Die vergangenen zwei Jahre waren geprägt durch die Pandemie. Themen wie Klimawandel und nachhaltige Stadtentwicklung sind dabei zeitweise in den Hintergrund geraten. Für das Difu sind dies stets aktuelle Handlungsfelder. Difu-Chef Carsten Kühl über laufende Forschungsprojekte und erste Ergebnisse.
Es überrascht wenig, dass die Bewältigung der Corona-Pandemie auch im Jahr 2021 von den Kommunen als wichtigste Aufgabe angesehen wurde. Dies zeigte das „OB-Barometer 2021“, die jährliche Difu-Umfrage der Stadtspitzen. Darüber hinaus identifizierten die Kommunen vor allem die Aufgabenfelder Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung und Wohnen als drängend. Und diese Themen werden nach Einschätzung der befragten (Ober-)Bürgermeister auch in Zukunft den größten Handlungsdruck erzeugen.
Während die Dringlichkeit der Klimakrise 2020 in der öffentlichen Aufmerksamkeit oft hinter der Coronakrise zurückstand, verdeutlichte nicht zuletzt die Hochwasserkatastrophe Mitte Juli 2021, dass Klimaschutz allein nicht ausreicht. Um Städte gegen die bereits entstandenen Folgen des Klimawandels besser abzusichern, bedarf es auch der Klimaanpassung und einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Nur so können sich Kommunen in Zukunft besser vor den bereits spürbaren Folgen des Klimawandels schützen. Diese Themenbereiche sind seit vielen Jahren fester Bestandteil der Difu-Forschung und werden es auch in den kommenden Jahren sein. Im Folgenden einige aktuelle Beispiele.
Infrastrukturen für die Klimaanpassung
Eine vernetzte Stadt- und Infrastrukturplanung hilft Städten, mit den Folgen des Klimawandels – wie Hitze, Starkregen oder Überflutungen und Trockenheit – gut umzugehen. Dabei sind nicht nur technische Lösungen gefragt. In blauen und grünen Infrastrukturen, wie Wasserflächen, Dachbegrünung und Parks, steckt Potenzial für eine klimagerechte Transformation urbaner Räume. Im Forschungsprojekt „netWorks“ entwickelt das Difu gemeinsam mit weiteren Partnern Lösungsvorschläge für die Praxis. Die im Rahmen des Projekts erarbeiteten planerischen Machbarkeitsstudien zeigten, dass die systematische Kopplung von blauen, grünen und grauen Infrastrukturen für die kommunale Planungspraxis eine Innovation darstellt. Hierfür sind jedoch neuartige Planungs- und Abstimmungsprozesse erforderlich.
Im „netWorks“-Projekt werden die Praxispartner Stadt Norderstedt und der Bezirk Pankow in Berlin dabei unterstützt, die Empfehlungen aus den erarbeiteten Machbarkeitsstudien zu blau-grün-grauen Infrastrukturen in die laufenden Planungsprozesse zu integrieren. Der Transfer zielt auf die Verbreitung der Ergebnisse über Norderstedt und Berlin-Pankow hinaus. Weitere deutsche Kommunen sollen von den Erfahrungen profitieren können. Dazu werden aus den Projektergebnissen praxisorientierte Informationsmaterialien entwickelt.
Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit messen
Ein weiteres Beispiel für Aktivitäten zur nachhaltigen Stadtentwicklung: die New Urban Agenda (NUA). Sie ist eine Art globaler Fahrplan. Ziele der New Urban Agenda sind unter anderem die Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel, gesunde Lebensbedingungen in Kommunen und nachhaltige Finanzierungsformen. Das Difu-Projektteam erfasste 2021 in einem Fortschrittsbericht den Stand der Umsetzung der New Urban Agenda in deutschen Kommunen.
Der Fortschrittsbericht zeigte, dass Kommunen in Deutschland die in der NUA und der Agenda 2030 verankerten Ziele bereits erfolgreich umsetzen. Deutlich wurde aber auch, dass die Rahmenbedingungen für nachhaltige Stadtentwicklungsmaßnahmen und ihr Umsetzungsgrad in Deutschland sehr heterogen sind. Insbesondere weil Stadtentwicklungspolitik zahlreiche Schnittstellen zu anderen Politikfeldern besitzt, die politischen und administrativen Koordinationsaufwand erfordern.
Nachhaltige Stadtentwicklung kann zudem nur dann effektiv umgesetzt werden, wenn Nachhaltigkeitskriterien in Entscheidungsprozessen von Anfang an einbezogen sind. Das gilt für alle städtischen Handlungsbereiche: So leistet die mit der Verkehrswende verknüpfte nachhaltige Mobilität einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz. Auch eine erfolgreiche Digitalisierung könnte Abläufe effizienter und ressourcensparender gestalten – sowohl in der Verwaltung als auch im Bereich Mobilität oder der Gebäudewirtschaft.
Durch die Einschränkungen der Pandemie hat der öffentliche Raum an vielen Orten wieder an Bedeutung gewonnen. Wie Straßen mit weniger Durchgangsverkehr, stattdessen mehr Fuß- und Radwegen, Grünflächen sowie öffentlichem Raum für Begegnungen gestaltet werden können, zeigen die sogenannten „Superblocks“. Das Konzept der „Superblocks“ stammt aus dem spanischen Barcelona. Gemeinsam mit Partnern aus Berlin, Österreich und Slowenien untersucht das Difu noch bis 2024 die Potenziale des Konzepts für deutsche und europäische Städte.
Stadtquartiere nach menschlichem Maßstab
Die Umsetzung findet in zwei Reallaboren in Berlin und Wien statt und bildet den Kern des Projekts. In Berlin begleitet das Difu zusammen mit weiteren Partnern die Realisierung von zwei auf Berliner Verhältnisse angepasste „Superblocks“. Auf Basis der Analyse von ähnlichen planerischen Ansätzen in europäischen Städten wie den „Woonerf“ in den Niederlanden oder den „low-traffic neighbourhoods“ in London sowie der Erfahrungen aus den Reallaboren entwickelt das Projekt anschließend Handlungsempfehlungen, die sich sowohl an kommunale als auch an zivilgesellschaftliche Akteure richten.
Gleichzeitig steht die Sorge um den Funktions- und Bedeutungsverlust von Innenstädten im Fokus politischer Debatten. Das Homeoffice verändert Arbeitsstandorte, der stationäre Einzelhandel geht zurück, und es werden zunehmend Wohnimmobilien errichtet, die den Standort neu fordern. Wie Veränderungsprozesse dieser Art in den Kommunen berücksichtigt werden können und wie es gelingen kann, alle Dimensionen des städtischen Lebens in die Transformation einzubeziehen, untersucht das Difu-Forschungsteam im Projekt „Frischer Wind für die Innenstädte“.
Das Vorhaben gliedert sich in drei Bausteine: Im ersten Schritt erfolgt der thematische Zugang zur Innenstadt über Raumtypologien und -definitionen. Daran anknüpfend werden konkrete Handlungsoptionen und Zugriffsrechte von Kommunen entlang der unterschiedlichen Teilräume von Innenstadt erarbeitet. Im Rahmen eines abschließenden Kommunalworkshops sollen die Erkenntnisse reflektiert, aufbereitet und veröffentlicht werden. Als Ergebnis soll eine theoretische Folie entstehen, die als Ausgangspunkt für Szenarien oder weitere Vertiefungsstudien dienen kann.
Und wie geht es nach der Pandemie weiter?
Um pandemiebedingte Veränderungen und langfristige Trends in der Stadtentwicklung frühzeitig zu erkennen, haben das Difu und der Deutsche Städtetag ein gemeinsames Projekt gestartet. Im Fokus stehen die Fragen, wie deutsche und europäische Städte mit der Pandemie umgehen und welche Folgen für die Stadtentwicklung zu erwarten sind. Dabei gilt es auch zu ermitteln, welche Rolle stadtregionale Netzwerke und Metropolregionen für die urbane Nachhaltigkeit spielen. Es sollen Handlungsempfehlungen für urbane Anpassungs- und Transformationsprozesse erarbeitet und an Praxisbeispielen erläutert werden.
Und nicht zuletzt eine weitere wichtige Aufgabe des Difu im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen: Das „Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz“ am Difu ist für Städte und Gemeinden ein wichtiger Beratungspartner, um passende Förderungen und Beratung beim Antragsprozess für Klimaschutzaktivitäten im Rahmen der Kommunalrichtlinie der Bundesregierung zu erhalten.
Autor: Prof. Dr. Carsten Kühl ist wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) in Berlin.