Voran zu den Wurzeln

Mit der Energiewende bekommt der Slogan „Think global, act local“ aus den 1970er-Jahren neue Bedeutung. Bürger, Wirtschaft und Kommune wollen die Energiezukunft selbst gestalten. Auch kleine Stadtwerke, wie etwa das im sachsen-anhaltinischen Burg, sind hierfür der professionelle Partner vor Ort.

 

Prozessoptimierungen und ein professioneller Energieeinkauf an der Börse waren bisher Erfolgsfaktoren, um sich im Wettbewerb auf der Gewinnerseite wiederzufinden. Für die Zukunft keine schlechte Basis, aber wie lange wird ein angestammter Energieversorger noch ausreichend Margen im Kerngeschäft, dem Weiterverkauf von Strom und Erdgas, erzielen? Smarte Wettbewerber aus anderen Branchen, demografische Entwicklung und nicht zuletzt Energieeffizienzbestrebungen sowie die „Do-it-Yourself“-Perspektive der erneuerbaren Energien lassen viele Mittelfristplanungen im Ergebnis schwach werden. Wo liegt dann die Leistung und Wertschöpfung eines Stadtwerkes in der Zukunft?

Für Stadtwerke bedeutet dies, ihren Namen neu mit Leben zu füllen. Die Nähe zum Kunden und Bürger ist nach wie vor einzigartig im Vergleich zu anderen Wettbewerbern. Diese Positionierung vor Ort, ob in der Fußgängerzone, im Gewerbeverein oder in den Gremien, ist der Leitfaden, der glaubwürdig vom bisherigen Kerngeschäft zu neuen Geschäftsfeldern führt.

Global denken, lokal handeln

Mit der Energiewende bekommt der Slogan der 1970er-Jahre „Think global, act local“ eine neue Bedeutung. Investitionen in die Großkraftwerke der Moderne, ob Offshore-Windkraftanlagen oder Freiflächen-Fotovoltaik, führen von den lokalen Potenzialen weg. Stadtwerke müssen auf die Wurzeln ihres Selbstverständnisses schauen und den Bürger neu als Partner entdecken. Ohne Bürger geht die Energiewende nicht. Das klassische Zieldreieck der Energiewirtschaft – Preiswürdigkeit, Zuverlässigkeit und Umweltverträglichkeit – hat sich erweitert: nichts kommt entscheidend voran ohne eine Akzeptanz der Energiewende vor Ort. Bürger, Wirtschaft und Kommune wollen die Gestaltung der Energiewende selbst in die Hand nehmen. Stadtwerke sind der Partner vor Ort, diesen Prozess zu begleiten und professionell zu organisieren.

Die Energiewende organisieren

Insbesondere die erneuerbaren Energien stehen als Markt weiterhin offen. Dabei geht es nicht um Großanlagen, die irgendwo in der Welt lediglich als austauschbare Finanzinvestitionen fungieren. Vielmehr bringen Stadtwerke ihre Kernkompetenzen in die Umsetzung einer bürgernahen Energiewende ein. In dem neuen Zieldreieck der Energiewende – erneuerbare Energien, Energieeffizienz und umfassender Klimaschutz – organisieren Stadtwerke dezentrale Lösungen, die Welt der sogenannten Eigenverbrauchslösungen. Die Systemintegration der erneuerbaren Energien kann von Stadtwerken vor Ort gestaltet werden. So können dieser für Kommunen so vielversprechenden Perspektive eine glaubwürdige Stimme und nachhaltige Gestaltung gegeben werden.

Wenn Stadtwerke diese Chance verschlafen, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit und auf Dauer die Basis ihres Geschäftsmodells. Großkraftwerker alten oder neuen Typs zu sein, ist nicht ihr Geschäft. Stadtwerke, egal welcher Größe, müssen bei Müller, Meier oder Schulz mit Fotovoltaik, Solarthermie und Kraft-Wärme-Kopplung – auch mit „Energieeffizienz“ als Zugabe – überzeugen.

Stadtwerke als Netzwerker

Wie also die neuen Geschäftsfelder erschließen? Ein Zukauf, ob Projekt oder Unternehmen, mag am wenigsten zu einer nachhaltigen Neuausrichtung beitragen. Das gesamte Unternehmen wird von dem Paradigmenwechsel einer Energiewende erfasst. Alle Bereiche sind betroffen und müssen sich dazu positionieren.

Hilfe auf diesem Weg können Kooperationen bieten, deren Erfolg von vielen Faktoren abhängig ist. Vertrauen, Transparenz und klare Ziele bieten den belastbaren Boden einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Wichtigster Netzwerkpartner wird die Bürgerschaft sein, die sich als Co-Investor und Kunde in die Energiewende gemeinsam mit den Stadtwerken einbringt.

Partner der Energiewende

Die Stadtwerke Burg wurden im Jahr 1991 neu gegründet. Sie sind seitdem der lokale Energieversorger für Strom, Gas und Fernwärme in Burg (bei Magdeburg) an der Elbe – in den letzten Jahren auch für die umliegenden Gemeinden im Jerichower Land als einziges im Landkreis ansässiges Energieversorgungsunternehmen. Die zunehmend überregionale Bedienung von Privat- und Geschäftskunden sowie Kommunen wird ergänzt um Dienstleistungen, die im Rahmen der Suche nach zukunftsweisenden Geschäftsfeldern definiert wurden.

Einer Ausweitung des Kundenkreises für Strom- und Gaslieferungen, Privat- und Geschäftskunden ebenso wie Kommunen, folgten erste dezentrale Wärmeprojekte sowie eine Car-Sharing-Lösung. Letztere ist mittlerweile klimaneutral gestellt. Best-Practice-Lösungen für eine energie- und kosteneffiziente Modernisierung der Straßenbeleuchtung unterstützen das kommunale Energiemanagement. Den unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Kommunen des Landkreises, sowie denen von Gewerbe und Wirtschaft, wird dabei immer stärker Rechnung getragen.

Durch die Gründung der „Genossenschaft für erneuerbare Energien im Jerichower Land e. G.“ im Jahr 2012 wurde der Bevölkerung im Landkreis die Möglichkeit gegeben, künftig an innovativen Technologien zur nachhaltigen und dezentralen Energieversorgung teilzuhaben.

Zukunftsbild durch Szenarioanalyse

Wichtig war es, die ersten Schritte der Stadtwerke in die richtige Richtung zu lenken. Um schon heute wegweisende Weichenstellungen vornehmen zu können, war ein möglichst belastbares und einvernehmliches Zukunftsbild zu erarbeiten, in welchem sich die Stadtwerke Burg sehr wahrscheinlich in zehn Jahren bewegen werden. Mit Hilfe einer Szenarioanalyse wurden potenzielle Einflussfaktoren auf das zukünftige Geschäft analysiert. Die Konsequenzen der Energiewende fanden hier besondere Berücksichtigung. Themen wie Sharing und Autarkie, Konsumverhalten und kommunale Dienstleistungen sowie Förder- und Bürgerbeteiligungsmodelle wurden diskutiert und bewertet.

Die Leistungen, die in den Geschäftsfeldern angeboten werden, sollen immer stärker über sogenannte Marktplätze vertrieben werden. Mit dem Ansatz eines regionalen Marktplatzes ist ein ganzheitlicher Anspruch verbunden: Die einzelnen Leistungen verknüpfen sich zu umfassenden Lösungen, getragen durch die direkte Einbindung aller Partner in der Region. Alle Angebote verbinden sich zu einer Plattform, wo sich jeder als Anbieter und Nachfrager einbringen kann. Stadtwerke können die Ausgestaltung der regionalen Marktplätze tragen und ihre Netzwerk-Kompetenz nutzbar machen.

Als ein erstes Beispiel für den Aufbau eines regionalen Marktplatzes kann der Landkreis Jerichower Land dienen. Stand zunächst die Platzierung einzelner Angebote der Stadtwerke im Vordergrund, so sind mittlerweile Vertriebspartnerschaften und Kooperationen mit den Akteuren vor Ort entstanden und gewachsen.

Im Herbst 2015 startete die App „jeppy“ mit einem breiten Informations- und Serviceangebot für Bürger, Vereine und Gewerbe im Jerichower Land. Mittlerweile sind bereits über 3000 Nutzer dabei. Mit dem Landrat als Schirmherrn, Vereinen und Gewerbe, die ihre Angebote selbst einstellen sowie einem tagesaktuellen Veranstaltungs- und Müllkalender vernetzen sich alle miteinander: eine gute Basis, um sich gemeinsam mit den Stadtwerken erfolgreich und nachhaltig am Markt zu behaupten.

Alfred Kruse

Der Autor
Dr. Alfred Kruse ist Geschäftsführer der Stadtwerke Burg

Info: Die 1991 gegründeten Stadtwerke Burg (Sachsen-Anhalt) zählen zu den kleinen kommunalen Versorgern in Deutschland. Ungeachtet dessen haben sie seit ihrer Gründung beachtliche wirtschaftliche Erfolg erzielt. Gesellschafter sind zu 50 Prozent die Stadt Burg (rund 23.500 Einwohner), zu 49 Prozent die Gelsenwasser AG mit Sitz in Gelsenkirchen und zu einem Prozent die Agger Energie aus Gummersbach. Das Unternehmen hat 62 Mitarbeiter. 2014 erwirtschaftete es einen Umsatz von 44,3 Millionen Euro und einen Jahresüberschuss von knapp 1,5 Millionen Euro nach Steuern.