Von den Wasserlinien her gedacht

Eine innovationsorientierte Planungskultur, die Wasserwirtschaft und Stadtentwicklung – über kommunale Grenzen hinweg – eng miteinander verzahnt, schafft Mehrwert für alle Akteure. Wie IT-basierte Planungswerkzeuge dabei die Kooperation zwischen den Fachgebieten und den Kommunen vertiefen kann, zeigt ein Beispiel aus der Stadt Herten.

In der Metropolregion Ruhr haben die Emscherkommunen, die Emschergenossenschaft und das Land Nordrhein-Westfalen die Initiative „Wasser in der Stadt von morgen“ ins Leben gerufen. Das Ziel: Mittels integraler urbaner Wasserwirtschaft, nachhaltiger Zusammenarbeit und verstärkter Planungskooperation aller Partner die Region und ihre Städte fit für die Zukunft zu machen und das Lebensumfeld der Menschen zu verbessern.

Die Emschergenossenschaft macht sich als einer der größten Wasserwirtschaftsverbände Deutschlands im Rahmen des Umbaus des Emscher-Systems seit einigen Jahrzehnten für eine integrale Wasserwirtschaft stark, die wichtige Zukunftsfragen wie Regenwasserbewirtschaftung, Hochwasser- und Grundwassermanagement berücksichtigt. Mit der „Zukunftsinitiative“ gilt es nun, zusammen mit den beteiligten Kommunen durch noch mehr fachübergreifende Kooperationen die Stadt- und Freiraumentwicklung mit wasserbezogenen Planungen zusammenzubringen. Denn nur durch gemeinsames Handeln lassen sich kosteneffiziente und anpassungsfähige städtische Infrastruktursysteme schaffen und öffentliche Räume gestalten, die es den Kommunen ermöglichen, den Herausforderungen des Klimawandels, den demografischen Veränderungen und den damit einhergehenden neuen Raumansprüchen und Nutzungen erfolgreich zu begegnen.

Motivation zum Mitmachen und Kooperieren

Was heißt das konkret für die Planungspraxis? Wichtigste Voraussetzung für die Umsetzung der Initiative ist es, den Nutzen des integralen Handlungsansatzes für Verwaltung, Politik und Bürgerschaft transparent zu machen. Nur dann entsteht ausreichend Motivation zum Mitmachen und Kooperieren.

Dieser Nutzen lässt sich am besten durch das Aufzeigen von Synergien bei den zu realisierenden Maßnahmen vermitteln. Um diese herausarbeiten und bewerten zu können, hat die Emschergenossenschaft zusammen mit der Stadt Herten als Modellkommune das Kooperationsmodul ZUGABE (kurz für „ZUkunftschancen GAnzheitlich BEtrachten“) entwickelt. Das Modul auf Basis eines Geoinformationssystems (GIS) unterstützt den Dialog zwischen den Fachgebieten und bietet die Möglichkeit, die Flächen im Stadtgebiet – sogenannte „Aufmerksamkeitsräume“ – herauszufiltern, bei denen die Daten auf Planungssynergien und neue Entwicklungspotenziale hindeuten. Diese „Aufmerksamkeitsräume“ erleichtern die anschließende Projektfindung und -gestaltung.

Dass Wasserwirtschaft und Stadtentwicklungsplanung erfolgreich Hand in Hand gehen können, hat das Modellprojekt „Integrale Wasserwirtschaft als Motor der Stadt- und Freiraumentwicklung in Herten“ eindrucksvoll gezeigt. Die Stadt verfolgt mit ihrer Strategie „Grün durch Blau“ den planerischen Ansatz, die Entwicklung des Grünsystems der Stadt von den Wasserlinien her zu denken. So fungiert die integrale Wasserwirtschaft als Impulsgeber und Treiber in vielen Bereichen der Stadt- und Freiraumgestaltung.

Durch die Vernetzung verschiedener Handlungsfelder wie zum Beispiel Verkehr/Mobilität, Industrie/Gewerbe, Freiraum/Biotopverbund, Klimawandel, Quartierentwicklung, Gewässerumbau oder Stadtentwässerung entstehen Synergieeffekte. Die integrale Wasserwirtschaft lässt sich damit als „Ermöglicher“ für innovative Planungsprojekte nutzen, die bei ausschließlich fachspezifischer Betrachtung weder identifizierbar noch finanzierbar wären.

Offene Wasserflächen im Wohnquartier

Gerade multifunktionalen Räumen kommt in der aktuellen Planungspraxis eine große Bedeutung zu. Beispielsweise können öffentliche Grünflächen durch die Anlage eines Wasserspielplatzes an Attraktivität gewinnen und zugleich als Retentionsräume dem Hochwasserschutz dienen. Und eine offene Wasserführung im Zuge von Regenwasser-Abkopplungsmaßnahmen trägt zur Aufwertung eines Wohnquartiers genauso bei wie zum klimatischen Ausgleich an heißen Tagen. Hier ist fachübergreifendes Arbeiten von Stadtplanung, Grünflächenentwicklung, Stadtentwässerung und anderen Aufgabenträgern gefragt, um räumliche, inhaltliche und organisatorische Schnittstellen zu identifizieren.

Auf Grundlage der im GIS-Modul bereitgestellten Planungsdaten, die erstmalig so transparent auf gesamtstädtischer Ebene vorliegen, konnten in Herten einige „Aufmerksamkeitsräume“ definiert werden, in denen exemplarisch die Potenziale einer Vernetzung wasserwirtschaftlicher Aktivitäten mit denen anderer Fachgebiete aufgezeigt wurden. Im Folgenden steht nun die Weiterentwicklung der Projektansätze und die kooperative Planung und Umsetzung von einzelnen Maßnahmen an.

Das Kooperationsmodul ZUGABE ist als offenes System konzipiert. Neue Themen können jederzeit bei der Findung von Aufmerksamkeitsräumen berücksichtigt werden. Alle Daten lassen sich flexibel und wirtschaftlich auswerten und verschneiden.

Um den integralen Handlungsansatz der Zukunftsinitiative weiter in der Region zu verankern, steht das IT-Werkzeug allen Emscherkommunen für ihre Projektarbeit zur Verfügung. Zahlreiche der 16 beteiligten Städte haben das Angebot aufgegriffen und sind zurzeit dabei, konkrete Vorbereitungen zur Einführung des Moduls zu treffen.

Guido Geretshauser / Thomas Heiser / Brigitte Spengler

Die Autoren
Guido Geretshauser ist Mitarbeiter der Abteilung Wasserwirtschaft der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes (EGLV) in Essen, Thomas Heiser ist Mitarbeiter der EGLV-Stabsstelle Emscher-Lippe-Zukunft, Brigitte Spengler ist Leiterin der EGLV-Gruppe Regenwasserbewirtschaftung