklung von Assistenzsystemen für Seniorenwohnungen. Das kommunale Wohnungsunternehmen Kommwohnen war ebenfalls daran beteiligt.
„Präventive und gesundheitsfördernde Angebote sind zwar unverzichtbar, aber lassen sich nur schwer refinanzieren“, stellt Zeller fest. Dennoch ist das Geriatrienetzwerk in diesem Aufgabenbereich aktiv und leistet Aufklärungsarbeit für unterschiedliche Fachkräfte. Zusätzlich lernen Patienten und Angehörige, wo sie im Bedarfsfall Hilfe finden. „Dieses Angebot wird gut angenommen“, sagt Zeller. Ein weiteres Projekt, das gemeinsam mit einer Reha-Tagesklinik umgesetzt wurde, widmet sich der Sturzprävention.
Von den 257.164 Einwohnern des Landkreises Görlitz sind fast 7000 an einer Form von Demenz erkrankt. Daher bildet die Demenzoffensive ein zentrales Anliegen des Netzwerkes. Zu den Aktivitäten gehören auch Qualifizierungsmaßnahmen für Polizisten, Feuerwehrleute, Bankangestellte und das Personal der Wohnungswirtschaft. Die Teilnehmer lernen praxisorientiert, wie sie eine Demenz erkennen und wie sie im Krisenfall angemessen mit den Betroffenen umgehen.
Zusätzlich wurde das Projekt „Schutzräume für an Demenz erkrankte Menschen“ aus Berlin übernommen. „Werden desorientierte Personen aufgefunden, die nicht unmittelbar medizinisch versorgt werden müssen, bringt man sie nicht auf die Polizeistation“, schildert Zeller. Stattdessen werden sie in einem auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Schutzraum betreut, bis ihre Identität geklärt ist. Einen solchen Raum stellen unterschiedliche Pflegeeinrichtungen zur Verfügung, die sich nach dem Dienstsystem abwechseln. „Traumatisierungen können dadurch verhindert werden“, erklärt Zeller. Er hofft, dass die Zentren nach der anstehenden Verabschiedung des Krankenhausplans einen festen Zuschlag erhalten. „Die Zukunft des Netzwerkes wäre damit gesichert.“
Aus Sicht von Matthias Reuter, Sozialplaner für den Landkreis Görlitz, ermöglicht das Geriatrienetzwerk einen Blick über den eigenen fachlichen Tellerrand und verbessert den interdisziplinären Austausch. „Durch die Steuerung über das geriatrische Zentrum gelingt der Zugang zu niedergelassenen Haus- und Fachärzten sehr viel einfacher als zuvor. Das trägt dazu bei, Schnittstellenprobleme aufgrund der unterschiedlichen Sozialgesetzbücher zu überwinden“, sagt Reuter.
Allerdings sollten sich die Akteure innerhalb der Stadt Görlitz noch stärker für den Handlungsbedarf des gesamten Landkreises öffnen, so seine Empfehlung. Unterstützung werde gerade beim Thema Demenz benötigt. „Leider wird die Diagnose häufig erst zu einem späten Zeitpunkt gestellt.“ Aus kommunaler Sicht hält er deshalb den Aufbau eines Frühwarnsystems durch alle Beteiligten für sinnvoll.
Betreutes Wohnen in Görlitz
Noreen Czerny, Teamleiterin der Kommwohnen Görlitz, nutzt das Netzwerk als Chance, um die Partner auf wohnungswirtschaftliche Probleme hinzuweisen. „Wir stellen fest, dass immer mehr Mieter vereinsamen und psychische Erkrankungen zunehmen. Aus diesem Grund müssen Vermieter immer öfter soziale Leistungen übernehmen.“ Eine enge Kooperation sei daher unerlässlich.
Deshalb arbeitet das Unternehmen mit dem DRK-Kreisverband Görlitz Stadt und Land zur Versorgung der Seniorenwohnanlage Frauenburgkarree I zusammen. Dieses Wohnprojekt kombiniert ein altengerechtes Apartmenthaus für 46 Mieter einschließlich eines Gemeinschaftsraums mit einer stationären Einrichtung für 37 pflegebedürftige Menschen, die durch den DRK betrieben wird.
Michaela Allgeier
Die Autorin
Michaela Allgeier, Essen, ist Autorin und Beraterin in den Themenfeldern Demografische Entwicklung und Gerontologie sowie Integration