Ein Bieter kann bei der öffentlichen Auftragsvergabe seine Leistungsfähigkeit mit Gütezeichen belegen. Dies gilt sowohl oberhalb wie auch unterhalb der Schwellenwerte. Leider ist die Forderung von Gütezeichen durch die Vergabestelle nur oberhalb der Schwellenwerte ausdrücklich geregelt.
Um bei öffentlichen Ausschreibungen bestimmte Qualitätsmerkmale von Produkten oder Leistungen sicherzustellen, greifen viele Vergabestellen auf RAL-Gütezeichen zurück. Allerdings werden wiederholt Zweifel geäußert, inwiefern Gütezeichen im Rahmen von Vergabeverfahren verlangt werden können. Eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 14. Dezember 2016 (AZ VII-Verg 20/16), mit der die Forderung eines Gütezeichens aufgrund eines Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit für ungültig erklärt wurde, führte hier offenbar zu Unsicherheiten. Tatsächlich lag der Entscheidung jedoch altes, im Jahr 2016 geändertes Recht zugrunde – sie entfaltet somit keine Auswirkung auf Vergabeverfahren, die nach April 2016 durchgeführt werden. Aber betrachten wir die aktuellen rechtlichen Grundlagen einmal näher.
Für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte ist die Vergaberichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union (Richtlinie 2014/24/EU v. 26.2.2014) einschlägig. In dieser wird die Zulässigkeit der Bezugnahme auf Gütezeichen in öffentlichen Vergabeverfahren geregelt. Laut Art. 43 der Richtlinie kann eine Vergabestelle ein Gütezeichen als Nachweis für die Erfüllung von Bedingungen an die ausgeschriebenen Leistungen oder Lieferungen verlangen, wenn das geforderte Gütezeichen strikte Anforderungen erfüllt.
So muss dieses zum Beispiel im Rahmen eines offenen, transparenten Verfahrens eingeführt werden und allen Betroffenen zugänglich sein. Die mit dem Gütezeichen verbundenen Anforderungen müssen auf objektiv nachprüfbaren, nichtdiskriminierenden Kriterien beruhen. Eine Akkreditierung von Gütegemeinschaften wird hingegen nicht gefordert. RAL-Gütezeichen erfüllen alle in der Richtlinie genannten Anforderungen ohne Einschränkungen.
Anforderungen an Gütezeichen
Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts erfolgte im Jahr 2016 die Umsetzung der Europäischen Vergaberichtlinie in deutsches Recht und die entsprechenden Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWG). Im Baubereich gelten für die öffentliche Vergabe oberhalb der Schwellenwerte die Vorschriften des 2. Abschnitts der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A (VOB/A) 2016. Die Anforderungen an Gütezeichen entsprechen denen der Europäischen Vergaberichtlinie.
Verlangen öffentliche Auftraggeber ein bestimmtes Gütezeichen, müssen sie laut Art. 43 der Europäischen Vergaberichtlinie jedoch alle Gütezeichen akzeptieren, die bestätigen, dass die Leistungen oder Lieferungen gleichwertige Gütezeichen-Anforderungen erfüllen. Verlangt der Auftraggeber nicht nur ein bestimmtes Kriterium eines Gütezeichens, muss das alternative Gütezeichen neben einer gleichwertige Eigen- und Fremdüberwachung alle Anforderungen des RAL-Gütezeichens erfüllen.
Hatte ein Bieter nachweislich aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen keine Möglichkeit, das geforderte oder ein gleichwertiges Gütezeichen innerhalb der einschlägigen Fristen zu erlangen, muss der Auftraggeber andere Nachweise akzeptieren. Der betroffene Bieter muss dennoch nachweisen, dass seine angebotenen Leistungen die geforderten Kriterien des Gütezeichens erfüllen. Es geht somit in Art. 43 der Richtlinie um die Erfüllung identischer Anforderungen. Andere zum Gütezeichen alternative Nachweise sieht Art. 43 nicht vor.
Vergaben unterhalb der Schwellenwerte
Bei öffentlichen Vergaben unterhalb der Schwellenwerte gelten für Bauleistungen die VOB/A 2016 Abschnitt 1; für Lieferungen und Leistungen die VOL/A 2009. In beiden sind Gütezeichen nicht explizit genannt. Bei auftragsbezogenen, sachlich gerechtfertigten Anforderungen der Vergabestelle kann der Bieter entsprechende Gütezeichen jedoch als Nachweise für konkret genannte Eignungskriterien und technische Spezifikationen vorlegen – unter der Voraussetzung, dass die Vergabestelle „gleichwertige Nachweise“ zulässt.
Ein Nachweis gilt dann als „gleichwertig“, wenn er identische oder vergleichbare Anforderungen stellt wie das auftragsbezogen gewünschte und gerechtfertigte Gütezeichen. Fordert der Auftraggeber also zum Beispiel ausdrücklich die bei RAL-Gütezeichen vorgeschriebene regelmäßige Fremdüberwachung, ist ein anderer Nachweis nur dann gleichwertig, wenn er identische oder gleichartige Überwachungsmaßnahmen umfasst.
Dementsprechend sind Gütezeichen bei der öffentlichen Auftragsvergabe nach aktueller Gesetzeslage sowohl oberhalb wie auch unterhalb der Schwellenwerte zulässige Mittel der Nachweisführung durch den Bieter. Während deren Forderung durch die Vergabestelle oberhalb der Schwellenwerte jedoch ausdrücklich geregelt ist, wäre eine explizite Regelung im nationalen Recht für Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte unter Berücksichtigung der europäischen Vorgaben wünschenswert.
Michael Heckmann
Der Autor
Michael Heckmann, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Engel, Heckmann und Partner in Düsseldorf