Die grüne Infrastruktur in Städten wird immer wichtiger als Ausgleich zur gebauten Infrastruktur, als Träger ökologischer Leistungen, aber auch zur Gesundheitsvorsorge. Das „Weißbuch Stadtgrün“ dokumentiert Forschungsergebnisse und zeigt Handlungsschwerpunkte für die kommunale Praxis auf.
Großstädtische Freiräume und deren Stadtgrün stehen unter einem enormen Nutzungsdruck. Zum einen, weil im Bestand weiter gebaut und nachverdichtet wird, zum anderen weil das verbleibende Grün immer mehr Leistungen erbringen soll. Ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands lebt in Großstädten. Um über 1,2 Millionen Menschen hat die Bevölkerung der Großstädte in den Jahren 2012 bis 2016 zugenommen. Deren Siedlungsdichte ist 1,5-fach, die der Städte über 500.000 Einwohner sogar dreifach höher als der Bundesdurchschnitt. In den nächsten Jahren sollen 1,5 Millionen Wohnungen neu gebaut werden, vor allem in den Großstädten. Der Bauboom im Neu- wie Stadtumbau beeinträchtigt die Grün- und Freiraumentwicklung nicht nur quantitativ, auch qualitativ und in sozialer Hinsicht.
„Grün“ wird intensiver genutzt, Nutzungskonflikte nehmen zu. Es geht darum, Konzepte für eine leistungsfähige, grüne Infrastruktur auf knappem Raum zu entwickeln und zu realisieren. Doch nicht zuletzt fehlende Personal- und Kapitalressourcen in den Kommunen führen oft dazu, dass die Grünpflege notgedrungen abgestuft wird. Zudem steigen die Ansprüche an das Stadtgrün: zur Minderung von Klimarisiken, für die Lufthygiene, für Stadtnatur und Artenvielfalt, beim Pflanzenschutz.
Die grüne Infrastruktur wird immer wichtiger als Pendant zur gebauten Infrastruktur, als Träger ökologischer Leistungen, aber auch für eine grüne Baukultur, zur Gesundheitsvorsorge, für Umweltgerechtigkeit und als Baustein für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Lebensqualität.
Das „Weißbuch Stadtgrün“ wurde 2017 vom Bundesbauministerium verabschiedet. Es enthält zehn Handlungsfelder zu konkreten Maßnahmen und Handlungsempfehlungen, wie der Bund die Kommunen bei der Sicherung und Qualifizierung von Grün- und Freiräumen unterstützen will. Es fußt auf dem „Grünbuch Stadtgrün“ von 2015, das die verschiedenen Konfliktfelder, Nutzungskonkurrenzen und Entwicklungsziele darstellt. Als Ergebnis eines umfassenden Diskussionsprozesses, an dem neben den Bundesressorts, Ländern und Kommunen auch Verbände, Vereine, Stiftungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beteiligt waren, ist das Weißbuch Basis einer längerfristigen Bundesinitiative für qualitätsvolles Stadtgrün. Die Maßnahmen sind unter anderem darauf ausgerichtet, das öffentliche Grün im Planungsvollzug zu stärken und ihm in der kommunalen Praxis mehr Geltung zu verschaffen. Wesentliche Bausteine sind Förderung, Forschung und Information.
Finanzhilfen vom Bund
Über verschiedene Städtebauförderprogramme können Kommunen Bundesmittel zur Stärkung der grünen Infrastruktur in ihren Städten akquirieren. Im Städtebauförderprogramm „Zukunft Stadtgrün“ stehen seit 2017 Bundesfinanzhilfen in Höhe von 50 Millionen Euro pro Jahr bereit, die speziell der Anlage, Sanierung, Qualifizierung und Vernetzung öffentlich zugänglicher Grün- und Freiflächen dienen. Förderung erhielten 2017 überwiegend Maßnahmen zur Qualifizierung von Grün- und Freiflächen, meist zur Verbesserung der Lebens- und Wohnqualität, ganz überwiegend in Innenstädten.
In den Städten geht es oft auch um die Aufwertung von Grünflächen an Flüssen oder Seen, also um eine blau-grüne Infrastruktur (s. dazu das EXTRA „Blau-grüne Infrastruktur“ in der Juni-Ausgabe 2019 von der gemeinderat). Von großer Bedeutung sind auch die Vernetzung und Schaffung von Multifunktionalität auf Grünflächen. Überdies stellt „Zukunft Stadtgrün“ den Hauptfördertopf für Maßnahmen der Klimaanpassung dar. Neben der Städtebauförderung eröffnen die Nationalen Projekte des Städtebaus und ein neues Investitionsprojekt zur Erforschung von Klimaanpassungs- und Modernisierungsmaßnahmen in Landschaftsgärten, Parks sowie städtischen Grünflächen Finanzierungsmöglichkeiten.
Darüber hinaus hat der Bund einen langfristig angesetzten Forschungsschwerpunkt zum Stadtgrün initiiert. Die am Weißbuch beteiligten Bundesforschungseinrichtungen koordinieren Forschungsprojekte zum Stadtgrün. Weiterführende Informationen zu Forschungsergebnissen und Handlungshilfen sind unter anderem auf www.bbsr.bund.de/stadtgruen und www.gruen-in-der-stadt.de abzurufen.
Innovative Maßnahmen für Grün auf engem Raum wurden in verschiedenen Ressortforschungsprojekten im BBSR untersucht. Im „ExWoSt“-Forschungsfeld „Green Urban Labs“ werden in zwölf Modellvorhaben innovative Ansätze der Frei- und Grünraumentwicklung erprobt, die die Wohnbedingungen und die Lebensqualität in wachsenden Stadträumen verbessern. Es geht darum, Grünflächen aufzuwerten und zugänglich zu machen. Behandelt werden Themen wie grüne Klimaoasen in Innenstädten, Kleingartenanlagen im Kontext wachsender Flächenkonkurrenzen, Vernetzung von Stadtgrün, Bauwerksbegrünung, alternative Pflegekonzepte und neue Parktypen.
Neben dem Leitbegriff der urbanen grünen Infrastruktur spielt „Umweltgerechtigkeit“ eine zentrale Rolle, bei der ein sozialräumlich gerechter Zugang zu Umweltressourcen angestrebt wird. Im Projekt „Handlungsziele für Stadtgrün“ entwickelte das BBSR auf Basis von elf dokumentierten Fallstudien Indikatoren, Kenn- und Orientierungswerte für Stadtgrün. Im Projekt „Urbane Freiräume“ wurden innovative Ansätze zur Grün- und Freiraumentwicklung von der Stadtregion bis zum Grundstück erarbeitet und 20 Fallbeispiele dokumentiert.
Stellvertretend für die vielen kommunalen Beispiele treibt die Stadt Essen, „Grüne Hauptstadt Europas“ 2017, den Stadtumbau von Grau zu Grün voran. So liegt die Grüne Mitte Essens auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs und wurde wie auch das Quartier „Am Niederfeldsee“ wassersensibel, grün, sozial und gesundheitsförderlich entwickelt. In anderen Städten wie etwa Jena steht das Thema einer klimawandelgerechten Grünentwicklung mit der Umgestaltung von Plätzen mit einem Netz aus Klimakomfortinseln im Fokus.
Stadtgrün-Wettbewerb 2019
Jenseits der oft zitierten Vorzeigebeispiele geht Stadtgrün vielerorts weiter verloren. Voraussetzung für die Umsetzung der Maßnahmen des Weißbuches ist, dass nicht nur einmalig in Stadtgrün investiert wird, sondern dauerhaft – in Pflege, Fachwissen und Personal –, damit die Wohlfahrtswirkungen von Stadtgrün für die diversen Nutzungsansprüche gesichert werden. Dies fordert eine personell, fachlich und finanziell gut ausgestattete kommunale Freiraumplanung, aber auch die Weiterentwicklung technischer Lösungen, etwa innovativer Bewässerungstechniken für Stadtgrün im Klimawandel.
Die Bundesregierung wird in ihren Stadtentwicklungsberichten über die Umsetzung des Weißbuchs berichten. Eine hohe Bedeutung für die Entwicklung des Stadtgrüns können auch vom Bund geförderte Wettbewerbe übernehmen. Dazu zählt der im Rahmen des Weißbuchs Stadtgrün aufgerufene Wettbewerb „Bundespreis Stadtgrün“, der dieses Jahr zum ersten Mal ausgelobt wird.
Fabian Dosch / Stephanie Haury
Die Autoren
Dr. Fabian Dosch ist Referatsleiter Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung des in Bonn ansässigen Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Stephanie Haury ist Mitarbeiterin im Referat Stadtentwicklung des BBSR