Urbane Räume müssen sich wandeln

Stadtbegrünung; urbane Räume
Stadtbegrünung: Was vor kurzer Zeit noch visionär erschien, ist heute dringend geboten — und wird zum Glück vielerortsorts auch bereits Wirklichkeit. Foto: Adobe Stock/Breezze

Digitalisierung, Verkehrs- und Energiewende, die Anpassung an den Klimawandel und vieles mehr: Urbane Räume müssen sich grundlegend wandeln. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) ist am Puls der Zeit, und das seit 50 Jahren — zum Jubiliäum ordnet Institutsleiter Carsten Kühl ein.

Sie kennen urbane Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspekten: als Volkswirt an der Uni, als Finanzminister in Rheinland-Pfalz, als Leiter eines Instituts, das sich seit 50 Jahren mit Stadtentwicklung befasst. Wie ist Ihr Eindruck: Ist die Dringlichkeit urbaner Anpassungen vor Ort angekommen?

Carsten Kühl: Die Städte stehen vor komplexen Herausforderungen, und die Dringlichkeit ist natürlich den Kommunen sehr bewusst. Begriffe wie Schwammstadt oder 15-Minuten-Stadt klingen wie Modewörter. Sie sind es aber nicht, sie sind mit Handlungsnotwendigkeiten verbunden. Wenn wir beispielsweise gegen kommende – und erwartungsgemäß häufiger eintretende — Starkregenereignisse gewappnet sein wollen, dann müssen wir unsere Städte darauf vorbereiten.

Wo sehen Sie die grundlegende Herausforderung?

Kühl: Es werden künftig sicherlich nicht ausreichend Steuergelder zur Verfügung stehen, um stets erneut auftretende Schäden zu beseitigen oder beschädigte Gebäude neu aufzubauen. Es gilt daher, präventiv zu handeln, damit solche Ereignisse nicht wiederkehrend zu Schäden führen. Die Schwammstadt ist ein gutes Konzept der Prävention. Auch die 15-Minuten-Stadt geht in diese Richtung: Wenn Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, medizinische Versorgung, Arbeit nicht weit entfernt sind, dann vermeidet dies nicht nur CO2-Ausstoß und schont die Infrastruktur, es spart auch Zeit durch die Vermeidung langer Wege. Die Umsetzung ist aber oft alles andere als ein Selbstläufer.

Was erfahren Sie bei Begegnungen und Gesprächen: Werden die Fördermöglichkeiten, die es speziell für Kommunen gibt, wahr- und angenommen?

Kühl: Finanzierungsmöglichkeiten für Klimaschutz- und Klimaanpassung sind in den Städten und Gemeinden ein wichtiger Faktor, da dort die nötigen Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden. Am Difu sind beispielsweise Beratungsstellen für Klimaschutz wie auch Klimaanpassung angesiedelt: die Agentur für kommunalen Klimaschutz, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das vom Bundesumweltministerium geförderte Zentrum KlimaAnpassung. Diese Beratungsangebote zu Förderungen, zur Umsetzung in der Praxis sowie für den Wissens- und Erfahrungsaustausch werden von den Kommunen sehr rege genutzt. Ähnliche Erfahrungen machen wir im Mobilitätsforum Bund des Bundesverkehrsministeriums und beim Dialogforum „Bund trifft kommunale Praxis“ für den Kinder- und Jugendhilfebereich der Kommunen.

Die Finanzen sind ein zentrales Thema – was fehlt darüber hinaus?

Kühl: In der Tat, die Finanzen sind zentral. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist es für viele Kommunen eine Herausforderung, die Pflichtaufgaben zu schultern. Wenn man auf das von uns jährlich für die KfW erstellte Kommunalpanel oder unsere Investitionshochrechnung zur kommunalen Straßenverkehrsinfrastruktur schaut, wird deutlich, dass es mit Förderungsprogrammen alleine nicht getan ist. Die Kommunen brauchen eine strukturell bessere Grundfinanzierung. Ich plädiere für einen größeren Anteil an der Umsatzsteuer.

Was vermissen Sie darüber hinaus?

Kühl: Politik muss Mut zur Veränderung zeigen und bei diesen zentralen Herausforderungen an einem Strang ziehen. Je länger notwendige Veränderungen herausgezögert werden, desto aufwendiger und teurer wird es. Auf der anderen Seite wissen wir: Die urbane Transformation ist vielschichtig, es geht dabei um eine soziale, ökologische und ökonomisch nachhaltige Entwicklung. Um diese Veränderung zu erreichen, ist ein breiter Konsens erforderlich. Wenn wir es nicht schaffen, die latenten Zielkonflikte zwischen diesen drei Dimensionen aufzulösen, werden Extremisten und Populisten die Oberhand gewinnen.

Die aktuellen Herausforderungen werden oft als Herkulesaufgabe bezeichnet. Sehen Sie dafür gute Grundlagen oder sogar bereits Erfolge?

Kühl: Gut sichtbar werden nachahmenswerte Erfolge im Rahmen von Wettbewerben. Schauen wir auf die erfolgreichen Praxisbeispiele des Wettbewerbs „Klimaaktive Kommune“, so finden wir eine Vielzahl toller Ideen, die oft auch auf andere Kommunen übertragbar sind. Diese Kommunen sind schon sehr weit und haben gute Lösungen entwickelt, oft nicht nur gut für die Umwelt — unterm Strich auch kostensparend.

Keine Kommune muss bei den aktuell großen Transformationsthemen bei Null anfangen, der Stand ist aber sehr unterschiedlich. Wenn es jetzt weitergehen soll — was empfehlen Sie: An welchen Punkten oder Themenfeldern sollten sie ansetzen?

Kühl: Herausforderungen und Chancen durch Künstliche Intelligenz sollten unbedingt bei allen Aufgaben frühzeitig mit einbezogen werden. Aber: Nahezu alle von den Kommunen zu bearbeitenden Themen haben eine gewisse Dringlichkeit, und sie stehen in einem Kontext zueinander. Deshalb ist das aktueller denn je, was Stadtplaner seit den sechziger Jahren propagieren: integrierte Stadtentwicklung.

Wie sollte man vorgehen?

Kühl: Es gibt viele praxisorientierte Lösungsvorschläge und eindeutige Ergebnisse aus Studien. Kommunen sollten dieses Erfahrungswissen nutzen und davon profitieren. Es muss nicht jeder das Rad neu erfinden.

Es gibt allerdings zum Teil heftigen Widerstand. Worauf sollte man achten?

Kühl: Sehr wichtig sind die Art der Kommunikation sowie Transparenz und frühzeitiges Einbeziehen der Bürgerinnen und Bürger, um verstanden zu werden und Akzeptanz zu erreichen — allerdings ohne das Primat der repräsentativen Demokratie in Frage zu stellen. Kommunen sollten auch intensiv dort kommunizieren, wo sich die Bürger ihre Informationen beschaffen. Es ist nicht zielführend, Informationen nur über Kanäle anzubieten, die von ihnen nicht oder nur wenig wahrgenommen werden.

Bei allen Schwierigkeiten: Was macht Ihnen Hoffnung?

Kühl: Hoffnung machen mir jüngere Menschen, die ein Eigeninteresse haben, nachhaltig zu handeln und sich dafür auch engagieren. Schade nur, dass es in Relation zur Gesamtbevölkerung immer weniger Jüngere werden.

Ihr Institut befasst sich seit langem mit urbanen Transformationsprozessen: Das Difu ist gerade 50 geworden. Wenn Sie jetzt nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft schauen: Worauf hoffen Sie?

Kühl: Auf gesellschaftlichen Zusammenhalt — ohne werden wir es nicht schaffen.

Interview: Sabine Schmidt


Zur Person

Carsten Kühl ist promovierter Volkswirt und Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Von 2009 bis 2014 war er Finanzminister von Rheinland-Pfalz. Seit 2018 leitet er das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin.