Wassersensitive Stadtplanung ist der Zukunft zugewandt

Das Oxfordquartier in Münster wird mit einer wassersensitiven Stadtplanung entwickelt. Sie berücksichtigt die Belange des Wasserhaushalts und des Überflutungsschutzes. Wasser wird als lebendiges und sichtbares Element das neue Viertel für Wohnen und Arbeiten begleiten.

Das neue Wohnquartier Oxford in Münster wird auf der Konversionsfläche der ehemaligen britischen Oxford-Kaserne entstehen. Das städtebauliche Konzept sieht ein Quartier für Wohnen und Arbeiten vor, das denkmalgeschützte Strukturen der Kaserne aufgreift und einer bürgerschaftlich zugewandten Nutzung zuführt. Ökologische, nachhaltige und soziale Gesichtspunkte prägen das künftige 26 Hektar große Gebiet mit umgebauten ehemaligen Kasernengebäuden, Geschosswohnungsbauten sowie einigen Reihenhäusern. Kleingewerbe, Büroflächen und Gastronomie, eine Kirche, eine Schule, Kindergärten sowie ein Bürgerhaus runden das Angebot ab.

Wasser wird bei der Entwicklung des Quartiers eine besondere Rolle spielen, denn mit sogenannter blau-grüner Infrastruktur zur Regenwasserbewirtschaftung wird eine wassersensitive Stadtentwicklung realisiert. Die wassersensitive Stadtplanung verknüpft die wasserwirtschaftlichen Belange und die gestalterischen Potenziale des Wassers im Siedlungsraum. Das Wasser im neuen Gebiet ist Teil eines nachhaltigen wasserwirtschaftlichen Kreislaufes und gleichzeitig Bestandteil eines lebendigen Freiraums im Quartier.

Im Quartier sind 5,4 Hektar durch Gebäude überbaut, von denen 65 Prozent mit Dachbegrünung versehen sind und 35 Prozent mit unbegrünten Satteldächern von Bestandsgebäuden. 63 Prozent des privaten Freiraums ist unversiegelt, 37 Prozent sind als private Stellplätze für Pkw und Fahrräder, Wege und Terrassen befestigt. Auf bebauten privaten und öffentlichen Flächen bestehen die entscheidenden Möglichkeiten, Niederschlagsabflüsse zu vermeiden, zu vermindern und zu verzögern.

Baukonstruktive Maßnahmen unterstützen die Starkregenvorsorge

Das Bewirtschaftungskonzept besteht aus einer ortsgerechten Kombination aus privaten dezentralen und semizentralen Maßnahmen zur Verdunstung, Nutzung, Versickerung. Überschüssiges Wasser wird möglichst oberflächennah über Gräben und Rinnen der zentralen oder der westlichen Erschließungsachse zugeführt. Die erforderlichen Festsetzungen des Wasserkonzepts wurden im Bebauungsplan der Stadt Münster 2019 realisiert.

Münster war im Ende Juli 2014 von dem bislang in Deutschland größten gemessenen Starkregenereignis betroffen. Den Belangen des Überflutungsschutzes wird daher ein hohes Gewicht beigemessen. Mit einem abgestuften Konzept wird im Oxford-Quartier dem Überflutungsschutz Rechnung getragen. Die Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung erhöhen das Rückhaltevermögen im Gebiet für kleine und mittlere Niederschlagsereignisse.

Die Gebäudeeingänge werden 30 Zentimeter über der Oberkante des Straßenaufbaus angeordnet. Geeignete baukonstruktive Maßnahmen zum Objektschutz werden den Bauträgern zur Hand gegeben. Der Kommune wurde eine Simulationsrechnung von Überflutungszuständen empfohlen. Die Trassierung der oberflächennahen, offenen Entwässerung formt ein Netz prioritärer Fließwege bei übermäßigem Direktabfluss. Die offene Wasserführung erhöht die Sichtbarkeit und das Verständnis für die Fließwege des Niederschlagsabflusses. Dies wurde von Politikern und Bürgern als Beitrag zur Sicherheit im Quartier gewertet.

Dezentrale Grundstücksentwässerung im Oxfordquartier

Die Grundstücksentwässerung erfolgt im gesamten Gebiet dezentral und ist für ein fünfjährliches Wiederkehrintervall dimensioniert. Alle Flach- und Pultdächer erhalten eine Dachbegrünung mit mindestens zehn Zentimeter Substrathöhe, die Niederschlag speichert, verdunstet oder stark verzögert ableitet. Gebäude mit Satteldächern sollen mit Regenwassernutzungsanlagen ausgestattet werden zur Grünflächenbewässerung im Sommer mit temperaturmindernden Kühleffekten und, soweit gewünscht, zur Toilettenspülung.

Überschusswasser der Gründächer oder Regenwassernutzungsanlagen wird im südlichen Gebietsteil auf den Grundstücken in Sickermulden versickert. Im nördlichen Gebietsteil mit nicht sickerfähigen Untergründen werden „raingardens“ – Regengärten – vorgesehen, in denen Dachabflüsse gespeichert, verdunstet und stark verzögert abgeleitet werden. Diese Flächen werden als Hoch- oder Tiefbeete als Teil der Gartengestaltung mit reichhaltiger Vegetation ausgeführt.

Die Abflüsse der öffentlichen Verkehrsflächen werden mit Rinnen und Gräben oberflächennah im Kammsystem der zentralen Erschließungsachse zugeleitet. Im südlichen Gebietsteil werden Stellplätze mit durchlässiger Pflasterung vorgeschlagen. In Gebietsteilen mit mäßiger und geringer Durchlässigkeit wünscht die Stadt Münster voll gepflasterte Stellplätze. Die stärker verschmutzen Abflüsse der Haupterschließungsstraßen werden in einem Regenwasserkanal einem Retentionsbodenfilter zur Behandlung zugeleitet und von dort stark gedrosselt in den Gievenbach geführt.

Zwei Hauptachsen dienen zur Aufnahme von Drosselabflüssen oder Abflüssen von Ereignissen mit fünfjährlicher Wiederkehrwahrscheinlichkeit aus der Grundstücks- und Verkehrsflächenentwässerung. Im grünen Boulevard der Zentralachse werden drei gestalterisch hochwertige Speichermulden angelegt, die miteinander verbunden werden. In der östlichen Straßenachse wird aufgrund der beengten Verhältnisse ein Kastenrinnensystem in das Verkehrsnetz integriert zur oberflächennahen Ableitung.

Die überschüssigen Abflüsse der Grundstücks- und Straßenentwässerung werden je nach gestalterischer, örtlicher Situation mittels Kastenrinnen oder Gräben einer der beiden Hauptstraßen zugeführt. Nach Erstellung einer oder beider Haupterschließungsachsen ist auch eine clusterweise Erschließungsabfolge des Gebietes gesichert.

Wasser wird als lebendiges Element inszeniert

Die Neugestaltung des Paradeplatzes betont die besondere Bedeutung des Wassers im Stadtteil. Dort geht die Regenwasserbewirtschaftung eine Symbiose mit einer hochwertigen Platzgestaltung ein. Der Platz und die angrenzenden Gebäude dienen als Quellen des Regenabflusses, der geführt, gespeichert und inszeniert wird als lebendiges gestalterisches Element zu jeder Jahreszeit. Ein Wasserspiel wird vorgeschlagen, das von den konventionell gedeckten Dächern der umliegenden Gebäude gespeist werden könnte.

An heißen Tagen wird die Verdunstung durch natürliche und technische Maßnahmen verbessert, sodass eine sommerliche Oase, eine Quelle der Erholung entsteht. Der attraktive Baumbestand des Gebietes soll durch weitere Baumpflanzungen und üppige Begrünung ergänzt werden, um die Verdunstung im Sommer deutlich zu stärken und ein gutes Stadtklima zu unterstützen.

Die Berechnung der langjährigen Jahreswasserbilanz für den endgültigen Planungszustand des Oxford-Quartiers als Grundlage für den Bebauungsplan wurde mit dem vereinfachten Wasserbilanzmodell Wasserbilanz-Expert vorgenommen, das an der FH Münster entwickelt wurde und das auch Grundlage des neuen Facharbeitsblatts DWA-A 100 (Gelbdruck) ist.

Der Vergleich der Wasserbilanz des bebauten und des unbebauten Gebietes verdeutlich, dass mit dem vorgeschlagenen Bewirtschaftungskonzept für den bebauten Zustand eine sehr gute Annäherung an den unbebauten Zustand erzielt werden kann. Der Direktabfluss ist nahezu gleich, während die Grundwasserneubildung um vier Prozentpunkte erhöht ist zu Lasten der Verdunstung mit minus vier Prozentpunkten. Bei einem konventionellen Trennsystem wäre mit einem erhöhten Direktabfluss von plus 21 Prozentpunkten, einer verringerten Grundwasserneubildung von minus acht Prozentpunkten und einer verringerten Verdunstung um minus 13 Prozentpunkten zu rechnen.

Die Defizite der Verdunstung bebauter Gebiete zu kompensieren, stellt die größte Herausforderung dar. Ursache hierfür ist, das auch durchlässige Befestigungen und Gründächer ein Verdunstungsdefizit in sommerlichen Trockenperioden aufweisen. Versickerungsmulden erhöhen die Verdunstung nur unwesentlich. Die Verdunstung wird bei einer üppigen Begrünung mit Bäumen und Büschen erhöht sowie mit einer Bewässerung von Grünflächen im Sommer vorzugsweise mit Regenwasser.

Mathias Uhl / Maike Wietbüscher

Die Autoren
Dr.-Ing. Mathias Uhl ist Professor an der Fachhochschule Münster und Leiter der Arbeitsgruppe Siedlungshydrologie und Wasserwirtschaft am Institut Infrastruktur – Wasser – Ressourcen – Umwelt (Iwaru), Maike Wietbüscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Wasserbau und Hydromechanik

Info: Niederschlagswasser

Gemäß Wasserhaushaltsgesetz (§ 55(2) WHG) soll Niederschlagswasser nach Möglichkeit „ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden“. Die Landeswassergesetze verfügen über ähnliche Regelungen. Den Belangen des Grundwasserschutzes ist bei Versickerungsmaßnahmen Rechnung zu tragen.

Der Wasserhaushalt des bebauten Gebietes soll gemäß den Facharbeitsblättern DWA-A 100 und DWA-A 102 Teil A (Gelbdruck) einem unbebauten Gebiet nahekommen. Aus Sicht des Stadtklimas ist eine erhöhte Verdunstung besonders im Sommer zugunsten einer Temperaturminderung erwünscht. Im Fall von Extremniederschlägen soll zudem der geordnete Überflutungsweg sichergestellt werden.

Info: Wassersensitive Stadtplanung

Die „wassersensitive Stadtplanung“ verknüpft die wasserwirtschaftlichen Belange und die gestalterischen Potenziale des Wassers im Siedlungsraum. In fachübergreifender Zusammenarbeit von Wasserwirtschaft, Städtebau und Freiraumarchitektur werden Lösungen entwickelt, die dem Wasserhaushalt, dem Überflutungsschutz, den urbanen Gewässern, dem Stadtklima, der Stadtökologie, der Identität und Qualität des Stadtraumes sowie dem Lebensumfeld der Menschen dienlich sind. Als Planungsraum wird zumeist das Quartier und der Stadtteil, die Gewässerachsen oder im Einzelfall der ganze Stadtraum bearbeitet und auf Grundstücksebene objektplanerisch realisiert. Wassersensitive Stadtplanung schließt die integrale Entwässerungsplanung sowie die Bewirtschaftung der Niederschlagsabflüsse gemäß dem Facharbeitsblatt DWA-A 102 (Gelbdruck) mit Nachweisen zum Wasserhaushalt und zur Stoffbilanz ein.

Für Neubau- und Konversionsgebiete gilt künftig das Ziel, den Wasserhaushalt der zugehörigen gleichartigen Landschaft ohne Siedlungs- und Verkehrsflächen zu erhalten oder herzustellen. Als Hauptkomponenten werden der Direktabfluss, die Grundwasserneubildung und die Verdunstung im langjährigen Mittel betrachtet.

Der Referenzzustand des unbebauten Gebietes kann mittels örtlicher Wasserhaushaltsdaten oder Modellrechnungen erfolgen oder ersatzweise dem Hydrologischen Atlas Deutschland entnommen werden. Die Umsetzung gelingt mit praxiserprobten Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung wie Versickerung, Gebäudebegrünung, wasserdurchlässige Flächenbefestigungen, Regenwassernutzung, verzögernde Ableitung und Rückhaltung.