Wasserwirtschaft denkt in neuen Kategorien

Die Siedlungswasserwirtschaft steht vor der Aufgabe, die Wasser- und Abwasserinfrastruktur den klimatischen und demografischen Veränderungen anzupassen. Eine bedeutende Rolle kommt der Umgestaltung von zentralen Abwassersystemen und der Integration neuer Wasserinfrastruktursysteme zu.

 

Die Siedlungswasserwirtschaft in Deutschland hat zwei vorrangige Ziele: Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit Trink- und Betriebswasser sowie die Sicherstellung der hygienischen Verhältnisse in Siedlungen und Gewährleistung des Gewässerschutzes durch Ableiten und Behandeln des Abwassers.

Die Siedlungswasserwirtschaft steht vor gravierenden Herausforderungen. Die Auswirkungen des Klimawandels belasten Städte und ihre Wasserinfrastrukturen zunehmend. Insbesondere die Entwicklung der Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse, spielen eine entscheidende Rolle bei der Verfügbarkeit und der Nutzung der Wasserressourcen. Bei etwa gleichbleibender oder nur sehr leicht zunehmender Jahresniederschlagssumme nimmt das winterliche Niederschlagsaufkommen zu. Durch die höheren Temperaturen wird der winterliche Niederschlag vermehrt als Regen und nicht mehr als Schnee fallen. Die Niederschlagssumme im Sommerhalbjahr wird tendenziell abnehmen. Insgesamt ist mit einer erhöhten Dauer, Häufigkeit und Intensität der Niederschlagsereignisse zu rechnen.

Vor dem Hintergrund von demografischem Wandel und Binnenmigration verschärfen sich die räumlichen Unterschiede in Deutschland. Damit wachsen auch die Anforderungen an die Infrastruktursysteme. In den Städten Berlin, München und Hamburg wird in den nächsten 20 Jahren die Bevölkerungszahl um voraussichtlich zehn bis 15 Prozent wachsen. Ein entsprechender, aber nicht so stark ausgeprägter Trend ist auch in einigen Flächenländern zu erwarten, andere Regionen werden schrumpfen (s. Abb. 1 der Bildergalerie).

Klima- und Energiepolitik unterstreichen die Dringlichkeit, Fortschritte bei der Steigerung der Energieeffizienz und der Nutzung erneuerbarer Energien auch in der Siedlungswasserwirtschaft zu erzielen.

Weitere Herausforderungen kommen hinzu, etwa die Zunahme anthropogener Spurenstoffe im Wasserkreislauf. Lokal und regional können zeitweise oder anhaltend chemische und/oder hygienische Grundwasserbelastungen auftreten, die Schutzmaßnahmen erfordern. Das betrifft unter anderem Nitrat/Ammonium, Pflanzenschutzmittel wie auch Altlasten.

Vor diesem Hintergrund muss die Siedlungswasserwirtschaft sich auf eine Reihe von Veränderungen einstellen: Hochwasserereignisse und hohe Grundwasserstände mit Nutzungskonflikten; Temporäre, lokale Verringerung der Wasserverfügbarkeit für die Wasserversorgung; Anstieg des Trinkwasserbedarfes in den Ballungsräumen und Abnahme des Bedarfs in ländlichen, schrumpfenden Regionen; erhöhter Wasserbedarf zur Bewässerung von Stadtgrün und landwirtschaftlichen Flächen; weitere Verschärfung von Unterauslastung/Überlastung von Versorgungs- und Entsorgungsnetzen und Anlagen sowie daraus resultierende betriebliche und wirtschaftliche Probleme.

Betriebliche, bauliche und konzeptionelle Maßnahmen

Die traditionellen Wasser- und Abwasserinfrastrukturen sind als zentrale Systeme angelegt. Durch sie wird „Wasser“ mit Einsatz von Energie und Betriebsstoffen bereitgestellt und nach der Nutzung als behandeltes „Abwasser“ an die Umwelt abgegeben (s. Abb. 2). Weil diese Systeme sich nur schwer an die skizzierten künftigen Rahmenbedingungen anpassen lassen, sind sie in wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht nur bedingt zukunftsfähig. Mögliche Lösungsansätze zur Bewältigung der wasserwirtschaftlichen Herausforderungen lassen sich in drei Maßnahmenkategorien unterscheiden: betrieblich (Systemsteuerung), baulich (Systemanpassung) sowie konzeptionell.

Letzteres zielt auf die Integration neuartiger Wasserinfrastrukturen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Abwasser nicht mehr einheitlich, sondern in verschiedenen Teilströmen (z. B. Grauwasser: häusliches Abwasser ohne Fäkalien bzw. Toilettenabwasser,) getrennt erfasst, behandelt und teilweise wiederverwendet wird. Abwasser wird dadurch in stofflicher wie energetischer Hinsicht zur Ressource (s. Abb. 3). Diese neuartigen Infrastrukturen können die vorhandenen Systeme ergänzen, wenn sie in geeigneten städtischen Teilräumen umgesetzt werden. Ihre Praxistauglichkeit haben sie in verschiedenen Modellvorhaben bewiesen.

Die Stoffstromtrennung ermöglicht die Nutzung von Regenwasser für gestalterische Maßnahmen ebenso wie für die Gebäudekühlung. Die Aufbereitung von Grauwasser zur Nutzung als Betriebswasser (Wasser mit unterschiedlichen Güteeigenschaften, sofern dafür keine Trinkwassereigenschaft verlangt wird) trägt ebenso zur Ressourcenschonung bei wie die Abtrennung des Schwarzwassers (Fäkalien bzw. Toilettenabwasser) zur Klärgasgewinnung. Die räumlichen Maßstabsebenen der Realisierung solcher neuartiger Lösungen reichen vom Einzelgebäude über Stadtteile bis hin zur Stadt.

Die Stadtentwicklung in Kooperation mit anderen kommunalen Ämtern und Betrieben verfügt über die notwendige Ortskenntnis, um Quartiere oder geeignete Teilräume zu identifizieren, in denen differenzierte Wasserinfrastrukturen umgesetzt werden können. Gerade dort, wo größere Umstrukturierungsmaßnahmen anstehen, bieten sich Handlungsspielräume.

Kreative Lösungen entwickeln

Es ist die Aufgabe von Stadtentwicklungsplanung und Politik, langfristige Zielvorstellungen zur Zukunft von Stadt und Region zu entwickeln. Dies schließt kreative Lösungen zur Steigerung der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit von Wasserinfrastrukturen ein. Stadtentwicklungskonzepte sollten in diesem Zusammenhang möglichst konkrete Aussagen zum Umbau der stadttechnischen Infrastruktursysteme treffen.

Der Prozess der Koordination zwischen räumlichen Ebenen sowie zwischen Fachplanungen und Fachpolitiken muss gestaltet werden. Hilfreich hierbei sind gemeinsam zwischen den Akteuren entwickelte Ziele und Leitbilder. Darauf basierend lassen sich Handlungskonzepte und Maßnahmen formulieren. Die Zusammenarbeit zwischen Stadtentwicklung, Bauverwaltung, kommunalen Unternehmen der Siedlungswasserwirtschaft, Wohnungs- und Energiewirtschaft sowie anderen relevanten Akteuren lässt sich am besten entwickeln, wenn in einem Quartier oder Stadtteil konkrete Maßnahmen angegangen werden sollen.

Die kommunalen Handlungsmöglichkeiten in der Stadtgestaltung, der Freiraumplanung, der Klimaanpassung oder auch der Gebäudearchitektur sind andere, wenn Wasser als Element der Stadtlandschaft mit bedacht wird. Das heute bereits im Rahmen von integrierten Planungsansätzen eingeübte Wechselspiel zwischen Stadtentwicklung und energetischer Versorgung wird zum integralen Stadtentwicklungs- und Infrastrukturkonzept, wenn differenzierte Wasserinfrastrukturen einbezogen werden.

Für die Zusammenarbeit der planenden Akteure sind Bewertungssysteme erforderlich, die die städtebauliche Entwicklung und die Infrastrukturplanung in ihren Zusammenhängen betrachten und übergreifende Abwägungen ermöglichen.

Grundlegende Umstrukturierung des Systems

Bisher übliche Kostenvergleichsrechnungen sind dabei ein Bestandteil integrierter, ganzheitlicher Bewertungen, die auch die unterschiedlichen Nutzen und Nutzungsdauern neuartiger Wasserinfrastruktursysteme berücksichtigen. Der Bewertungsrahmen umfasst die Bewertungsaspekte „Auswirkungen der Transformation“ und „Anforderungen an die Transformationsprozesse“ mit jeweils unterschiedlichen Bewertungskriterien. Im Gegensatz zur Optimierung des vorhandenen Systems (z. B. durch eine vierte Reinigungsstufe) wird bei einer Transformation das vorhandene System in seiner grundlegenden Struktur (zentral ausgerichtet, Misch-/Trennsystem) verändert und in weitere Stoffströme und deren Erfassung, Behandlung und Nutzung differenziert.

Die technischen Infrastrukturen bedürfen einer vorausschauenden Berücksichtigung in Prozessen der Stadtentwicklung und Planung. Die Möglichkeiten, auf die genannten Herausforderungen zu reagieren, sind regional sehr unterschiedlich. In den wachsenden Ballungsräumen stehen beispielsweise die Rückhaltung, Behandlung, Wiederverwendung, Versickerung und auch Verdunstung von Wasser in Nutzungskonkurrenz mit der Flächeninanspruchnahme für Neubauvorhaben und möglicherweise im Gegensatz zum Leitbild einer verdichteten „kompakten Stadt“. In Räumen mit rückläufigen Bevölkerungszahlen zeigen sich hingegen Widersprüche zwischen wirtschaftlich wünschenswertem Rückbau von Netzen und größeren Schwankungsbreiten der Netzauslastung.

Die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz gewinnen ebenso wie die Nutzung erneuerbarer Energien im Kontext mit der Energiewende an Bedeutung. Quartiers- und gebäudebezogene Konzepte der Energieversorgung bedürfen der Berücksichtigung aller Potenziale erneuerbarer Energien. Die Nutzung der im Abwasser enthaltenen Energie kann dabei ein wichtiger Baustein sein. Dort, wo Abwasser von vornherein in verschiedene Teilströme getrennt wird (Regenwasser, Grauwasser, Schwarzwasser), bieten sich ganz neue Möglichkeiten der stofflichen und energetischen Nutzung.

Benötigt werden Konzepte einer wassersensiblen Stadtentwicklung, bei denen die Umsetzung neuartiger Wasser- und Abwasserinfrastruktursysteme mit bedacht wird. Durch bereichsübergreifende und vorausschauende Planungsprozesse lassen sich Gelegenheitsfenster und Maßnahmenoptionen erkennen.

Planung auf breitem Fundament

Zur Umsetzung neuartiger Wasser- und Abwasserinfrastrukturen sind Akteure der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung, der Abfall-, Energie- und Landwirtschaft ebenso wie Verantwortliche der Stadt-, Raum- und Landschaftsplanung sowie Bürger einzubeziehen. Je frühzeitiger dies geschieht, desto größer wird der Spielraum für effiziente Lösungen und desto mehr Akzeptanz werden die Planungen finden.

Damit die Kommune und ihre Unternehmen den vielfältigen Aufgaben und Anforderungen gerecht werden können, sind Ressourcen, Kompetenzen und Strukturen in der Verwaltung und in kommunalen Betrieben aufzubauen und zu pflegen. Hierunter fallen ein strategisches Personalmanagement, das nicht nur harte ingenieurfachliche Expertise, sondern auch „weiche“ methodische und Prozessmanagement-Kompetenz sichert, eine klare Aufgabenzuschreibungen, die mit finanziellen Mitteln und Instrumenten unterlegt sind sowie Verfahren der abteilungs- und sektorenübergreifenden Information und Abstimmung.

Die Betrachtung der Wasserinfrastruktur in Bezug auf Technik und Organisation aus einer regionalen Perspektive zielt darauf ab, regionale Unterschiede (z. B. der Wasser-/Abwasserentgelte) abzubauen, die regionale Entwicklung (z. B. durch die Verbesserung der Versorgungs-/Entsorgungsqualität) zu begünstigen, teilräumliche Potenziale (z. B. in Bezug auf die Mobilisierung von erneuerbaren Energien und von Nährstoffen) auszuschöpfen und die natürlichen Wasserressourcen zu bewahren.

Jörg Felmeden / Bernhard Michel

Die Autoren
Dr.-Ing. Jörg Felmeden, Kassel, und Dr.-Ing. Bernhard Michel, Reinheim, sind ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Cooperative Infrastruktur und Umwelt. Beide lehren an Hochschulen im Bereich Siedlungswasserwirtschaft und Umweltwissenschschaft. Sie sind Mitglieder in Fachorganiasationen und beteiligen sich an der Gremienarnbeit und Entwicklung von Regelwerken. Beide Autoren haben in der Vergangenheit verstärkt zur Ausgestaltung zukünftiger Wasser-/Abwasserinfrastrukturen gearbeitet, zuletzt innerhalb der ARGE Leitbild IWRM Rhein-Main, die in diesem Jahr das Leitbild eines Integrierten Wasserressourcen-Managements für die Region Rhein-Main entworfen hat.