Wurzeln und Rohre können sich vertragen

Die Auswirkungen des Sturmtiefs „Ela“ im Ruhrgebiet sind bis heute zu sehen. Vielerorts müssen neue Bäume gepflanzt werden. Dabei eröffnet sich die Chance, Baumstandorte im Straßenraum von Anfang an so zu gestalten, dass sich Wurzeln und Rohrleitungen nicht mehr in die Quere kommen.

Pfingsten 2014 bleibt den Bewohnern des Ruhrgebiets wohl noch länger in Erinnerung. Reihenweise umgestürzte Bäume, blockierte Straßen und Bahnlinien, abgetragene Dächer, zerstörte Autos – Sturmtief „Ela“ hatte innerhalb kürzester Zeit eine Schneise der Verwüstung quer durch die Region geschlagen. Manche Schäden sind auch fast ein Jahr danach noch zu sehen.

An vielen Stellen hat der Sturm gezeigt, wie eng Stadtgrün und Leitungsinfrastruktur miteinander verbunden sind. Denn Wurzeln und Leitungen teilen sich den unterirdischen Raum. Kippt der Baum, dann knackt oft auch das umwurzelte Rohr. Und vielleicht würde trotz „Ela“ der ein oder andere Baum noch stehen, das ein oder andere Auto noch fahren, wenn nicht bei Tiefbauarbeiten wichtige Wurzeln geschädigt worden wären.

Mit den Folgen des Unwetters im Hinterkopf wollen Netzbetreiber und Grünflächenämter nun bei Tiefbauarbeiten und Baumpflanzungen verstärkt neue Wege beschreiten. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Regelwerke helfen dabei, sowohl Leitungen vor Wurzeln zu schützen als auch Wurzeln beim Tiefbau besser zu schützen. Denn: Wurzeln und Rohre können sich vertragen.

Baumstandorte im Straßenraum können jetzt so gestaltet werden, dass sowohl das Schadensrisiko für Ver- und Entsorgungsleitungen reduziert wird als auch dem Baum ausreichend Raum für die Wurzeln verschafft wird. Gute Standortbedingungen, das sind porenreiche und gut belüftete Böden beziehungsweise Substrate, finden Wurzeln bisher häufig in den Gräben der Versorgungs- und Entsorgungsleitungen. Im Abwassernetz stellt der Wurzeleinwuchs einen der häufigsten Schäden dar.

Durchlüftung abseits der Trasse

Ein Modell basiert auf der Bequemlichkeit der Wurzeln. Denn Wurzeln gehen meist den Weg des geringsten Widerstands. Der Bodenraum rund um Gebäude und Leitungsinfrastrukturnetze unterscheidet sich von gewachsenem Boden durch geringere Verdichtung beziehungsweise größeren Porenraum.

Ein anderes Modell setzt beim Sauerstoff an, den auch Wurzeln für ihren Stoffwechsel brauchen. Stark versiegelte Böden sind arm an Sauerstoff. Abwasserleitungen dagegen sind größtenteils mit Luft gefüllt und einigermaßen gut belüftet. Über undichte Dichtungen gelangt Sauerstoff in den umgebenden Boden und macht diesen attraktiv für Wurzeln.

Lange hat man versucht, die Dichtungen wurzelfest zu machen. Doch Wurzeln sind stark und wachsen – wie man heute weiß – sogar in dichte Verbindungen ein. Zudem versetzen Last abtragende Wurzeln Rohre in Bewegung und durchwurzelte Leitungsgräben erschweren Tiefbauarbeiten.

Deshalb ist man dazu übergegangen, den gesamten Leitungsgraben mit porenarmen Verfüllmaterialien möglichst unattraktiv für Wurzelwachstum zu machen. Gleichzeitig schafft man heute für die Bäume porenreiche, gut durchlüftete Bodenbereiche abseits der Leitungstrasse – für gesundes, üppiges Stadtgrün.

Das Regelwerk der DIN 18920 „Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Pflanzenbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen“ gibt Hinweise für die Planung und Durchführung von Baumaßnahmen im Siedlungsbereich und in der freien Landschaft. So können zu erhaltende Einzelbäume und ganze Vegetationsflächen besser geschützt werden.

Auch die Richtlinie „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle“, die unter Mitwirkung zahlreicher Fachvereinigung erarbeitet wurde, bietet vielfältige Hilfestellungen. Die Richtlinie ist als Merkblatt bei der DWA als DWA-M 162 „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle“ und textgleich als DVGW GW 125 und FGSV Nr. 939 erschienen.

Aktive und passive Schutzmaßnahmen

Für Baumpflanzungen in der Nähe von Versorgungs- und Entsorgungsleitungen und Tiefbauarbeiten im Umfeld von Bäumen werden heute keine absoluten Mindestabstände mehr vorgegeben. Über sinnvolle Abstände und den Einbau von Schutzmaßnahmen soll nun anhand der jeweils vor Ort herrschenden Verhältnisse entschieden werden.

Die Berücksichtigung aktiver Schutzmaßnahmen – Pflanzgruben, Wurzelgraben, Belüftung, Trennelemente – wird insbesondere für die Neupflanzung von Bäumen in der Nähe eines Leitungsbestands empfohlen. Durch die Maßnahmen werden Bereiche definiert, in denen das Wachstum von Wurzeln gefördert wird.

Passive Schutzmaßnahmen werden im direkten Bereich von unterirdischen Leitungen beziehungsweise Leitungsgräben in der Regel beim Neubau ergriffen. Zu den passiven Schutzmaßnahmen gehören zum Beispiel: Einsatz porenarmer Verfüllstoffe im Rohr- und Leitungsgraben, Einbau von Mantelrohren (Schutzrohren) um die Leitung, Einbau von Platten und Folien im Leitungsgraben, Auswahl wurzelfester Rohrverbindungen.

Weiterforschen

Das Institut für Unterirdische Infrastruktur (IKT) bündelt die Erfahrungen der Netzbetreiber für weitergehende Untersuchungen. Falls Sie Interesse haben, an einem Projekt zur Wirksamkeit von passiven Schutzmaßnahmen mitzuwirken, stehen die Autoren dieses Beitrags für Rückfragen zur Verfügung.

Die Wirksamkeit passiver Schutzmaßnahmen ist bisher wenig untersucht worden. Zum Beispiel gibt es kaum Erfahrungen mit in den Leitungsgraben eingebauten Platten und Folien, systematische Untersuchungen gibt es praktisch nicht. In einem bekannten Fall wurde bei einer Aufgrabung im Graben einer Gasleitung (Platten aus HDPE) die vorgefundene Situation beschrieben: Wie erwartet, hatten die Wurzeln die Platten nicht durchdrungen. Sie sind aber an ihnen entlang und um sie herum gewachsen und haben sich dann trotzdem in dem porenreichen Verfüllmaterial des Leitungsgrabens ausgebreitet. Das IKT will nun im Bereich der passiven Schutzmaßnahmen weiterforschen.

Christoph Bennerscheidt / Marcel Goerke / Henning Winter

Die Autoren
Christoph Bennerscheidt und Marcel Goerke sind Projektleiter am Institut für Unterirdische Infrastruktur (IKT) in Gelsenkirchen, Henning Winter ist Redakteur am IKT